bitterlemons-international.org
Middle East Roundtable /
Edition 13
Kompromisslos:
Macht wird Hamas nicht mäßigen
Von Martin Kramer
[ENGLISH]
Die Wahl der Hamas hat eine Epidemie selbstverursachter
Amnesie unter den Experten, die die palästinensische Politik interpretieren,
ausgelöst. Jahrelang argumentierten sie, Israel solle alles tun, um Yasser
Arafat zu unterstützen, später dann Mahmoud Abbas (Abou Mazen), sonst werde
Hamas an Boden gewinnen. Hamas würde stärker werden, wenn Israel nicht
weitreichende Zugeständnisse machen würde, womit dann jede Aussicht auf
einen ausgehandelten Frieden zerstört würde.
Aber jetzt, da Hamas die Macht erlangt hat, verteilen genau
diese Experten so viel an Beruhigung, nämlich dass Hamas trotz allem ein
Partner für Israel sei. Richtig, sie müsse noch Israel anerkennen, sie müsse
noch der Gewalt abschwören oder ihren geheimen "militärischen Flügel"
demontieren. Richtig, sie erkläre öffentlich, dass sie nichts von all diesen
Sachen tun werde. Aber die Berater bestehen darauf, dass dies reine Rhetorik
sei. Jetzt, da Hamas an der Macht sei, werde sie keine andere Wahl haben,
als Israel de facto anzuerkennen. Das
Problem mit dieser Interpretation ist nicht, dass sie die bisherige
Geschichte der Hamas ignoriert. Das Problem ist, dass Hamas zu leicht an die
Macht gekommen ist. Sie hat nie als Opposition gewirkt, sich nie an einer
breiteren Koalition beteiligt oder sich die Gewohnheit zu Eigen gemacht,
Kompromisse einzugehen. Hamas ist gleich bei ihrer ersten Wahl mit einer
absoluten Mehrheit ins Parlament gekommen. Sie hat in 20 Jahren das
erreicht, was die Muslimbrüder in Ägypten nicht in 80 Jahren erreicht haben.
Die Islamisten der Türkei, als das Modell für islamistische Gemäßigtheit
angesehen, kam erst nach jahrzehntelangem Auf und Ab in ihrer
parlamentarischen Politik an die Macht.
Hamas hat, im Gegensatz dazu, nie eine Periode allgemeiner
Unterdrückung erlebt. Führer der Bewegung wurden von Israel ins Visier
genommen und manche ihrer Aktivisten verbrachten einiges an Zeit in
israelischen Gefängnissen oder wurden ins Exil gezwungen. Aber Hamas war im
Großen und Ganzen frei sich zu organisieren, zu veröffentlichen, an Waffen
zu gelangen und Angriffe auszuführen.
Islamistische Bewegungen wurden in starken Staaten gezähmt, dort lernten
sie, mit machtvolleren Kräften umzugehen. Aber in der Westbank und in Gaza
zog Arafat den Kampf der Staatsbildung vor. Hamas akzeptierte seinen
nominellen Status als Hauptfigur der palästinensischen Sache für eine fast
vollkommene Freiheit, alles machen zu können, was sie wollte.
Hamas ist nicht nur gleich beim ersten Versuch an die Macht
gekommen. Sie hat sie mit ihrer Miliz erreicht, mit ihren Gewehren und ihrer
unerschütterlichen Ideologie. Ihr schneller und schwungvoller Aufstieg hat
geradezu ihre bisherige Militanz bestätigt.
Jetzt, etwas spät, möchten die US, Israel und Europa ihr
solche Gesten der Einwilligung entlocken, die Hamas schon damals, als sie
noch schwächer war, nicht gemacht hätte. Es überrascht nicht, dass Hamas
ihnen ausweicht. Wie die Hisbollah glaubt sie ihrer eigenen Überzeugung,
einen israelischen Rückzug erzwungen zu haben. Sie hat einen entscheidenden
Wahlsieg errungen, beispiellos in der arabischen Welt. Und Hamas ist davon
überzeugt, dass sie die Sympathie von Millionen von Arabern und Muslimen
hat, die bereit sind, ihre moralische und finanzielle Unterstützung zu
erhöhen. Hamas wird ihre Herrschaft
drei Zielsetzungen widmen. Erstens wird sie ihren Griff auf Institutionen
des palästinensischen Quasi-Staates auf Kosten der Fatah festigen wollen.
Zweitens wird sie allmählich damit beginnen, das palästinensische Leben zu
islamisieren. (Hamas wird dabei weniger Widerstand begegnen als säkulare
Beobachter denken. Im vergangenen Jahr zeigte eine Umfrage, dass zwei
Drittel der Palästinenser meint, das islamische Recht solle die einzige
Quelle der Gesetzgebung sein.) Drittens wird sie ihre eigene "Roadmap" ins
palästinensische Bewusstsein schreiben, die von einer Zweistaatenlösung
wegführt. Für diesen Zweck wird Hamas die Medien und Schulen zu
Verlängerungen der Moscheen machen.
Hamas wird vielleicht die tahdiya fortsetzen, den informellen
"Waffenstillstand", sollte Israel weitere einseitige Rückzüge durchführen.
Aber dieser Prozess wird sich verlangsamen oder irgendwo knapp vor der
Grünen Linie aufhören. Dann, wenn nicht schon früher, wird Hamas
wahrscheinlich den Weg für "Widerstand" =
Terror freimachen, was - wie sie meint - die einzige Sprache ist, die Israel
versteht. Das Konzept der Hamas, Sieg
durch "Widerstand" nimmt nicht nur dem Frieden Israels mit Ägypten und
Jordanien seine Legitimität. Es unterbietet auch die Vereinigten Staaten,
die mit ihrem Ruf hausiert, als einzige Macht israelische Zugeständnisse
liefern zu können. Folglich haben die USA, Ägypten und Jordanien ein großes
Interesse daran, Hamas scheitern zu sehen. Ebenso Europa, das viel in die
palästinensische Zivilgesellschaft investiert hat.
Um Hamas zum Scheitern zu bringen, muss die palästinensische
Wählerschaft dazu gebracht werden, eines zu realisieren: So hart, wie das
Lebengewesen ist, Hamas macht es noch schlimmer. Wenn es Hamas erlaubt ist,
die Palästinenser sowohl mit Brot als auch mit Illusionen zu füttern, wird
das Brot die Illusionen unterstützen. Nur ein System mit gezielten
wirtschaftlichen Sanktionen kann diesen Kreis durchbrechen.
Palästinensische Meinungsforscher sagen uns, dass die
allgemeine palästinensische Meinung für Verhandlungen mit Israel ist. So
braucht Hamas die Illusion eines "Friedensprozesses", der durch flüchtige
Kontakte mit ausländischen Regierungen und Vermittlern geschaffen wird. Soll
Hamas scheitern, muss ihr jede Legitimierung verwehrt werden, für die sie
keinen Preis zahlen möchte. Dies erfordert eine effektive diplomatische
Blockade. Wird Hamas sich entwickeln?
Die Geschichte zeigt, dass islamistische Bewegungen sich nur ändern, wenn
sie mit starken Gegenkräften konfrontiert werden. Hamas stand nie solchen
Kräften gegenüber, sie muss dazu gebracht werden, ihnen jetzt
gegenüberzustehen. Macht wird Hamas nicht mäßigen. Die Aussicht, diese zu
verlieren, könnte dazu führen.
Martin Kramer ist ehemaliger Direktor des Moshe Dayan Center an der
Universität Tel Aviv. Er ist auch der Wexler-Fromer Fellow an dem Washington
Institute for Near East Policy.
Übersetzung K. Badr
Bitterlemons-international.org is an internet
forum for an array of world perspectives on the Middle East and its
specific concerns. It aspires to engender greater understanding about
the Middle East region and open a new common space for world thinkers
and political leaders to present their viewpoints and initiatives on the
region. Editors Ghassan Khatib and Yossi Alpher can be reached at
ghassan@bitterlemons-international.org
and
yossi@bitterlemons-international.org, respectively.
hagalil.com 03-04-2006 |