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Middle East Roundtable /
Edition 13
Eine palästinensische Sicht:
Kampf für die palästinensische Gesellschaft
Die Anti-Friedensprozess-Regierung in
Israel hat in den vergangenen letzten Jahren ihre Position fest behaupten
können, somit gibt es an dieser Front nichts zu verlieren. Was jedoch auf
dem Spiel steht, sind Form und Orientierung der palästinensischen
Gesellschaft. Von Ghassan Khatib
[ENGLISH]
An diesem Montag, dem 27. März, wird der Traum vieler
Palästinenser und der Alptraum vieler anderer wahr, wenn eine Hamas-Mehrheit
im Palästinensischen Legislativrat [Parlament] ihr Vertrauensvotum einer
Hamas-Regierung geben wird, die wohl das palästinensische Gemeinwesen in den
nächsten vier Jahren führen wird.
Diese neue Realität hat bedeutende Auswirkungen auf alle Lebensbereiche der
Palästinenser und auf ihre regionalen und internationalen Beziehungen:
Während es auf internationaler Ebene einiges an Konfusion in Bezug auf die
diplomatische Unterstützung und die diplomatischen Beziehungen gibt, die die
internationale Gemeinschaft künftig zu den Palästinensern unterhalten wird,
wird es sicherlich zu einer Rückentwicklung des erheblichen Fortschritts
kommen, den die Palästinenser in den vergangenen Jahren erzielt hatten. Dies
wird zu Israels Gunsten sein. Auf
wirtschaftlicher und finanzieller Ebene scheint die internationale
Gemeinschaft trotz interner Differenzen neue Methoden und Ansätze
anzustreben, um eine "humanitäre" Unterstützung der Palästinenser
aufrechtzuerhalten. Der Beweggrund hierfür ist die Angst, dass die
Palästinensische Autonomiebehörde sich sonst einem nahe bevorstehenden
totalen Zusammenbruch gegenübersehen würde, wodurch eine entsprechende
humanitäre Krise folgen würde. Es
besteht auch kein Zweifel, dass palästinensisch-arabische Beziehungen
negativ beeinflusst werden. Der regionale Trend sieht so aus, dass arabische
Regierungen US-amerikanischen Haltungen folgen, wenn es um Hilfe für die
Palästinenser und deren Regierung geht. Dennoch steckt hier eine Ironie,
weil sich die meisten Araber anscheinend, im Gegensatz zu ihren Regimen, mit
der gewählten Hamas-Regierung identifizieren.
Die interessanteste Veränderung wird es in den
israelisch-palästinensischen Beziehungen geben. Israel hat ihre Absicht
erklärt, die Palästinensische Autonomiebehörde zu boykottieren. Trotzdem
wird das Land ohne Zweifel indirekte Kontakte aufrechterhalten, um den
möglichen Zusammenbruch der PA zu verhindern.
Eine Hamas-Regierung arbeitet zum Vorteil von Israel, dadurch
dass Israel sich als von jeglichen politischen Verpflichtungen gegenüber den
Palästinensern befreit sehen wird. Das wird die israelische Regierung
ausnutzen, um weiterhin ihre einseitige Strategie zu rechtfertigen, die von
Ariel Sharon begonnen worden ist und wohl von Ehud Olmert und der nächsten
israelischen Regierung fortgesetzt werden wird.
Die bedeutendsten und dramatischsten Konsequenzen der neuen
Hamas-Regierung liegen im internen Bereich. Hamas ist ein Ableger der
Muslimbrüder, die normalerweise die vorrangige Notwendigkeit darin sehen,
Mentalität, Ideologie, Denk- und Lebensweise von Individuen zu verändern,
ebenso die von Gemeinschaften und Gesellschaften im allgemeinen. Hamas ist
immer der Überzeugung gewesen, dass eine erfolgreiche Verfolgung nationaler
Ziele nur erreicht werden kann, wenn eine "echte islamische Gesellschaft"
existiert. Für die vielen
Palästinenser, die ideologisch säkular und/oder politisch für eine
Zwei-Staaten-Lösung in Übereinstimmung mit internationalem Recht sind, sind
die politischen Konsequenzen der Hamas-Regierung nicht das Hauptproblem. Die
Anti-Friedensprozess-Regierung in Israel hat in den vergangenen letzten
Jahren ihre Position fest behaupten können, somit gibt es an dieser Front
nichts zu verlieren. Was auf dem Spiel steht, sind Form und Orientierung der
palästinensischen Gesellschaft. Diese
Angst wird durch die Tatsache vergrößert, dass alle nicht-palästinensischen
Anti-Hamas-Kräfte primär mit der Sicherheitsfrage beschäftigt sind. Damit
wiederum wird der Hamas das Druckmittel gegeben, einen Kompromiss schließen
zu können: Sie wird Zugeständnisse in Bezug auf Sicherheit und Politik
machen, um dann freie Hand im sozialen Bereich haben zu können.
Die Tatsache, dass Hamas seit den Wahlen anscheinend ihre
militärischen Handlungen gegen Israel eingestellt hat, ist ein Indikator für
diesen Kurs, und es besteht kein Zweifel, dass das die Hauptsorge Israels
ist. Aufgrund vorheriger Erfahrungen wird die amerikanische Haltung und
Verhaltensweise von der israelischen Position gelenkt werden.
Es sieht so aus, als werde diese Hamas-Regierung überleben.
Während es Fakt ist, dass die PA von ausländischer Hilfe abhängig ist, ist
es möglich, dass die neue Regierung sich ihr Überleben mit Zugeständnissen
in Bezug auf Sicherheit und Politik erkaufen wird. Mit dem derzeitigen
Sicherheitsverhalten der Hamas wird Israel wahrscheinlich mit positiven
Gesten erwidern, die bei der internationalen Gemeinschaft ein großes Echo
finden werden. Israel ist nur daran
interessiert, einseitige Schritte zu verfolgen, das könnte der neuen
palästinensischen Regierung sehr gut passen. Diese Regierung würde gerne den
Raum erweitern, in dem sie frei operieren kann, ohne in Verhandlungen oder
Kontakte mit Israel verstrickt zu werden, die ihre Rhetorik einengen würden.
Ghassan Khatib ist Mitherausgeber von bitterlemons.org und
bitterlemons-international.org Er ist Arbeitsminister der PA und
Planungsminister. Khatib ist seit vielen Jahren politischer Beobachter und
Kontaktperson für die Medien.
Übersetzung K. Badr
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forum for an array of world perspectives on the Middle East and its
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hagalil.com 03-04-2006 |