Von Ulrich W. Sahm, Bethlehem
Der Redaktionsleiter des SWR, Uwe Bork, hat in der Neuen Zürcher
Zeitung (7. April) die Absetzung eines Filmbeitrags von Uri Schneider zum
Thema "Terror gegen Christen" erklärt. Am Freitag von dem Sendetermin, dem
12. März, erhielt er Anrufe eines "deutschen Jesuitenpaters" und von
Christen aus Bethlehem. Die fürchteten um ihr Leben, falls ihre Interviews
gezeigt würden.
Der von Bork erwähnte "Jesuitenpater" ist in Bethlehem wohlbekannt.
Selbst der von der Hamas ernannte Tourismusminister, Tanas Abu Aita,
erwähnte immer wieder "Pater Rainer". Abu Aita hat inzwischen sein Amt
verweigert, weil ihm deutsche Partner gedroht haben, keine Gruppen mehr in
sein Paradise-Hotel zu schicken, falls er Minister der Hamas-Regierung
werden sollte.
Es handelt sich um Pater Rainer Fielenbach. Im Gespräch mit diesem
Korrespondenten gestand er offen, sich beim SWR für eine Absetzung des Films
engagiert zu haben. Fielenbach sagte, dass er nur die "reißerische"
Ankündigung des Films gesehen habe. Daraus habe er geschlossen, dass der
Film einen "Keil zwischen Moslems und Christen" treiben könnte. Das sei aber
zu diesem Zeitpunkt "falsch". Der Film sollte auf den "Höhepunkt der
Auseinandersetzungen um die Mohammad-Karikaturen" ausgestrahlt werden und
hätte "weiteres Öl ins Feuer gegossen".
Der deutsche Pater wandte sich in dem halbstündigen Gespräch gegen eine
"Pauschalisierung" der Moslems. Überfälle auf Christen in Bethlehem könnten
einfache "kriminelle Vergehen" sein und sollten nicht als Christenverfolgung
ausgelegt werden. Der Pater erklärte, dass eine Ausstrahlung des Films
"christliche Pilger aus Europa einschüchtern könnten, Bethlehem zu
besuchen". Er selber wisse nichts von muslimischen Christenverfolgungen oder
Vorfällen, die so ausgelegt werden könnten. "Ich glaube die erst, wenn mir
entsprechende Protokolle der Polizei vorliegen", sagte er. Diese Forderung
ist freilich absurd, zumal christliche Gewährsleute von einer Beteiligung
der (muslimischen) Polizei an Christenverfolgungen erzählen. So sei nach der
Beschlagnahme eines christlichen Hauses durch die Polizei eine Abbildung des
St. Georg über der Tür abgeschlagen worden. Nach Autounfällen seien Christen
ins Gefängnis gesteckt worden, obgleich einwandfrei ein Moslem den Unfall
verschuldet hatte. Morde seien nie aufgeklärt worden, wenn Christen die
Opfer waren, obgleich die Mörder bekannt waren. Nachweisen lässt sich
nichts, weil die Behörden nicht kooperieren.
Nach der Verlesung seiner vorformulierten Friedensbotschaft zum
christlichen Osterfest und dem jüdischen Passahfest, bestätigte der
lateinische Patriarch in Jerusalem, Michel Sabbah, dass auch er an der
Absetzung eines Dokumentarfilms über die Lage der Christen in Bethlehem
mitgewirkt habe. "Was heißt hier eine Kampagne gegen die Veröffentlichung
von Christenverfolgungen in Bethlehem?" fragte der Patriarch. "Wir sind
gegen Kampagnen gegen Moslems, denen Christenverfolgungen unterstellt
werden", beantwortete er seine rhetorische Frage. Der Hauptgrund für
Probleme der Christen sei der Mangel an (staatlicher) Autorität in den
Palästinensergebieten. "Schuld daran sind die Israelis, denn sie bieten nur
ihren eigenen Menschen Schutz, nicht aber anderen." Deshalb gebe es Gruppen
in der palästinensischen Gesellschaft, "die das Gesetz in die Hand nehmen.
Moslems unterdrücken Moslems und Christen." Der Patriarch forderte deshalb
"Soldaten und Waffen für die Palästinenser, damit sie die Ordnung wieder
herstellen können." Es sei der Wunsch der internationalen Gemeinschaft, dass
die palästinensische Autonomieregierung "eine wirksame Herrschaft über die
palästinensische Gesellschaft haben sollte", so der Patriarch. Dabei müsse
beachtet werden, dass die Hamas vom Volk gewählt worden sei. Der Patriarch
erklärte sich gegen einen Boykott des palästinensischen Volkes wegen der
Wahl der Hamas. "Das kann niemand akzeptieren, der für Menschenrechte
spricht."
Bei Treffen mit Christen wird eisernes Stillschweigen bewahrt, wenn
Andere dabei sind. Nur im Einzelgespräch und wenn Vertrauen besteht, öffnen
sich die verängstigten Christen und erzählen Horrorgeschichten, mit der
ausdrücklichen Bitte, sie nicht namentlich zu zitieren.
Pater Rainer hat mehrere Personen in Bethlehem angerufen und gefragt:
"Wißt ihr etwas über Christenverfolgungen?" Als die das verneinten, forderte
er sie auf, sich an den SWR zu wenden und eine Absetzung des Films zu
fordern. Eine dieser Personen sagte in einem christlichen Ort bei Bethlehem:
"Ich habe mich geweigert, den Sender anzurufen."
Anlass für die ARD-Reportage war ein Report von Samir Qumsieh, dem
griechisch-orthodoxen Inhaber des christlichen TV-Senders "Die Krippe". Der
hat angeblich 140 Fälle von Christenverfolgung dokumentiert, darunter Morde,
Vergewaltigungen und Landraub. Dieser Report liegt dem Custos der
Franziskaner, Pierrebattista Pizzaballa, dem ehemaligen Nuntius im Heiligen
Land, Pietro Sambi, und anderen Kirchenführern vor. Doch aus Furcht, dass
"eine Veröffentlichung des Reports eine Rache der Moslems gegen Christen
auslösen könnte", so der Nuntius Sambi gegenüber diesem Korrespondenten,
weigerten sich die Kirchenführer, den Report an Journalisten
weiterzureichen, um die Angaben zu überprüfen. Auch Uri Schneider von der
ARD hat den Report nicht selber gesehen, wohl aber betroffene Christen
befragt.
Uwe Bork warnt in seinem Artikel: "Wenn aufklärender Journalismus mehr
und mehr von außen gelähmt zu werden droht, weil die Informationsquellen
versiegen, kommt eine gefährliche Entwicklung in Gang. Dass wir als
Redaktoren und Reporter unsere Informanten schützen, ist nicht mehr als
recht und billig. Dass dieser Schutz so wichtig geworden ist, ist das
eigentliche Problem."
Recherchen haben ergeben, dass nicht Christen aus Bethlehem federführend
für die Absetzung des Films waren, sondern der deutsche Pater Rainer, der
wirtschaftliche und politische Interessen in den Vordergrund stellt: eine
Fortsetzung der Pilgerströme und möglichst keinen Keil zwischen Moslems und
Christen treiben. Den Film hat er nicht gesehen, sondern nur die
Vorankündigung. Er konnte auch nicht sagen, ob tatsächlich die Informanten
gefährdet wären. Gegen Ende des Gesprächs gestand er: "Falls es eines Tages
keine Christen mehr in Palästina gibt, weil alle geflohen sind, machen auch
die Pilgerbesuche keinen Sinn mehr."