Ulrich Sahm kommentiert:
Israel marschiert in Richtung Instabilität
von
W. Sahm, Jerusalem, 29. März 2006
Das bemerkenswerte Phänomen bei den Wahlen in Israel war der
überraschende Sieg einer Partei, die es bisher nicht gab, deren Kandidaten
unbekannt sind und die sich am Donnerstag bei Kaffee und Kuchen treffen
wollen, um ein politisches Programm zu beschließen. Die alten Herrschaften
der "Greisen-Partei" wollen sich bis dahin ordentlich ausruhen und dann
entscheiden, ob sie neben einer Aufbesserung ihrer Altersbezüge auch rechte
oder linke Vorstellungen haben.
Noch bemerkenswerter ist die Tatsache, dass der Wahlkampf für diese Partei
der Rentner und Pensionäre ausgerechnet unter jungen Neuwählern geführt
wurde. Die fühlten sich von den traditionellen großen Parteien weder
angesprochen noch repräsentiert und stimmten deshalb für die Omas und Opas.
Bemerkenswert ist auch, dass etwa die Hälfte der Abgeordneten ohne
partei-interne demokratische Wahlen auf die Parteiliste und so in die
Knesset gelangt sind. Die von Scharon gegründete Kadima Partei muss sich
erst noch als richtige Partei etablieren und über ein einvernehmliches
Programm abstimmen. Bei der orthodoxen Schass-Partei bestimmt der blindlings
verehrte Rabbi Ovadja Josef die innere Hierarchie und Politik der
Abgeordneten. Ähnlich gehen die ultra-orthodoxen Parteien vor. Die Greisen
waren selber überrascht von ihrem plötzlichen Erfolg, den kein
einziges Umfrageinstitut vorhergesehen hat.
Das dritte kuriose Phänomen ist die Bezeichnung "Wahlsieger" für Ehud
Olmert. Selbstverständlich steht er an der Spitze der größten Partei und
zieht mit 28 Abgeordneten in die Knesset ein. Doch Olmert benötigt
mindestens 61 Abgeordnete, um über eine regierungsfähige Mehrheit zu
verfügen. Und selbst 61 Sitze bieten ihm noch längst keine echte
Entscheidungsfreiheit, die geplanten großen Schritte mit historischen
Auswirkungen durchzusetzen. Die Notwendigkeit einer Koalition mit mindestens
drei weiteren Parteien aus dem linken, rechten, frommen oder weltlichen
Lager birgt zwei Gefahren. Entweder muss er so viele Abstriche machen, dass
er am Ende nicht bewegen kann. Oder aber er prescht voran wie seinerzeit
Ehud Barak, der im Sommer 2000 mit großartigen Versprechen und historischen
Konzessionen nach Camp David reiste, zuhause aber kaum mehr Anhänger hatte.
Baraks innenpolitische Machtlosigkeit war einer der Gründe für das fatale
Scheitern dieses Gipfels mit Bill Clinton und Jassir Arafat.
Ausgerechnet vor einem historischen Wendepunkt, dem Ende von fast vierzig
Jahren Besatzung, dem Rückzug aus dem Westjordanland und einer schon fast
abgeschlossenen Ziehung der Grenzen, erweist sich der israelische Wähler als
desinteressiert (geringe Wahlbeteiligung), unverantwortlich (sieben Mandate
für die Greisen) und unentschlossen, indem er keine klare Mehrheit zuließ.
Der rechte Block der siedlerfreundlichen Parteien wurde dank der Politik
Scharons schwer geschlagen. Aber bei den mitte-links Parteien mit klarer
Vorstellung über die Zukunft Israels kommt da bestenfalls Schadenfreude auf,
nicht aber Genugtuung über den eigenen Erfolg. Denn der Kater nach der
Wahlnacht kommt schon auf, wenn mit den Ergebnissen Karten gespielt wird. Im
Augenblick passt keine Kombination, um das Spiel zu gewinnen.
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com
[Die Wahlen zur 17. Kneseth am 28. März 2006 - 28.
Adar 5766]
hagalil.com 26-01-2006 |