Wahlbeteiligung:
Wie tief kann sie noch fallen?
Auszüge aus einer Analyse von Shachar Ilan, Ha'aretz,
29.03.2006
Übersetzung Daniela Marcus
Mit 63% war die Wahlbeteiligung bei den gestrigen Wahlen
nicht ganz so schlecht wie einige Analysten sie im Lauf des Dienstags
vorhergesagt hatten. (…) Eigentlich war die Schrift schon im Jahr 2001 auf
der Wand der Wahllokale zu lesen. Bei den damaligen Wahlen zum
Premierminister gaben nur 62% der Wähler ihre Stimme ab. Und bei den
regulären Knessetwahlen im Jahr 2003 gingen nur 69% zur Wahl. Politische
Institutionen behandelten diese Zahlen, als wären sie nur ein Zufall. Dabei
realisierten sie nicht, dass eines der Hauptmerkmale israelischer Demokratie
–Wahlbeteiligung bei 80%- verloren gegangen ist, vielleicht für immer.
80% beinhalten beinahe jeden, der zum Wahllokal gehen kann, wenn man
Israelis, die im Ausland wohnen und Menschen, die zu krank sind, nicht
berücksichtigt. In den ersten 50 Jahren der Existenz des Staates Israel war
das Wählen beinahe etwas Heiliges. Jeder wählte. Doch inzwischen ist das
Tabu der Nichtbeteiligung an der Wahl gebrochen. Viele Erklärungen wurden
für die geringe Wahlbeteiligung am Dienstag angeboten, angefangen von einem
Gefühl der Hoffnungslosigkeit bis hin zur Korruption der Regierung und dem
Mangel an passenden Kandidaten. Prof. Ephraim Ya’ar, einer der Direktoren
für die Erstellung des Friedens-Index, sieht einen der Hauptgründe für die
geringe Wahlbeteiligung darin, dass in Israel der Unterschied zwischen
rechts und links verschwunden ist und das Gefühl des Wählers dahin geht,
dass jede Regierung die gleiche Politik machen wird.
Doch es scheint, dass all diese Erklärungen für manche derjenigen, die nicht
gewählt haben, nur eine Deckung für die Tatsache ist, dass sie schlichtweg
nicht interessiert sind. In der Zukunft werden sie sich vielleicht nicht
einmal mehr die Mühe machen, sich für die Nichtbeteiligung an der Wahl zu
entschuldigen.
Tatsache ist, dass die geringe Wahlbeteiligung einfach nur logisch ist. In
einem Land, in dem Individualismus herrscht (…) kann man eigentlich nicht
erwarten, dass die Wahlbeteiligung –ein Ausdruck sozialer Verantwortung-
hoch ist. Man kann mit Sicherheit annehmen, dass politische Institutionen zu
fragen beginnen, wie tief die Wahlbeteiligung noch fallen kann. Und die Höhe
der Wahlbeteiligung könnte genauso zum nationalen Thema werden wie die Höhe
des Wasserstandes im See Genezareth.
Nicht, dass es am Dienstag kein Wahlfieber gab. Es war vorhanden, jedoch in
den Einkaufszentren des Landes. (…) Der Wahltag ist in Israel zum
Einkaufstag geworden. Vielleicht sollte man während der nächsten Wahlen die
Wahlurnen nicht in die Schulen sondern in die Cafés stellen. Denn wenn der
Wähler nicht zur Wahlurne kommt, muss die Wahlurne zum Wähler kommen.
Nicht, dass die Wahlen uninteressant waren. Es gab den Urknall, dem das Koma
des Premierministers folgte. Und die Avodah hat sich verändert. Außerdem war
da die Militäroperation im Gefängnis von Jericho. Trotz alledem, hob die
Wahlkampagne niemals vom Boden ab. Vielleicht ist "Ein Star wird geboren"
–die israelische Variante von "Deutschland sucht den Superstar"- viel
interessanter. Und vielleicht verstehen einige Wähler nicht, warum sie ihre
Stimme für die Knessetwahl nicht auch per SMS abgeben können.
hagalil.com 29-03-2006 |