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Der Strick mit dem Knoten:
Das Palmsonntagspogrom

Von Peter Zinke

Der 25. März 1934 ging als "Blutpalmsonntag" in die Geschichte Gunzenhausens ein; die Vorgänge an diesem Abend blieben als "Palmsonntagspogrom" in schauriger Erinnerung. Bis zu 1.500 Einwohner der mittelfränkischen Kleinstadt sind auf der Straße, als unter Führung der örtlichen SA etwa 30 Juden aus ihren Häusern verschleppt und unter Schlägen und Tritten zum Gefängnis geführt werden. Laut dem renommierten britischen Historiker Ian Kershaw ist dies der größte Gewaltakt in Bayern seit der "Machtergreifung" Hitlers.

Zwei Juden kommen an diesem Abend ums Leben, der 65-jährige Privatier Max Rosenau und der 30-jährige Kaufmann Jakob Rosenfelder. In der Literatur wird das Ableben der beiden bislang als Selbstmord oder als ungeklärt dargestellt. Doch Dank eines Fundes im Nürnberger Staatsarchiv können diese Todesumstände nun als aufgeklärt gelten. Denn nach 50-jähriger Verschollenheit fand Archivrat Friedrich die verstaubten Konvolute unlängst im Keller des Ansbacher Landgerichts.

Die Strafprozessakten zum Pogrom (19 SA-Männer werden zunächst zu Freiheitsstrafen verurteilt, dann aber doppelt amnestiert: einmal vom NS-Staat, ein weiteres Mal von der jungen Bundesrepublik) enthalten Obduktionsberichte, Leichenbeschauprotokolle, politisch brisante Besprechungen und jede Menge Zeugenaussagen.

Suizid bei Max Rosenau

Zum Glück konnte ich Dr. Armin Steinkirchner, den Leiter der Nürnberger Gerichtsmedizin, für eine Zusammenarbeit gewinnen. So fanden wir schnell heraus, dass Max Rosenau an jenem Abend vom Mob in den Tod getrieben wird. Als die Menge die Haustüre aufbricht, fügt er sich mit einem Messer fünf Stiche in die Herzgegend zu, sinkt zu Boden und stirbt.

In diesem Fall passt alles zusammen: Die Stiche liegen gleichförmig in einem kleinen Radius, die Fließrichtung des Blutes stimmt und auch der Obduktionsbericht ist in sich logisch. Außerdem liegen neben SA-Aussagen auch die der vierköpfigen jüdischen Familie Lehmann vor, die alle übereinstimmend die Ausrufe Rosenau zu Protokoll geben: "Ich bin doch schon tot, mir braucht ihr nichts zu tun".

Typisches und atypisches Erhängen

Im Fall Rosenfelder dagegen passt nichts zusammen. Zum Verständnis ein kurzer gerichtsmedizinischer Exkurs: Beim Erhängen ist es so wie im Leben davor: Wer schön bleiben will, muss leiden – und zur typischen Form greifen: Man stellt sich etwa auf einen Stuhl, befestigt den Strick an der Decke, zieht sich eine Schlinge um den Hals und kickt den Stuhl weg. Dann hängt oder baumelt man frei und das Körpergewicht zieht so sehr am Strick, dass Venen wie Arterien gleichermaßen abgedrückt werden. Da der Kopf nicht mehr mit Sauerstoff über die Arterien versorgt wird, tritt nach einigen Sekunden Bewusstlosigkeit ein. Diese Sekunden allerdings sind sehr qualvoll, denn die Biologie gibt noch mal alles, um sich zu retten. Die Leiche sieht im Gesicht jedoch normal und nicht entstellt aus. Genauso ist es, wenn jemand mit erheblicher Kraft erdrosselt wird.

Anders ist es beim atypischen Erhängen. Das ist schmerzfrei, kommt deshalb häufiger vor als die "typische" Form und funktioniert wie folgt: Man bindet den Strick etwa an die Türklinke und legt sich mit dem Kopf in die Schlinge oder Schlaufe. Es genügt hierbei wenig Gewicht, um vorn die Venen, also den Blutabfluss, aus dem Kopf zu unterbrechen. Zur Blockierung der Arterien jedoch ist beträchtlich mehr Kraft notwendig, die der aufliegende Körper nicht aufweist. Somit fließt weiterhin arterielles Blut in den Kopf nach, verursacht schleichend eine Überkompression, die einen langsam bewusstlos werden lässt und schließlich tötet. Das Gesicht der Leiche ist jedoch entstellt: aufgedunsen und blaugefärbt (Zyanose).

Die schöne Leiche Rosenfelder

Jakob Rosenfelder wird vom 33-jährigen NSDAP-Stadtrat und SS-Mann Max Halbig, Begründer des größten Autohauses der Stadt sowie Max Barthel, SA-Mann und HJ-Wehrsportlehrer, angeblich tot und aufgehängt aufgefunden. Er war vor dem anstürmenden Mob geflohen und hatte im Schuppen der Bahnhofstraße 16, zwei Häuser neben seinem, Zuflucht gesucht. Dort soll er sich auch erhängt haben. Die Leiche kniet auf einem Holzstapel und eine Besonderheit fiel Dr. Steinkirchner ins Auge: Laut Beschreibung der Landeskriminalpolizei befand sich am Strick ein Knoten, der die Schlinge davon abhielt, sich ganz zuzuziehen. Rosenfelder hing also in einer Schlaufe, die seinen hinteren Halsbereich nicht tangieren konnte. Die Leiche hätte also die Anzeichen einer sog. atypischen Erhängung tragen müssen, was jedoch ganz offenbar nicht der Fall war.

Und der Obduktionsbericht wird umso unspezifischer, je weiter weg er vom neuralgischen Halsbereich kommt. Der Fettbezug des Herzbeutels wird z.B. genauestens beschrieben, am hinteren Halsbereich dagegen wird ein 14 cm langer "Streifen" konstatiert, ein absolut unmedizinischer Begriff. Ein Streifen könnte sich theoretisch auch postmortal durch das Liegen der Leiche auf einem Strick gebildet haben. Zum Glück aber machen auch die Landeskriminalbeamten noch eine äußere Leichenbeschau, die viel präziser ausfällt. Sie notieren nämlich eine zweite Strangfurche, die blutig aufgeschürft ist. Nun ist bewiesen, dass Rosenfelder zuerst erdrosselt und dann tot oder sterbend aufgehängt worden ist.

Die politische Dimension

Vor allem die beiden Todesfälle erregen internationales Aufsehen; so berichtet etwa die New York Times oder der Manchester Guardian von den Unruhen. Das Ausland blickt misstrauisch auf das frischgebackene Tausendjährige Reich. Und die Politik beeilt sich, den Schaden zu begrenzen. So setzt sich schon um 8.15 des nächsten Tages eine hochrangige Kommission aus hohen Staatsanwälten, Polizeibeamten, Amtsärzten und politischen Vertretern zusammen. Später kommt Ministerialdirektor Gareis aus dem Innenministerium hinzu. Während zunächst noch von der Möglichkeit Mord oder Suizid die Rede ist, betont Gareis dann, dass die Untersuchungen "unter bestimmten politischen Gesichtspunkten" zu betrachten seien.

Zum Schluss wird dann die klare Vorgabe formuliert: Es müsse untersucht werden, wie die beiden Selbstmord verübt worden seien. Angesichts dessen sind die kryptischen Formulierungen, zu denen die Gerichtsmediziner Kraus und Medicus greifen, beinahe als Akt des Widerstands anzusehen: "I. Die Möglichkeit eines Selbstmordes ist durch die Obduktion nicht ausgeschlossen worden. II. Für die Möglichkeit einer Tötung durch fremde Hand sind besondere Anhaltspunkte nicht gefunden worden".

Die mutmaßlichen Mörder

Wenn wir nicht an unsichtbare Unbekannte glauben wollen, dann bestätigen drei Zeugen, dass Halbig und Barthel als einzige zur fraglichen Zeit am Tatort waren. Ihre Version, Rosenfelder nur vor dem Mob retten gewollt zu haben, ist nicht besonders glaubwürdig. Denn zuvor waren die beiden im Haus Rosenfelders gewesen, wo den Anwesenden gedroht wurde, alle würden erschlagen, wenn Jakob Rosenfelder nicht gefunden würde. Barthel schlug zudem mit einem Beil die Ladentür ein. Sehen so Judenretter aus? Und wieso verschwiegen die beiden diese Vorfälle bei der Befragung durch die Polizei und tun stattdessen so, von einer Konfirmationsfeier fast ohne Verzögerung zum fraglichen Anwesen Bahnhofstraße 16 gefahren zu sein?

Und warum schließlich bestreitet Max Halbig im Spruchkammerverfahren 1948, an jenem Abend überhaupt vor Ort gewesen zu sein und lässt sich dies auch noch bezeugen. Weiß er, dass sich die Strafprozessakten, wenn überhaupt, dann erst sehr spät finden würden? Fragen, die die beiden angeblichen Judenretter sehr verdächtig machen; bei einem Gerichtsverfahren würden beide wohl dennoch wegen mangelnder Beweise freigesprochen werden.

Offensiver Umgang der Stadt Gunzenhausen

Angesichts der Brisanz dieses Pogroms wären wohl die meisten Kommunen versucht, die schmerzhafte Geschichte möglichst effizient unter den Teppich zu kehren. Nicht aber die Stadt und der Landkreis Gunzenhausen, die die Forschungen unterstützten und das Ergebnis, eine Broschüre des Nürnberger Instituts für NS-Forschung, im Markgrafensaal präsentierten.

Außerdem wurde eine Historikerin eingestellt, welche in den nächsten anderthalb Jahren die NS-Zeit in der Kleinstadt aufarbeiten soll.

Im Nürnberger Antogo-Verlag ist die Broschüre erschienen: "Was brauchen wir einen Befehl, wenn es gegen die Juden geht"/Das Pogrom von Gunzenhausen 1934 (Hg. Heike Tagsold), in dem der Autor die Todesfälle untersucht (ISBN 3-938286-04-0), Preis: 5,80 Euro.

hagalil.com 23-03-2006

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