Motiv:
Hass auf politisch Andersdenkende
Haftstrafe für rechte
Schlägerin und Bewährung für rechte Schläger
Von Ralf Fischer
Die ersten Urteilsverkündungen am vergangenen Montag im so genannten
Potsdamer Tramüberfallprozess sorgten für ein unerwartet großes
Medieninteresse. Die Urteile dagegen waren weniger spektakulär. Zwei
zeitgleiche Urteile in Sachsen fielen dagegen überraschend aus.
Dichtes Gedränge herrscht am Montagvormittag vor dem Raum 15 im Landgericht
Potsdam. Kamerateams drängeln mit der Polizei und rechten wie linken
Prozessbeobachtern um die besten Plätze im Saal. Insgesamt stehen für
Besucher nur 27 Plätze zur Verfügung. Beim dem Gedrängel verlieren die 15
extra aus Berlin angereisten Neonazis gleich ihren ersten Kampf des Tages.
Nur drei ihrer Kameraden schaffen es in den Gerichtsaal und können die
Urteilsverkündung mitverfolgen. Der Rest muss draußen warten. Immer
aufmerksam beobachtet von mitgereisten Berliner Polizisten.
Die drei Rechtsextremisten im Gerichtssaal werden ebenso sorgfältig
beobachtet. Auch im Gerichtsaal sitzen mitten in den Reihen verteilt
Polizisten der Berliner Spezialeinheit PMS. Daneben Journalisten und die
Beobachter des antifaschistische Vereins Jugend engagiert in Potsdam e.V.
(JEP). Mit Spannung erwarten alle die Urteilsverkündung im Jugendverfahren
gegen fünf Tatbeteiligte die an einem der brutalsten Angriffe in Potsdam
durch Neonazis in den letzten Jahren beteiligt waren.
Eine Gruppe aus 11 organisierten Neonazis hatte am 3. Juli des vergangenen
Jahres zwei Personen brutal zusammengeschlagen und schwer verletzt. Die
Gruppe kam gerade von einer politisch motivierten Sauf- und Grillparty als
sie aus der Straßenbahn heraus zwei Männer erblickten, wovon ihnen einer als
stadtbekannter Antifaschist bekannt war. Die Angreifer zogen die Notbremse,
sprangen aus der Bahn heraus und stürzten sich auf ihre Opfer.
Im Laufe des Prozesses gegen die zur Tatzeit noch jugendlichen Angreifer gab
die 18-Jährige Sandra C. aus der Neonaziclique vor Gericht zu, als erste mit
einer Bierflasche zugeschlagen zu haben. Danach sollen auch andere aus der
Gruppe die beiden Opfer getreten und geschlagen haben. Dies bestreiten die
Mitangeklagten und der Vorsitzenden Richterin fehlen die Beweise um den
männlichen Angeklagten dies nachzuweisen. Zwar gibt es Videoaufnahmen aus
der Straßenbahn, die zeigen wie die Angeklagten im Sommer Handschuhe
überziehen, aber nicht, wie sie zuschlagen. Nur wenige Zeugen haben den
Überfall gesehen, und wenn dann konnten sie nur eine komplett in schwarz
gekleidete Meute, aber keine Personen erkennen.
Opfer fordert mehr Engagement
Vor Gericht behaupteten die meisten Angeklagten, dass sie zügig geflüchtet
seien, als sie sahen, wie Sandra C. ihre Bierflasche auf dem Kopf von einem
der Opfer zerschlug. So blieb der Richterin nichts weiter übrig als die
Anklage wegen versuchtem gemeinschaftlicher Mord fallen zu lassen und nur
noch wegen zweifacher gefährlicher Körperverletzung zu ermitteln. Die
Staatsanwaltschaft hatte - da die Täter bei dem Übergriff den Tod der beiden
Opfer billigend in Kauf genommen – versucht die Täter wenigstens wegen
versuchtem Mord zu belangen.
In der Urteilsbegründung erklärte die Kammer, dass dieses Motiv jedoch nicht
nachweisbar gewesen sei, die Angeklagten hätten aber nicht desto trotz aus
"Hass auf politisch Andersdenkende" das Verbrechen begangen. Weshalb die
geständige 18-jährige Frau zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt
wurde und drei an der Tat beteiligte junge Männer je zwei Jahren auf
Bewährung bekamen. Ein weiterer Mann erhielt wegen unterlassener
Hilfeleistung nur eine Verwarnung.
Für den Anwalt eines der beiden Opfer war es trotzdem ein "faires und
angemessenes Verfahren". Eine Revision seines Nebenklägers sei eher
unwahrscheinlich, da "der Mordversuch nicht nachweisbar" war, sagte Anwalt
Stephan Martin. Für seinen Mandanten steht fest, dass "durch die welche
Strafen auch immer die Motivation der Täter nicht verändert werden kann." Er
fordert das Engagement aller zivilgesellschaftlichen Akteure sich
kontinuierlicher gegen Rechts zu engagieren, damit neonazistische Gewalt
verhindert wird, bevor sie passiert.
©
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de - 22.03.06
hagalil.com 23-03-2006 |