Antisemitische Fans:
In der Rechtskurve
Beim Spiel zwischen AS Rom und AS Livorno
zeigten die römischen Ultras antisemitische Transparente. In italienischen
Fußballstadien ist Nazi-Symbolik immer öfter zu sehen.
Von Filippo Proietti, Rom
Jungle World 7 v.
15.02.2006
Nur das stumpfe Geräusch, das beim Treten des Fußballs
erklingt, und die Pfeife des Schiedsrichters waren im Fußballstadion der
kleinen Stadt Rieti bei Rom zu hören, als am Mittwoch vergangener Woche die
Erstligapartie zwischen AS Rom und Cagliari stattfand. Es war ein
ungewöhnliches Match, das auf neutralem Boden vor leeren Rängen ausgetragen
werden musste.
Mit dieser Maßnahme und mit einer Geldstrafe von 5000 Euro wurde der AS Rom
vom Fußballverband bestraft, nachdem am Wochenende zuvor im römischen
Olympiastadion Transparente mit antisemitischen Sprüchen und Nazi-Symbolen
gezeigt worden waren. Beim Spiel zwischen AS Rom und dem toskanischen Verein
AS Livorno am 29.?Januar – ausgerechnet zwei Tage nach dem
Holocaustgedenktag – hatten die römischen Fans in der "Curva Sud" Fahnen mit
Haken- und Keltenkreuzen geschwenkt. Porträts von Mussolini und Transparente
mit Naziparolen und KZ-Sprüchen wurden gezeigt, faschistische Lieder und
"römische Grüße" komplettierten das Bild.
Dass es ein schwieriges Match werden würde, wusste die Polizei schon vor
Beginn des Spiels, als in der Nähe des Stadions sechs Molotowcocktails und
ein Transparent mit der Aufschrift "Wir haben euch lebend verbrannt"
gefunden wurden. Die römischen Ultras wollten mit den Molotowcocktails
zunächst die Busse der Livorno-Fans angreifen und dann das Transparent im
Stadion hissen. Die Polizei konnte aber im letzten Moment die Busse der
toskanischen Fans umleiten.
Für große Empörung, insbesondere bei der jüdischen Gemeinde von Rom, sorgte
die Weigerung der Polizei, das Match zu unterbrechen. "Trotz der Forderung
mehrerer jüdischer, aber auch nicht-jüdischer Fans von AS Rom, die Partie zu
unterbrechen und die Nazi-Fahnen und Transparente entfernen zu lassen, wurde
das Spiel fortgesetzt. Die Zuschauer, die dagegen protestierten, wurden
brutal entfernt", kritisierte der Sprecher der jüdischen Gemeinde in Rom,
Riccardo Pacifici.
"Das Einschreiten der Polizei in der Südkurve hätte nur Chaos ausgelöst",
erklärte der Polizeichef von Rom, Achille Serra. Offen bleibt jedoch, wie
solche Transparente und Fahnen trotz der starken Sicherheitskontrollen ins
Stadion gelangen konnten. Riccardo Pacifici ist der Meinung, dass dies nur
möglich sei, wenn diese Leute "Komplizen im Stadion haben".
Dank der Überwachungskameras im Olympiastadion konnten bislang bereits 40
Personen identifiziert werden, die an den antisemitischen Aktionen beteiligt
waren. Elf von ihnen seien angezeigt worden, gegen vier werde Anklage wegen
Volksverhetzung erhoben, teilte Innenminister Giuseppe Pisanu mit. Der
Minister erklärte zudem, die Organisatoren dieser Aktionen seien Anhänger
der rechtsextremen Gruppe Tradizione Distinzione, die mit der
neofaschistischen Partei Forza Nuova verbunden sei. Mit dieser Erklärung
löste Pisanu innerhalb seiner Koalition große Unruhe aus. Der Minister hatte
anscheinend nicht bedacht, dass der Vorsitzende von Forza Nuova, Roberto
Fiore, gerade erst ein Bündnis mit Forza Italia und der Wahlkoalition von
Silvio Berlusconi eingegangen war. Die Reaktion von Fiore fiel
dementsprechend hart aus: "Ich werde Pisanu wegen Verleumdung anklagen. Mit
den Nazis haben wir nichts zu tun."
In der Tat ist es nicht einfach, Forza Nuova mit der ultrarechten Gruppe
Tradizione Distinzione in Verbindung zu bringen. Forza Nuova hat zwar vor
zwei Jahren versucht, in der Südkurve unter den Fans von AS Rom Anhänger zu
rekrutieren. Das dauerte jedoch nicht lange. Denn die "Curva Sud", die in
den siebziger Jahren noch als links galt, ist seit Jahren in sechs bis
sieben kleine rechte Gruppen zersplittert. Zur radikalen Fraktion gehört die
besagte Tradizione Distinzione, deren Anhänger gerne Fahnen mit Haken- und
Keltenkreuzen schwenken. Insbesondere, wenn gegen Livorno gespielt wird.
Livorno ist der Feind, er ist der Verein, dessen Anhänger sich "Autonome
Brigaden" nennen, Che-Guevara-Fahnen schwenken und dessen Kapitän Cristiano
Lucarelli nach seinen Treffern mit der geballten Faust, dem kommunistischen
Gruß, jubelt.
Außer Tradizione Distinzione finden sich in der Südkurve des römischen
Olympiastadions auch Anhänger von Forza Nuova, Mitglieder der
neofaschistischen Wahlliste Fiamma Tricolore und die rechten Hausbesetzer
von "Casa Pound" (Jungle World 38/05). Letztgenannte nutzen gerne das
Stadion als politische Bühne, um ihre Forderungen kundzutun. Im vorigen
Jahr, während eines Spiels zwischen AS Rom und Lazio, vereinigten sie sich
sogar mit ihren Rivalen aus der Nordkurve – den Lazio-Fans – und zeigten
Transparente mit der Forderung nach Existenzgeld und nach staatlicher
Unterstützung beim Kauf von Eigentumswohnungen. Im Block der Südkurve gibt
es außerdem eine Menge Leute, die zwar den "saluto romano" vollführen und
"Duce, duce" grölen, im Grunde aber nichts weiter sind als faschistoide
Randalierer, die mehr mit Kleinkriminalität als mit Politik zu tun haben.
Die Lage in den Stadien ist dem italienischen Geheimdienst zufolge nicht zu
unterschätzen. In den letzten Jahren sei die Anzahl der rechtsextremen
Gruppen in den italienischen Fußballstadien stark angestiegen, konstatiert
er in seinem jüngsten Bericht ans Parlament. "Heutzutage haben diese
Gruppierungen das Umfeld der Ultras monopolisiert", heißt es im Text. Ein
Beweis dafür sei, dass "die römischen Ultrarechten eine ungewöhnliche
›Freundschaft‹ mit ihren Rivalen der Nordkurve pflegen". Dieses
unkonventionelle Bündnis kam bereits vor drei Jahren zustande, als die
faschistischen Ultras gemeinsam gegen die damals von der Regierung
beschlossene Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen in Fußballstadien
demonstriert hatten. Bei den Regionalwahlen in Lazio im vorigen Jahr machten
die Fans der beiden römische Vereine sogar gemeinsam Wahlkampf für den
Kandidaten der postfaschistischen Alleanza Nazionale, Giulio Gargano.
Die Geschichte antisemitischer und rassistischer Vorfälle in italienischen
Stadien ist lang und scheint nicht enden zu wollen. Die Transparente mit
Nazi-Aufschriften, die Auschwitz verherrlichen, oder der Hitlergruß, mit dem
Lazio-Kapitän Paolo Di Canio gerne seine Tore feiert, und rassistische
Lieder aus den Kurven sind nur einige Beispiele.
Während einer Partie gegen Inter Mailand im November 2005 verließ Marc Zoro,
ein afrikanischer Spieler von FC Messina, unter Tränen das Spielfeld und
ließ das Match unterbrechen. Jeder seiner Ballkontakte war damals von den
Inter-Fans mit rassistischen Chören begleitet worden. "Es ist mir zu viel,
ich kann nicht mehr spielen", sagte er. Das Fußball-Establishment – Verband,
Vereine und einzelne Spieler – zeigten, sich damals mit ihm solidarisch und
begann mit einer groß angelegten Kampagne "gegen Rassismus und
Diskriminierung" in den Fußballstadien. Viel scheint sie jedoch nicht
gebracht zu haben.
Erschreckend ist insbesondere die Tatsache, dass bei dem Spiel am 29.?Januar
nicht nur die Polizei, sondern vor allem die weiteren 40?000 Zuschauer
tatenlos zusahen, nichts wurde gegen die antisemitischen Aktionen aus der
Südkurve unternommen, kein Protest wurde laut. Dieses Schweigen wiegt
weitaus schwerer als die Stille im Stadion von Rieti am letzten Mittwoch.
Rechtsextreme Fans:
In den unteren Ligen
Bei Bundesligaspielen fallen rechtsextreme Fans mittlerweile seltener auf.
Neonazistische Hooligan-Truppen wie "Standarte 88" aus Bremen sind
Ausnahmen, fremdenfeindliche Pöbeleien im Schwinden...
Gegen Fremdenhass und Antisemitismus:
Mehr Respekt stadion
"Fremdenhass und Antisemitismus haben keinen Platz in
Fußballstadien", fordert der Präsident des Zentralrats der Juden in
Deutschland, Dr. h.c. Paul Spiegel...
hagalil.com 18-03-2006 |