In den Augen des Anderen:
Filme über
Israel/Palästina
Von Miriam Magall
An einem verschneiten Winterabend Anfang Februar, genauer, am
Freitag, 3. Februar 2006 ab 22.15 Uhr, lud arte, der
Fernsehkanal mit Anspruch auf Höheres, wieder einmal zu einem
Themenabend: Ein Traum von Heimat, Israel und Palästina, zwei
Völker, ein Land. Ein Thema, so griffig formuliert, dass es
zweifelsohne viele Zuschauer zum Verweilen einlud.
Ich habe
arte viele interessante Themenabende zu verdanken, u.a. auch
einen unvergesslichen über Terror. Nie wird mir wohl das Bild jenes
Selbstmordattentäters aus dem Gedächtnis gehen, dessen abgerissener
Kopf über das Straßenpflaster von Jerusalem rollt. Wann immer ich
von einem Selbstmordanschlag höre, ist es dieses Bild, das vor
meinem geistigen Auge auftaucht.
Ein "Traum von
Heimat" bietet glücklicherweise keine derartigen blutrünstigen
Bilder. Nein, es ist die seelische, die emotionale
Auseinandersetzung mit diesem Gebilde, das, je nach Betrachter,
Israel oder Palästina heißt. Zu Worte oder besser zu Bilde kommen
zwei Filmemacher, eine Israelin und ein Palästinenser.
Yulie Cohen
Gerstl berichtet von ihren Schuldgefühlen gegenüber den
Palästinensern. Die hat sie, weil ihr Vater dem Palmach
angehörte, der Vorläuferin der israelischen Verteidigungskräfte vor
der Staatsgründung. Vor laufender Kamera erklärt er seiner Tochter,
wie er an Vertreibungen arabischer Dorfbewohner beteiligt gewesen
sei. Es gibt auch handgreifliche Beweise für seine Worte. Denn
direkt neben dem Haus der Großeltern stehen die Reste eines
arabischen Hauses, das zu einem arabischen Dorf gehört, dessen
Bewohner von den vorrückenden Juden vertrieben wurden. Die
Großmutter, eine Überlebende eines "Arbeitslagers", wie Cohen Gerstl
diskret ein Nazi-Konzentrationslager nennt, stammt ursprünglich aus
Ungarn. Also bricht Cohen Gerstl auf ihrer Spurensuche nach Ungarn
auf. Das Haus, in dem ihre Großmutter aufwuchs, gibt es noch immer,
bewohnt wird es von Ungarn, die der Besucherin aus Israel strikt den
Zutritt verweigern. Aber das ist ganz in Ordnung, wie diese meint.
Ein Bezug zwischen den verlassenen Häusern der vertriebenen
arabischen Dorfbewohner und dem Haus der Großmutter, die ihrerseits
während der Schoa vertrieben wurde, wird überdeutlich hergestellt.
Danach ein Besuch auf Massada. Cohen Gerstl reagiert verständnislos,
vernimmt sie doch, der ganze Krieg gegen die Römer sei völlig
überflüssig gewesen. Denn Religionsfreiheit hätten die Römer den
Juden ohnehin gewährt. Wozu also dieser unnötige Aufstand? Ja, wozu
die ganze Staatsgründung? Die Vertreibung der Araber? Für Cohen
Gerstl ist klar: Hätte sie Söhne, sie würde das Land, in dem ihre
Familie seit sechs Generationen lebt, verlassen. Zum Glück für sie
oder für Israel (?) hat sie nur zwei Töchter.
Was für ein
Glück, dass es noch Israelis wie Yulie Cohen Gerstl gibt! Da braucht
man keine Hamas, die die Waffen gegen Israel erst niederlegen
will, wenn ganz Filastin, d.h. das Land zwischen Mittelmeer
und Jordan von den Juden befreit ist!
Völlig
unbeschwert von irgendwelchen Schuld- oder anderen störenden
Gefühlen gibt sich dagegen der palästinensische Filmemacher Nizar
Hassan. In Der Olivenhain erzählt er von seiner Suche nach
palästinensischer Identität. Er interviewt Onkel, Vater und
Großvater, die bereitwillig erzählen, wie es war, als die Juden
kamen. Weggelaufen seien sie, als sie hörten, dass sich die Juden
nähern, ist einstimmig aus aller Munde zu hören. Dass der Übersetzer
einmal -- falsch -- von "Vertreibung" anstelle von -- richtig --
"Davonlaufen" spricht, passt irgendwie in das Bild, das an diesem
Themenabend von Israel und Palästina gezeichnet wird.
Die "Juden"
haben es den Interviewten anscheinend angetan. "Juden" hätten sich
ihrem Dorf genähert, und sie seien geflohen, "jüdische Flugzeuge"
seien über sie hinweggeflogen, hätten sie aber nicht bombardiert,
und bei "Juden" hätten sie später auch Arbeit gefunden -- auf dem
Bau, als Lastwagenfahrer. Immer ist nur von "Juden" ist die Rede.
Der Filmemacher lebt im Staat Israel, ist Bürger dieses Staates.
Seine Bewohner heißen Israelis, jüdische oder arabische, die sich
heute palästinensisch nennen. "Jude" hängt dagegen mit "Judentum"
zusammen. Das ist eine Religion. Damit verstärken Araber im
Allgemeinen und Palästinenser, Filmemacher wie Schriftsteller von
heute insbesondere, unterschwellig gerne eine für sie ganz
wesentliche Aussage. Denn nach ihrem Verständnis bezeichnet der
Begriff Jude lediglich eine Religionsgemeinschaft. Und eine
Religionsgemeinschaft hat ihnen zufolge -- siehe die
Palästinensische Charta in ihrer Fassung vor der Änderung -- keinen
Anspruch auf einen eigenen Staat. Juden können überall leben, in
Deutschland, in Frankreich, in den USA und auch in Russland. In
Filastin haben sie dagegen nichts zu suchen. Das gehört den
Palästinensern, den Nachfahren der Kanaanäer, der Amoriter und der
Jebusiter, den wahren Anhängern Jesu, der auch ein Palästinenser
war, wie die bekannte palästinensische Politikerin Hanan Ashrawi zu
behaupten nicht müde wird.
Und noch etwas
fällt dem aufmerksamen Zuschauer auf: Im Film des Palästinensers
kommen stets nur Männer zu Wort. Es ist eine Männerwelt. Männer
blättern in alten Archiven, schieben Autos an oder schlagen mit
Stöcken Oliven von den Bäumen. Stets sind Männer aktiv. Und nur sie.
Man sieht auch ein paar Frauen, in der Tat. Aber abgesehen von der
Frau eines Onkels, die es wagt, einmal kurz und schüchtern
einzugreifen, um die Aussage ihres Mannes zu korrigieren, sitzen
oder stehen sie stumm neben ihren Männern.
Der Film des
arabischen Israelis Nizar Hassan ist, das sei abschließend
angemerkt, aus technischer Sicht, weitaus besser gemacht als der der
Israelin Yulie Cohen Gerstl. Während ihr Film auf Video gedreht
wurde, verwaschene Farben ihr Israel-Bild weiter verzerren und ein
schlechter Schnitt sein Übriges tut, um ihre Schuldgefühle zum
Ausdruck zu bringen, hat Hassan auf Film gedreht. Seine Farben sind
kräftiger, sein Grün ist ein richtiges Grün, der Himmel ist wirklich
blau, und die Gesichter der Menschen haben Charakter. Allein schon
diese Tatsache sagt viel über beide Filme und ihre Filmemacher aus.
Vielleicht ist
es auch kein Zufall, dass Hassans Film der visuell und technisch
bessere Film der beiden ist. Schließlich heißt sein Produzent Hany
Abu Assad, dessen weitaus bekanntereres Opus, Paradise Now,
für einen Oscar nominiert ist -- nachdem er bereits einen Preis auf
der Berlinale 2005 erhalten hat. Und genau diesen Film wollen wir
nun etwas näher unter die Lupe nehmen.
Paradise Now
und warum der Film nicht von der israelischen Filmförderung
unterstützt wurde. Es sind junge Männer, wie sie uns überall
begegnen. Gut aussehend und in gut sitzende Anzüge gekleidet. Wer
diesen Männern ein Leid antut, sollte bestraft werden. Aber nicht
nur wegen ihres Aussehens. Schließlich sind sie lediglich die
unschuldigen Opfer einer grundlosen, überflüssigen Besatzung. Die
unschuldigen Helden schreiten zu einer Tat, die von ihrem Anfang bis
zu ihrem Ende keine Opfer zeigt. Blutlos ist das Ganze. Die Gewalt
existiert lediglich in den Köpfen. Nur Nashefs sanfte Augen und dann
eine weiße Leinwand. Nicht einmal eine Detonation.
Der Gegner
bleibt, ein geschickter Kunstgriff, namenlos. Es gibt keine "Juden",
wie sonst so gerne in palästinensischen Filmen thematisiert, s.o.,
und auch kein "Israel". Das jüdische Israel existiert nur als "sie",
als "Besatzung", als "Töten und Tötung" oder als "Ungerechtigkeit",
für die es keine historische Rechtfertigung gibt.
Nur ein
einziger Jude kommt im ganzen Film vor. Er entspricht dann aber ganz
dem üblichen Klischee, das auch in Europa mehr als vertraut ist:
Fettleibig, hässlich, schon etwas älter, mit Bart, ist er, dieser
Abu Shabab, ein jüdischer Israeli, der die Terroristen nach Tel-Aviv
fährt und sie bis zum Parkplatz des Delfinariums bringt. "Viel
Glück!" wünscht er den Selbstmordattentätern, als er sich von ihnen
trennt. Denn Geld für seine Dienste erhält er erst nach der
"Operation", wie der Terroranschlag diskret umschrieben wird.
Warum musste
ausgerechnet ein jüdischer Israeli als Helfer der potenziellen
Terroristen genommen werden? Vorläufig hat es bei mehr als tausend
(1000!) Terroranschlägen lediglich drei jüdische Kollaborateure
gegeben! Statistisch betrachtet, handelt es sich bei den Helfern bei
Terroranschlägen überwiegend um arabische Israelis.
Und noch ein
uraltes antijüdisches Klischee wird bedient. Der Taxifahrer erklärt
Nashef, dass die Siedler die Brunnen um Nablus vergiftet haben. Das
taten sie, um den palästinensischen Kindern zu schaden. Nashef
erhebt keinen Einspruch. Genauso wenig wie vermutlich die Zuschauer
in Europa. Die Juden als Brunnenvergifter? Das klingt irgendwie
bekannt!
Danach kommen
wir zur nächsten Frage: Warum greifen diese netten jungen Männer zu
solch einer drastischen Maßnahme? Alle, nicht nur sie betonen wieder
und wieder, dass alle friedlichen palästinensischen Versuche zur
Lösung des Konflikts und der "ethnischen Säuberungen" fehl
geschlagen seien. Ergo, es bleibe ihnen gar nichts anderes übrig,
als diese Selbstmordattentate zu verüben. Nur mit dem Massenmord
jüdischer Israelis lasse sich dieses Problem lösen.
Klingt
ebenfalls irgendwie bekannt? In der Geschichte wollte man "die
jüdische Frage" ebenfalls durch Massenmord lösen. Das Böse, wie im
Juden verkörpert, muss mit Gewalt aus der Welt geschafft werden. Vor
über sechzig Jahren und auch heute noch!
Aber auch das:
Wenn solch nette junge Männer, die nicht anders sind als wir alle,
zu Selbstmordattentätern werden können, das ist die Botschaft von
Paradise Now, können auch wir selbst Selbstmordattentäter
werden. Und doch, diese beiden Mörder sind uns überlegen. Sie sind
nämlich Gottes Sohn, in all seiner Pracht und seinem Ruhm. Das zeigt
der nächste geschickte Kunstgriff.
Bilder
sprechen eine machtvolle Sprache. Bevor die beiden aufbrechen, um
sich zusammen mit nichtsahnenden Fahrgästen in einem israelischen
Bus in die Luft zu jagen, nehmen sie ihr letztes Mahl ein. Das
geschieht nicht allein, vielmehr essen sie in der Gesellschaft von
elf Männern -- das entspricht genau der Zahl der Teilnehmer an
Leonardo da Vincis berühmtem Letzten Abendmahl. Es gibt in der
christlichen Welt wohl nur wenige Christen, die nicht mit diesem
Gemälde vertraut sind. Ein moderner Jesus, ein unschuldiges Opfer.
In Israel hat
sich die Begeisterung des Publikums für diesen Film in Grenzen
gehalten, er wurde wegen fehlender Zuschauer bald aus dem Programm
genommen. Schon davor hat die Israel Film Foundation den Antrag der
Filmemacher auf Förderung abgelehnt. Damit hat sie sich einer
Gelegenheit beraubt, einen Film in bester Nazi-Propaganda zu
fördern. In anderen Ländern wiegen derartige Bedenken leichter.
Zusammen mit dem deutschen Film Sophie Scholl wurde auch
Paradise Now als Kandidat für den besten ausländischen Film in
Hollywood nominiert. Da möchte man doch eher Sophie Scholl
die Daumen drücken.
Themenabend
bei arte am 3. Februar 2006 ab 22.15 Uhr:
"Mein Land Zion" von Yulie Cohen Gerstl und
"Der Olivenhain" von Nizar Hassan, Produzent Hany Abu Assad und
"Paradise Now" von Hany Abu Assad. |