Selbstaufklärung ist das Gegenteil von
Selbstgerechtigkeit: Die verdirbt zurzeit das Ansehen der
Antisemitismusforschung und sorgt für einen hämisch beobachteten
Streit unter Institutionen und Wissenschaftlern. Ausgelöst durch
eine Rezension von Klaus Holz' "Die Gegenwart des Antisemitismus"
Von Micha Brumlik
Kurz nach Hitlers Machtübernahme - so der jüdische
Religionshistoriker Hans Joachim Schoeps in seinen Memoiren - habe
er in Berlin einen alten Bekannten aus der bündischen Jugend
getroffen, Hans Blüher, der in seinem Buch "Secessio Judaica" die
Juden aufforderte, von allen Assimilationsversuchen Abstand zu
nehmen. "Die Nazis", so Blühers Klage, "haben alles verdorben -
sogar den Antisemitismus."
Diese Zeiten sind endgültig vorüber - seit den Gaskammern von
Treblinka und Birkenau steht jeder, dessen Meinungen als
antisemitisch bezeichnet werden, unter dem nicht ganz unbegründeten
Generalverdacht, den Tod von Juden mindestens billigend in Kauf zu
nehmen. Das hat dazu geführt, dass der Vorwurf des Antisemitismus
als eine der schlimmsten Beleidigungen gilt, die man sich jenseits
des gewiss nicht kleinen rechten Milieus zufügen kann. Anders ist
nicht zu erklären, warum derzeit respektable Institutionen und
Personen ihr Ansehen damit ruinieren, an einem ausgewiesenen
Antisemitismusforscher, dem Politologen Lars Rensmann, der an der
Universität Potsdam lehrt und forscht, einen strategisch geplanten
Rufmord zu verüben. An diesem Unternehmen ist nicht nur der
Antisemitismusforscher Klaus Holz, der Kulturwissenschaftler
Matthias Lorenz, das Evangelische Studienwerk Villigst, sondern vor
allem eben auch die unverzichtbare Internetrezensionszeitschrift der
Berliner Humboldt-Universität mit dem sperrigen Namen HSozKult
beteiligt.
Nun werden sich viele Leser und Leserinnen fragen, warum in einer
Zeit, in der die Judenfeindschaft hierzulande nachweislich zunimmt
und der iranische Präsident dem Staat Israel sowie all seinen
jüdischen und nichtjüdischen Bürgern glaubhaft einen Genozid
androht, sich ausgerechnet die Antisemitismusforscher bis aufs
Messer bekriegen. Was hat sich eigentlich genau ereignet?
Am 25. Januar dieses Jahres publizierte HSozkult eine Rezension
zum Buch "Die Gegenwart des Antisemitismus. Islamische,
demokratische und antizionistische Judenfeindschaft" von Klaus Holz,
derzeit Studienleiter im Evangelischen Studienwerk. Die Rezension
entstammt der Feder des Kulturwissenschaftlers Matthias Lorenz, der
im vergangenen Jahr eine vorzügliche Monografie zum lebenslangen
Antisemitismus Martin Walsers vorgelegt hat. Im Fall dieser
Rezension scheint Lorenz jedoch von seiner sonst so sicheren
Urteilskraft verlassen worden zu sein: Seine überaus wohlwollende
Besprechung besteht vor allem aus der Kritik eines ganz anderen
Buches, einer präzisen, vorzüglichen Studie, die der Potsdamer
Politologe Lars Rensmann unter dem Titel "Demokratie und Judenbild"
2004 publiziert hat.
Dort hat Rensmann als Beleg für die Virulenz antisemitischer
Wahrnehmungsmuster auf der Linken eine vor mehr als drei Jahren in
der Zeitschrift Jungle World erschienene Kritik von Klaus Holz, Enzo
Traverso und Elfriede Müller an der "antideutschen" Solidarität mit
dem Staat Israel zitiert und den Autoren eine möglicherweise
antisemitische Wahrnehmungsstruktur unterstellt. Rensmann begründete
das mit dem Umstand, dass Holz unter anderem in der Jungle World
nicht nur ganz ungebrochen von Israels "Staatsterrorismus" schreibt,
sondern zugleich die Auffassung vertritt, dass der palästinensische
Terror als Reaktion auf diesen "Staatsterrorismus" zu erklären sei.
Gegen diese Kritik Rensmanns bringt Lorenz schwerstes Geschütz in
Stellung: "Rensmann gebärdet sich in seiner Dissertation wie ein
'Goldhagen der Antisemitismusforschung' " - als ob Goldhagens
Annahme eines "eliminatorischen Antisemitismus", wissenschaftlich
gewiss bestreitbar, nun nicht nur korrekturbedürftig, sondern
geradezu unmoralisch sei.
Mit derlei als Rezensionen getarnten Lobhudeleien, die in
Wahrheit nur als Vehikel für die in der Sache unbegründete Polemik
gegen einen Dritten gelten, wird jedoch das wissenschaftliche
Rezensionswesen missbraucht und der gute Ruf von HSozKult gefährdet.
Das scheint die Redaktion gemerkt zu haben, veröffentlichte sie doch
wenige Tage nach Erscheinen der Pseudorezension eine
Redaktionsnotiz, in der es unter anderem hieß: "Hier sind
redaktionelle Prinzipien verletzt worden: Die Schärfe der
Auseinandersetzung, der konfrontative Argumentationsstil und die
distanzierende Interpretation, die sich u. a. an aus dem Kontext
gelösten Zitaten festmacht, sind nicht nur für unbeteiligte Leser
irritierend. Ein umsichtiges Lektorat hätte dies vor der
Veröffentlichung korrigiert."
Damit freilich hatte die Affäre noch kein Ende, sondern nahm erst
richtig Fahrt auf. Wenige Tage später publizierte HSozKult nun eine
weitere Rezension zu Rensmanns Buch, was nach dem tendenziösen
Beitrag von Lorenz nur angemessen gewesen wäre. Allein: Der neue
Rezensent kann auch beim allerbesten Willen nicht als objektiv
gelten, handelt es sich doch um niemand anderen als den von Rensmann
kritisierten Klaus Holz selbst, was jeder professionellen Ethik des
Rezensionswesens ins Gesicht schlägt. Damit jedoch kein Ende: Holz
veröffentlicht seine Polemik auch noch auf der hauseigenen Website
des Evangelischen Studienwerks unter der Rubrik "Schriftenreihe".
Ein Fall für den Vorstand des Studienwerks, der darauf achten
sollte, dass sein Ruf nicht, wie schon in den Siebziger- und
Achtzigerjahren, durch den politischen Aktivismus seiner
Studienleiter in ein schiefes Licht gerät.
Man muss noch einmal fragen: Haben Antisemitismusforscher nichts
Besseres zu tun, als sich unter den hämischen Blicken einer sich nun
ausweitenden Öffentlichkeit bis aufs Messer zu bekriegen? Sollten
Sie ihre Kraft und Begabung nicht vor allem dafür einsetzen, dem
rassistischen und radikal-islamistischen Judenhass nachzugehen?
Haben wir es nicht einfach mit einem Fall akademisch verbrämten
Irrsinns zu tun?
Aber so einfach ist es nicht. Tatsächlich handelt es sich bei den
Einlassungen von Lorenz, Holz und anderen um ein weiteres, letztes
Gefecht einer unbelehrbaren Linken, die der Auffassung ist, dass der
Staat Israel sich den Terrorismus letztlich selbst zuzuschreiben
hat. Dieser Auffassung hat sich eigenartigerweise auch die liberale
Zeit angeschlossen, als sie es Holz erlaubte, in einem Beitrag
mitzuteilen, dass sich der islamistische Hass zumal von
Palästinensern gegen Israel von allen Formen des historisch
bekannten Antisemitismus dadurch unterscheide, dass es diesmal nicht
nur um paranoide Wahnideen, sondern um reales Verhalten von Juden
gehe. Als ob es nicht wirklich jüdische Wucherer, mörderische
jüdische Bolschewiki sowie raffgierige jüdische Hausherren im
Frankfurter Westend gegeben hätte.
Sowenig diese Umstände Judenhass erklären und rechtfertigen
können, so wenig ist die israelische Besatzungspolitik für den
genozidalen Hass auf den israelischen Staat verantwortlich zu
machen. Das aber ist letztlich die These von Klaus Holz - und zwar
seit mehreren Jahren. Es scheint, als ob ein Teil der Linken immer
noch nicht wahrhaben will, dass Judenhass der abendländischen Kultur
- zu der die islamische Welt in diesem Zusammenhang gehört - von
Anfang an bis in die Gegenwart eingeschrieben ist.
Das gilt für alle: für Gut- und Böswillige, für Juden und
Nichtjuden. Auch der Autor dieser Zeilen kann sich davon nicht
ausnehmen: Auch ich habe des Öfteren pauschal von "den Zionisten"
geredet, anstatt präzise von "jenem rechtsnationalistisch,
aktivistisch agierenden Teil der gegenwärtigen Regierung des Staates
Israel" zu schreiben. Tatsächlich habe ich Anfang der Achtzigerjahre
zu Protokoll gegeben, mich angesichts der von Scharon verantworteten
Massaker in Sabra und Schatila an Babi Jar erinnert zu fühlen. Würde
mir jemand deshalb Antisemitismus vorhalten - ich würde schlucken
und erst einmal nachdenken, anstatt mich - wie Holz und Co - auf
einen ebenso lächerlichen wie rufmörderischen Kriegspfad zu begeben.
Antisemitismusforschung ist überhaupt nur als Teil eines nicht
abschließbaren Selbstaufklärungsprozesses denkbar. Das Gegenteil
aller Selbstaufklärung aber ist Selbstgerechtigkeit.
Klaus Holz: "Die Gegenwart des Antisemitismus. Islamistische,
demokratische und antizionistische Judenfeindschaft". Hamburger
Edition 2005