"Eine neue Freundin":
Pressereaktionen auf Merkel
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Im schnelllebigen Israel, wo die Räumung illegaler, von
der Regierung nicht genehmigter Siedlungen in Hebron und Atzmona anstanden,
sowie die Vorstellung der Parteiliste von "Kadima", der großen neuen Partei
Ariel Scharons, jetzt unter der Führung von Ehud Olmert, war Angela Merkels
Besuch kaum mehr ein Thema.
Die auflagenstärkste Jedijot Achronot brachte nur noch auf
Seite 19 zwischen Todesanzeigen und Börsenkursen ein Bild Merkels in der
Holocaustgedenkstätte Jad Vaschem mit der Überschrift "Ich schäme mich".
Maariv veröffentlichte nicht einmal ein Bild der Bundeskanzlerin, obgleich
sie sich am Vortrag mit führenden israelischen Politikern und dem
Staatspräsidenten getroffen hatte. Nur beiläufig wurde sie in einem großen
Artikel zur Haltung Europas zur Hamas erwähnt.
Die angesehene Zeitung Haaretz brachte auf Seite 6 ein Foto von Merkel mit
dem Palästinenserpräsidenten Mahmoud Abbas, widmete die Texte aber eher dem
Umgang mit dem Wahlsieger in den Palästinensergebieten, der
Hamas-Organisation. Auf einer Spalte wurde Merkels Tag in Israel
beschrieben, mit Zitaten aus ihren zahlreichen politischen Treffen. Zu ihrem
Besuch in Jad Vaschem hieß es kommentierend, dass Merkel der Gedenkstätte
zweieinhalb Stunden widmete, "sehr viel mehr als üblich bei Besuchen von
Staatsgästen".
Ausführlich wurde in der israelischen Presse über den Merkelbesuch freilich
schon am Montag berichtet, als die meisten Gespräche in Israel und ihr
Besuch in Ramallah noch bevorstanden. Am Montag Abend hatte sie sich nach
ihrer Ankunft in Jerusalem nur mit dem amtierenden Premierminister Ehud
Olmert getroffen und eine vielbeachtete Pressekonferenz gegeben.
Yedioth Aharonot berichtete in mehreren Artikeln über den Besuch Merkels und
titelt "Eine neue Freundin". Da wurde auch die Differenz zu ihrem Vorgänger
beschrieben, nicht nur in Herkunft und Geschlecht, sondern auch in der
Haltung, die sie gegenüber Israel einnehme. Frau Merkel demonstriere eine
sehr herzliche und eine bisher nicht gekannte freundliche Beziehung. -
Dieser Tenor war typisch auch für die Berichterstattung in der
elektronischen Presse: Israel habe in Deutschland einen verlässlichen
Partner.
Im Fernsehen bezeichnete Moderator David Witztum die Kanzlerin voller
Bewunderung nicht nur als der neue "starke Mann" in Deutschland sondern auch
als eine bemerkenswert schnell bewährte Spitzenpolitikerin ganz Europas. Er
unterstrich ihre DDR-Vergangenheit und ihre Fähigkeit, sich ausgerechnet in
einer Partei, wo traditionell Männer das Sagen hätten und die "eher in
Bayern" beheimatet sei, dennoch mit Erfolg viel schneller als erwartet
behauptet zu haben.
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com
hagalil.com 01-02-2006 |