In guter Tradition:
Zipi Livni nach Wien
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Den Palästinenserpräsidenten für "irrelevant" zu
erklären hat in der israelischen Politik schon Tradition. Ariel Scharon
erklärte Jassir Arafat im Dezember 2001 für "irrelevant", nachdem der den
Mördern des israelischen Tourismusministers Rehabeam Zeevi in seinem
Hauptquartier in Ramallah, der Mukata, Asyl vor ihren israelischen Häschern
gewährt hatte. Für Scharon hatte damit Arafat als "Friedenspartner"
ausgedient. Ohnehin waren alle Versuche der Amerikaner und anderer
Vermittler gescheitert, das Blutvergießen der Intifada zu beenden. Für
Scharon machte es angesichts dieses "Vertragsbruchs" keinen Sinn mehr, noch
auf Arafat zu setzen, durch einen "Friedensdialog" zu einem Abkommen zu
gelangen.
Zipi Livni bewegte sich in guter Tradition ihres Ziehvaters Scharon, als sie
mehrmals und im vollen Bewusstsein Arafats Nachfolger, Mahmoud Abbas,
ebenfalls für "irrelevant" erklärte. Ihre Argumente sind einsichtig: Abbas
hatte sich wiederholt dazu verpflichtet, "Eine Autorität, ein Gewehr" zu
schaffen, also das Machtmonopol der Autonomiebehörde wieder herzustellen und
alle Milizen, darunter auch die Hamas, zu entwaffnen. Mit einem Hinweis auf
die eigene Schwäche und die Befürchtung eines Bürgerkriegs unter den
Palästinensern, weigerte sich Abbas, gewaltsam gegen Milizen und
Privatarmeen vorzugehen. Livni hat deshalb einen bestehenden Zustand korrekt
beschrieben. Abbas ist in der Tat nicht sehr relevant oder handlungsfähig,
wenn es darum geht, in den Palästinensergebieten einen Zustand der
Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen und illegale Waffen einzusammeln oder
"Terroristen" dingfest zu machen.
Doch die junge Außenministerin Israels steht mitten im Wahlkampf und hält
nicht das Amt eines Analytikers der Machtverhältnisse unter den
Palästinensern. Sie ist Politikerin und ihre Sprüche sind Programm.
Bezeichnenderweise hat der amtierende Ministerpräsident Ehud Olmert genau
das Gegenteil erklärt und den Willen bekundet, an Abbas festzuhalten. Man
könnte meinen, dass Livni und Olmert sich im verschlafenen Wahlkampf die
Aufgabe geteilt hätten, jeweils linke und rechte Wähler für das Sammelbecken
der Kadima-Partei zu sammeln, ungeachtet der Widersprüche ihrer Aussagen.
Nicht nur Israel ist ratlos, wie es mit den Palästinensern umgehen sollte.
Mahmoud Abbas ist mit großer Mehrheit zum Nachfolger Arafats, Chef der
Fatah-Partei und der PLO gewählt worden. Er hat die Politik der
Autonomiebehörde zu bestimmen und muss letztlich auch Friedensverhandlungen
mit Israel führen. Die Verträge mit Israel sind nicht mit der
Autonomiebehörde, sondern mit der PLO als Vertreterin des palästinensischen
Volkes abgeschlossen worden.
Jetzt hat sich aber ein Zustand ergeben, die von den Vätern der
palästinensischen Verfassung (Grundgesetze) nicht vorhergesehen worden war.
Bis zu den Wahlen am 25. Januar war es schlicht unvorstellbar, dass die
Fatah entmachtet werden könnte und ausgerechnet die Hamas eine Mehrheit im
Parlament erlangen könnte. Bei den Palästinensern gibt es keine Gesetze, die
neben Vorkehrungen für demokratische Wahlen auch Gesetzestreue zur Bedingung
für die Legalität von Parteien machen. In den meisten europäischen Staaten
wäre die Hamas verboten worden, weil sie gegen den Bestand des "Staates"
ist. Die Hamas will die Grundfesten der Autonomiebehörde, die Osloer
Verträge mit Israel, abschaffen. Jenseits politischer
Meinungsverschiedenheiten sind in Europa gewählte Abgeordneten verpflichtet,
einen Eid auf die Verfassung zu schwören und sich für den Bestand ihres
Staates einzusetzen.
Für Israel besteht jetzt das Dilemma, dass Mahmoud Abbas eine "lahme Ente"
ist, weil er zwar die Politik bestimmt, aber eine Regierung erhält, die ganz
andere Vorstellungen hat. Für Israel stellt sich die Frage, welchen Sinn es
macht, mit Abbas Verträge auszuhandeln, wenn nicht einmal die alten Abkommen
eingehalten werden und neue Verträge keine Chance haben, vom neuen Parlament
mit Hamas-Mehrheit abgesegnet zu werden. Da fragt sich Zipi Livni, ob Abbas
noch relevant ist, während Olmert an Abbas festhält, weil er bei den
Palästinensern der einzige verbliebene Gesprächpartner mit gewissem Einfluss
ist. Olmert weiß, das die Palästinenser Israels Nachbarn bleiben werden,
auch wenn die extremistische Hamas das Sagen haben wird. Ob Abbas irrelevant
ist oder nicht, werden die Palästinenser für Israel immer relevant bleiben.
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com
hagalil.com 28-02-2006 |