[haGalil Notausgabe]
Netzwerkgesellschaften:
Die große Welle aus Dänemark
Funktioniert die
Welt wie ein globales Netzwerk, in dem alles mit allem verbunden ist?
Und wie lässt sich in solch chaotischen Systemen Stabilität herstellen?
Einige soziologische Erkenntnisse aus der weltweiten Aufregung um die
dänischen Karikaturen.
Von Lars Qvortrup
Der Flügelschlag eines Schmetterlings
über dem Pazifik kann Tornados in Japan hervorrufen, so der Wahlspruch
der Chaostheorie vor einigen Jahren. Mit den Karikaturen in einem
dänischen Provinzblatt, die zu sozialen Unruhen in der muslimischen Welt
geführt haben, wurde die Chaostheorie inzwischen Wirklichkeit.
Für mich als Dänen ist diese Angelegenheit eher unehrenhaft. Aber für mich
als Soziologe ist sie interessant. Wenn man die Chaostheorie in die
Soziologie transferieren würde, fällt einem zunächst Manuel Castells'
Theorie der globalen Netzwerkgesellschaft ein. Scheinbar wird sie
derzeit bestätigt. Eher banale Äußerungen verbreiten sich wie digitale
Epidemien. Diplomatie funktioniert über Webseiten und SMS-Kampagnen. Die
Welt im Aufruhr - aufgrund einer Lokalzeitung eines kleinen Landes.
Aber ist es richtig, daraus zu folgern, dass wir in einer global
verbundenen Netzwerkgesellschaft leben? Ich behaupte, diese Erklärung
ist zu einfach. Castells ist auf der richtigen Fährte, irrt sich aber,
wenn er sagt, dass die Welt wie ein globales Netzwerk funktioniert, in
dem alles passieren kann und in dem jeder mit jedem verbunden ist. Und
es ist natürlich medienwirksam zu behaupten, die Welt schiene außer
Kontrolle. Dennoch sind dies Simplifizierungen.
Warum stimmt das nicht? Zunächst, weil die Netzwerkepidemie, die wir
gerade miterlebt haben, nicht die Regel, sondern die Ausnahme ist. Hinzu
kommt, dass es keine direkte Verbindung zwischen den Karikaturen und den
sozialen Unruhen in der muslimischen Welt gibt. Sie lösten lediglich
bereits existierende dynamische Kräfte aus. Selbst wenn ich die
Karikaturen nicht geschmackvoll finde, die Demonstrationen und
Brandstiftungen sind streng genommen nicht von der dänischen Zeitung
verursacht worden.
Um also das derzeitige Geschehen zu begreifen, schlage ich Niklas Luhmanns
Theorie der globalen Kommunikation vor. Luhmann betont ebenfalls, dass
man unsere heutige Gesellschaft als globales Netzwerk kennzeichnen kann.
Wie Castells steht er der Idee, dass die Gesellschaft hierarchisch
gegliedert sein soll mit einer Regierungsmacht an der Spitze, sehr
skeptisch gegenüber. (Fragen Sie mal den dänischen Premier Anders Fogh
Rasmussen, er hat bestimmt gemerkt, dass er keine Kontrolle
hat.) Es gibt nicht den rationalen Allmächtigen, der die Fäden in der Hand
hält. Unsere moderne Gesellschaft ist polyzentrisch.
Sie ist jedoch nicht entfesselt, sondern erstaunlich stabil - selbst noch
nach so einer erstaunlichen Irritation wie jetzt. Dies ist Luhmanns
wichtiger Beitrag zum Verständnis der heutigen Welt. Er zeigte, dass
Stabilität nicht von Rationalität und zentralisierter Kontrolle abhängt.
In einer modernen Gesellschaft ist die Alternative zum Gleichgewicht
nicht Chaos, sondern Komplexität, so Luhmann. Polyzentrismus führt nicht
zum Chaos, sondern zu dynamischer Selbststabilisierung, zu Komplexität.
Warum? Zunächst ist unsere moderne globale Gesellschaft nach Luhmann kein
riesiges Netzwerk, sondern besteht aus einer großen Anzahl lose
verbundener Netzwerke. All diese Netzwerke beeinflussen und stören sich
gegenseitig, sind aber nicht direkt miteinander verbunden. Demnach
können Karikaturen in der Jyllands-Posten soziale und kulturelle
Netzwerke im Libanon oder in Syrien reizen. Aber diese Netzwerke
funktionieren nach ihren eigenen inhärenten Mechanismen.
Sie sind in sich geschlossen, lediglich strukturell verbunden und besitzen
zahlreiche Blockiermechanismen. Unter normalen Umständen führt dies zu
einer dynamischen, selbst regulierenden Stabilität. Wobei
Selbstreflexion einer der Wege ist, auf denen soziale Netzwerke ihre
interne Stabilität wiederherstellen. Genau das geschieht jetzt. Wirft
man einen Blick in dänische Zeitungen, fallen einem sogleich die
zahlreichen Leserbriefe auf. Jeder Kolumnist und Meinungsmacher (auch
ich) diskutiert, ob freie Meinungsäußerung uneingeschränkt gilt oder ob
Rechte, so wie überall, mit Pflichten verbunden sind. Der allgemeine
Effekt dieses Prozesses öffentlicher Selbstreflexion ist die
Wiederherstellung eines stabilen Normalzustands.
Aber Luhmann erklärt nicht nur, warum Chaos die Ausnahme bleibt. Er warnt
auch davor, dass es eine stets mögliche Gefahr darstellt. Unter sehr
speziellen Umständen treten in einer global vernetzten Welt demnach
Wellen von selbst wachsenden Störungen auf. Zum Beispiel kann eine
Demonstration vom einen auf ein anderes Land übergreifen. Diese
Reaktionen wurden nicht direkt von den Karikaturen ausgelöst. Es ist
eher so, dass eine Reaktion die nächste hervorruft. In Bezug auf die
derzeitige Welt hat Luhmann fast prophetisch angenommen, dass der
Übergang in ein globales Sozialsystem mit vielen Netzwerken zu einem
"erhöhten Grad an sozialer Instabilität" führen wird. Der Vorteil einer
polyzentrischen Gesellschaft ist, dass sie viel schneller reagieren kann
als eine zentralisierte Gesellschaft. Ihr Nachteil ist, dass aufgrund
des Mangels von Irritationskoordination eine Gesellschaft nur verärgert
reagieren kann.
Das erleben wir momentan: ein hohes Maß an Frustration, hervorgerufen
durch die Tatsache, dass man nichts machen kann. Weil der grundlegende
soziale Mechanismus eine strukturelle Querverbindung zwischen
unterschiedlichen sozialen Systemen ist, entwickeln sich diese globalen
Netzwerksysteme unvorhersehbar. Das Resultat ist ein Zustand globaler
Neurose.
Überraschend ist das keinesfalls. Schließlich scheint, verglichen mit dem
traditionellen Selbstverständnis der sozialen Akteure, derzeit alles
verdreht. Erstens erscheint politische Kontrolle auf einmal als ein
Risiko, nicht als Sicherheit. Nicht nur vor einem demokratischen, auch
vor einem pragmatischen Hintergrund ist es richtig, dass der dänische
Premier nicht die Medien kontrollieren kann. Es ist riskant, dass dies
in Ländern wie Iran und Syrien nicht der Fall ist. Nicht ihre Waffen
sollte man fürchten, sondern den Mangel an Abgrenzung zwischen Religion,
Medien und Politik.
Zweitens erleben einflussreiche soziale Akteure wie Premierminister und
Wirtschaftsbosse eine massive Identitätskrise. Sie dachten, sie wären
bei dem Spiel die Könige, und nun zeigt sich, dass sie lediglich Bauern
sind.
Drittens wird deutlich, dass selbst Dänen Teil einer globalen Gesellschaft
sind, selbst wenn reaktionäre Kräfte das nicht wahrhaben wollen. Aus
dieser Perspektive kann man die Initiative von Jyllands-Posten als
nützlich bewerten: Auf ziemlich ironische Weise hat die konservativste
Zeitung gezeigt, dass Dänemark, dieses kleine reaktionäre Land, ein Teil
der globalen Gesellschaft der Netzwerke ist und sich auch so verhalten
muss.
Aus dem Englischen von B. Höhn
Der Autor ist Professor an der Universität Süddänemark in Odense.
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Albert Einstein über Dänemark
..."We shall never forget the heroic
effort of righteous nations, like the people of a small scandinavian country,
... who did all in their power to protect jewish lifes"...
Albert Einstein (mpg hören) / Text
Wegen Mohammed-Karikaturen:
Internet-Portale gehackt
Das größte deutsche Internetportal zu jüdischen Themen,
Nahostpolitik, Bekämpfung von Antisemitismus und rechtem Extremismus ist gehackt
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