[haGalil
Notausgabe]
Qui bono?
Wie der Aufstand gegen die Karikaturen zustande kam
von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 11. Februar 2006
Die
Chronologien, von der ersten Veröffentlichung der Karikaturen in
Jyllands-Posten am 30. September bis zu den gewalttätigen Demonstrationen
Ende Januar, liefern keine Erklärung für das Ausmaß der Proteste und den
relativ nichtigen Anlass. Einige Karikaturen wurden im Oktober in der
ägyptischen Zeitung El Fadscher nachgedruckt, ohne jegliche Reaktionen
auszulösen.
Asharq Al-Awsat, eine in London erscheinende Zeitung, hat den Ablauf aus
arabischer Sicht veröffentlicht. Die zwölf Karikaturen provozierten nach
ihrer Veröffentlichung in Aarhus zunächst nur inner-dänische Proteste. In
Dänemark residierende islamische Geistliche äußerten Protest. Auch der
ägyptische Botschafter in Kopenhagen meldete sich zu Wort, während in
Ägypten Wahlkampf herrschte und Präsident Mubarak alles tat, den
Moslembrüdern keinen Wahlsieg zu gönnen. Derartige diplomatische Demarchen
sind durchaus üblich ohne als "Einmischung in innere Angelegenheiten"
zurückgewiesen zu werden. So sprachen Amerikaner und Israelis über
diplomatische Kanäle in Kairo vor, als während des Ramadan die
antisemitische Fernsehserie "Der weiße Reiter" zur besten Sendezeit
ausgestrahlt wurde. Kairo verwies selbstverständlich auf die
"Pressefreiheit".
Die Karikaturen-Affäre "verschwand von den Radarschirmen, bis Scheich
Youssef al Qardawi sie bei dem Fernsehsender Al Dschesira aufgriff",
berichtet die Londoner Zeitung. Der Scheich rief über den von Millionen
Menschen beobachteten Sender zu weltweitem Protest der Moslems auf. Quardawi
ist bekannt als einer der radikalsten und zugleich einflussreichsten
muslimischen Geistlichen überhaupt. Vor drei Jahren rief er dazu auf, nach
Konstantinopel auch Rom zu erobern. Gemeint war Westeuropa. Die Moslems in
Europa sollten die Islamisierung Europas vollbringen.
Als nächstes
schürten Diskussionsforen im Internet die Emotionen. Die Königin von
Dänemark verabscheue "Araber und Moslems", wurde da verbreitet.
www.alsaha.com habe eine besondere Rolle gespielt. Die Betreiber dieser
"extremistisch islamischen" Internetseite sitzen in Katar. Sie hetzen gegen
die US-Präsenz im Irak und befürworten die Entführung von Ausländern. Die
Vereinigten arabischen Emirate gängeln islamische Extremisten, lassen aber
die Internet-Seite bestehen, so wie sie auch Al Dschesira gewähren lassen,
Osama bin Laden Videos auszustrahlen. Über 100.000 Menschen klicken
angeblich täglich die Internetseiten von www.alsaha.com an.
Die
Empörung über die dänischen Karikaturen wuchs, sowie Al Dschesira TV seine
Berichterstattung darüber intensivierte. Der dänische Ministerpräsident
Anders Rasmussen trat bei Al Dschesira auf, um sich zu entschuldigen. Eine
dänische Korrespondentin in Tel Aviv beobachtete die Sendung und bemerkte,
dass die formelle Entschuldigung ihres Premierministers nicht übersetzt
wurde. So behauptete der Sender aus Katar weiter, dass Dänemark eine
Entschuldigung verweigere. Die Wahrheit liege in der Mitte, schreibt die
Zeitung. Denn Rasmussen wollte sich nicht im Namen der Zeitung
entschuldigen, die freilich ihrerseits eine Entschuldigung veröffentlicht
hatte. Gleichwohl fuhr Al Dschesira fort, über die dänische Beleidigung und
die muslimische Empörung ausgiebig zu berichten. Selbst der Untergang einer
ägyptischen Fähre im Roten Meer mit über tausend Toten wurde bei Al
Dschesira nur unter "ferner liefen" vermeldet. Rasmussen wandte sich an den
Konkurrenzsender al Arabijah, aber Al Dschesira blieb dabei, dass Dänemark
keine Gewissensbisse äußere.
Die arabischen Zeitungen hätten relativ
"objektiv" über die Karikaturen und die Reaktionen in der arabischen Welt
berichtet. Nur die Schlagzeilen seien "ziemlich reißerisch" gewesen,
schreibt Asharq Al-Awsat. Die Entschuldigung von Jyllands-Posten sei von
"vielen arabischen Zeitungen" unterschlagen worden.
Eine große Rolle spielten wohl auch SMS Botschaften, die organisiert an
Handy-Besitzer übertragen wurden. So wurde in Dänemark auf diesem Weg das
Gerücht verbreitet, wonach in Kopenhagen Koran-Bücher öffentlich verbrannt
werden sollten. Diese Meldung machte die Runde in der ganzen arabischen Welt
und provozierte auch Kommentare gutgläubiger israelischer Experten: "Das ist
doch nun wirklich eine überflüssige Provokation". Tatsächlich war es ein
böswilliges Gerücht, das elektronisch millionenfach verbreitet wurde. Dessen
Glaubwürdigkeit überprüfte niemand.
Die Londoner Zeitung schließt
ihren Artikel mit der Feststellung: "Die Berichterstattung über die
Karikaturen-Kontroverse wurde nicht nur per Fernsehen oder Zeitungen
verbreitet. Sie bediente sich aller Medien. Es war eher eine Kampagne denn
Berichterstattung."
(c) Ulrich W. Sahm, hagalil.com
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