Nicht immer legal:
Blutiger Wahlkampf
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Ahmad Yousef Abdel Jabbar Hassuna, 36, hatte an sein Haus
im Rafidijeh Viertel in Nalus im Westjordanland ein Plakat mit dem Bild des
Fatah-kandidaten Ghassan El-Shak'a gehängt. Angesichts der tausenden Plakate
aller politischen Färbungen eigentlich kein ungewöhnlicher Vorgang. Aber am
Montag Abend, zwei Tage vor den Wahlen, erschienen markierte Männer mit
ihren automatischen Waffen bei Hassuna und forderten ihn auf, das Plakat zu
entfernen.
Hassuna weigerte sich und die Männer zogen ab. Gegen zwei Uhr morgens
erschien eine Gruppe von zehn schwer bewaffneten Männer bei Hassunas Haus,
und versuchte, das angeklebte Plakat selber zu entfernen. Deren Stimmen
weckten Hassuna. Mit einer Pistole in der Hand begab er sich vor seine
Haustür. Die unbekannten Männer streckten ihn nieder mit einem Kopfschuss.
Hassuna war auf der Stelle tot.
Dieses ist der jüngste und wohl schlimmste Vorfall während der
palästinensischen Wahlkampfkampagne, die einer unbekannten Zahl von
Palästinensern das Leben gekostet hat.
Am Freitag erhielt Suleiman Daoud Abu 'Oshbiya, 24, stellvertretender
Koordinator der liberalen "Dritte Weg Partei" einen Anruf von dem ihm
unbekannten Abu 'Oshbiya mit der Aufforderung, nach Gaza zu kommen, um
Propagandamaterial abzuholen. Sowie er im Al-Maghazi Flüchtlingslager vor
sein Haus getreten war, standen fünf Bewaffnete bereit und schossen auf ihn.
Vier Kugeln trafen ihn in die Füße und eine fünfte in die Hand. Er liegt
jetzt im Schifa-Krankenhaus in Gaza.
Am Freitag wurde der 11 Jahre alte Mohammed Bassam Shuhaiber durch eine
Kugel in den Bauch verletzt. Immer wieder wurde bei Wahlkampfveranstaltungen
in die Luft geschossen, was die Teilnehmer an den Versammlungen akut
gefährde, kritisierte die PCHR. Die Angehörigen des "versehentlich"
verletzten Kindes zertrümmerten das Auto des mutmaßlichen Schützen, ein
Fatah-Mann und zudem Mitglied der Sicherheitskräfte.
Am vergangenen Mittwoch wurde Bassel Kamel al-Sha'er, 20, aus Rafah bei
einer Wahlkampfversammlung versehentlich durch eine Gewehrkugel getötet.
Das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte (PCHR) hat die Fälle
dokumentiert und eine Bestrafung der Täter gefordert.
Mit eigenen Beobachtern, darunter auch drei Frauen, stellte die PCHR fest,
dass bis 15:00 Uhr am Montag neunzig Prozent, 53227 von 58705
Sicherheitsleuten in Gaza und im Westjordanland vorzeitig ihre Stimme in
ihren jeweiligen Heimatorten abgegeben hätten. Da sie am Wahltag Wache
stehen sollen, um befürchtete Überfälle auf Wahlbüros abzuwenden, wurde
ihnen erlaubt, seit Sonntag zu wählen. Die PCHR Beobachtet wollen an einigen
Lokalen Verstöße gegen die Wahlgesetze beobachtet haben. So hätten einige
Wähler Plakate ihrer Lieblingskandidaten mitgebracht.
An manche Polizeifahrzeuge seien zudem Wahlplakate geklebt worden und einige
Sicherheitsleute hätten Flaggen der Fatah geschwenkt, was als Verstoß gegen
die Wahlpropaganda-Gesetze gilt. Laut Gesetz gegen Kinderarbeit sei es auch
verboten, Kinder unter 15 gegen ein Entgelt zu missbrauchen, an
Straßenkreuzungen Propagandamaterial auszuteilen. Mehrere Parteien hätte
sich laut PCHR dieses Vergehens schuldig gemacht.
In der Al-Sousi Moschee im Schati Flüchtlingslager in Gaza machte sich der
Imam eines Verstoßes zugunsten der Hamas schuldig, für die "Wechsel und
Reform-Liste", die für die islamistische Hamas-Organisation steht, geworben
und andere Parteien verunglimpft zu haben. "Einige Moschee-Gänger zogen den
Imam von Prediger-Podest herunter noch ehe er ausgesprochen hatte",
berichtet PCHR. In und vor der Moschee entwickelte sich der Streit zu einer
Prügelei. Ähnliches passierte in einer Moschee in al-Zahra im Süden von
Gaza. "Einige Beter wurden wütend und bewarfen den Prediger mit
Wasserflaschen", kommentierte die Menschenrechtsorganisation und fügte
hinzu: "In der Moschee entstand eine heftige Bewegung", was anders übersetzt
auch Tumult oder Aufruhr bedeuten kann.
Auch die Fatah verstieß gegen das Verbot, in Moscheen, Kirchen, nahe
Hospitälern oder öffentlichen Gebäuden Wahlveranstaltungen abzuhalten. In
der Scheich Mohammed 'Awad Halle in der al-Azhar Universität in Gaza hätten
sich Fatah-Führer und Akademiker getroffen, darunter auch Intissar al-Wazir
(Um Jihad), die Frau des von den Israelis in Tunis ermordeten Stellvertreter
Arafats und Ministerin in Arafats Kabinett.
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com
hagalil.com 25-01-2006 |