Alter Verdacht gegen Scharon:
Schwung für den Wahlkampf
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
"Die Wähler sollten wissen, wen sie wählen", sagt ein
Sprecher der Organisation für "saubere politische Kultur" in Israel.
Hinterbänkler des israelischen Parlaments riefen im Rundfunk schon zu einem
Rücktritt von Ariel Scharon auf, während andere sich daran störten, dass die
Untersuchung einer vier Jahre alten Korruptionsaffäre um Spendengelder für
den Premierminister wohl nicht mehr rechtzeitig vor den Wahlen abgeschlossen
werden könne. Ein Kommentator verglich die komplizierten Geldflüsse von
Südafrika über Österreich zu den Jungfraueninseln und bis zu Scharons Farm
bei Sderot mit den Blutströmen durch die Venen Scharons zu dem angeborenen
Loch im Herzen, das am Donnerstag in einer Tel Aviver Kinderklinik mit Hilfe
eines Katheters gestopft werden solle.
Die Affäre um den österreichischen Multimillionär und Kasinobesitzer Martin
Schlaf und den südafrikanischen Freund Scharons, Cyrill Kern, kochte jetzt
auf, weil nach Angaben des Fernsehsenders Arutz 10 die Polizei im Rahmen
ihrer internationalen Ermittlungen in der Wohnung von Schlafs Bruder James
in Israel zwei Computer und einen Handcomputer entdeckt habe. Von einem
Gericht in Rischon-Lezion bei Tel Aviv erbat die Polizei vor neun Tagen die
Genehmigung, die Geräte auf ihren Inhalt überprüfen zu dürfen, "weil sie
belastendes Material" enthalten könnten. James Schlaf hingegen verlangte
eine Rückgabe seiner beschlagnahmten Arbeitsgeräte, die angeblich nur
Geschäftsdokumente enthielten.
Die Polizei hegt den Verdacht, dass die "Familie Scharon", womit Ariel
Scharons Söhne Gilad und Omri gemeint sind, eine "Spende" in Höhe von drei
Millionen Dollar erhalten haben könnten, mit denen der Premierminister auf
Weisung des Staatsanwaltes eine "illegale" Spende zurückgezahlt habe, die er
für seine Wahlkampfkampagne vor drei Jahren erhalten habe. Ein Teil dieser
Gelder seien "bei der Familie Scharon" hängen geblieben. Sowohl Gilad wie
Omri haben sich wegen obskurer Geldgeschichten vor Gericht verantworten
müssen, aber bisher gab es keinen klaren Nachweis dafür, dass Ariel Scharon
von diesen Geldschiebereien selber etwas "wusste" oder dass er dafür
persönlich verantwortlich gemacht werden könnte.
Auch der neue Verdacht anhand der beschlagnahmten aber noch nicht geprüften
Computer der Gebrüder Schlaf liefert noch keinen gerichtsfähigen Beweis, um
Scharon vor Gericht zu stellen.
Jossi Werther kommentiert in der Zeitung "Haaretz", dass ein "mutmaßlicher
Verdacht" nicht für einen Prozess gegen Scharon ausreiche. In seinem
Kommentar zählt er die "Kanonen" auf, die im Rahmen des Wahlkampfes schon
gegen den voraussichtlichen Wahlsieger Scharon aufgefahren worden seien.
Erst verließen die beiden alten "Sippenchefs ihre Mutterparteien", wobei
Scharon und Schimon Peres gemeint sind, dann machte die Spekulation die
Runde, dass Scharon die Road-Map, die internationale Wegekarte zu einer
Erneuerung des Friedensprozesses aufkündigen wolle. Und jetzt wird
polizeilicher Verdacht schon zu erwiesener Korruption hochgespielt. "Selbst
das stärkste Sportlerherz eines Zwanzigjährigen dürfte solchem Druck kaum
standhalten", schreibt Werther unter Anspielung auf Scharons Hirnschlag und
die bevorstehende Herzoperation unter Vollnarkose am Donnerstag.
Die Zeitung Jedijot Achronot titelt zwar mit einem Zitat aus Polizeikreisen:
"Wir haben Hinweise auf eine Verbindung zwischen Scharon und dem Milliardär
gefunden". Doch auf der gleichen Seite, unter "Reaktionen", werden
Justizkreise zitiert: "Der rauchende Kolt ist noch nicht entdeckt". Auf den
nächsten Seiten wird die Affäre um Scharon heftig relativiert. In einem
großen Artikel berichtet die Zeitung, wie in der Likud-Partei unter Benjamin
Netanjahu gute Plätze auf der Parteiliste "gekauft" würden. Der
Wahlkampfleiter der Arbeitspartei unter Amir Peretz stecke in "tiefen
Schulden" in Millionenhöhe. © Ulrich
W. Sahm / haGalil.com
hagalil.com 05-01-2006 |