Interview mit Avi Primor:
"Die Hamas wird nun neue Ziele haben"
Avi Primor, der frühere
Botschafter Israels in Deutschland, zeigt sich nach dem Wahlsieg der
radikal-islamistischen Hamas-Bewegung in Palästina nicht
pessimistisch. Die Hamas und Israel werden aufeinander zugehen
müssen.
Interview: Philipp Gessler
taz: Herr Primor, die Hamas ist der
große Wahlsieger der Palästinenser, Mahmut Abbas will sie mit der
Regierungsbildung beauftragen. Wie lange kann Israel es durchhalten,
nicht mit der Hamas zu reden?
Avi Primor:
Das hängt von zwei Dingen ab: Zum einen, wie sich die
Hamas entwickeln wird, weil sie sich jetzt in neuen Umständen
befindet. Und es hängt zum anderen von uns Israelis ab.
Zunächst zur Hamas.
Die Hamas wird nun neue Ziele und eine neue
Verantwortung haben. Sie weiß, dass die Mehrheit der Bevölkerung sie
gewählt hat, nicht weil sie Fundamentalismus oder Terrorismus
unterstützen, sondern wegen ihrer erfolgreichen Arbeit und Hilfe für
die Ärmsten - und vor allem aus Protest gegen die Korruption in den
palästinensischen Behörden. Die Hamas weiß, dass die Bevölkerung
etwas ganz Bestimmtes erwartet, nämlich eine rasche Verbesserung der
schrecklichen Lebensbedingungen in den Gebieten - und sie weiß, dass
sie das nur erreichen kann im Einklang mit Israel: Sie sind von den
Israelis umzingelt, beherrscht, meistens auch besetzt - ohne
Zusammenarbeit mit den Israelis gibt es überhaupt keine Chance, die
Lebensbedingungen der Palästinenser zu verbessern. Wenn sie das
nicht schaffen, wird die palästinensische Bevölkerung von der Hamas
enttäuscht sein.
Und wann sollte die israelische
Regierung auf die Hamas zugehen?
Die israelische Regierung muss auch bereit sein,
die Lebensbedingungen der Palästinenser zu verbessern, um die neue
Regierung zu unterstützen. Das steht noch nicht bevor. Bis zu den
Wahlen wird nichts passieren.
Und danach?
Nach den Wahlen am 28. März wird sich die
israelische Regierung entschließen müssen. Und sie wird dabei nicht
vergessen, dass die Hamas-Bewegung schon seit anderthalb Jahren
entschieden hat, zumindest vorübergehend keine Terroranschläge mehr
zu verüben. Der letzte Terroranschlag durch Hamas fand im August
2004 statt. Seitdem wollte die Hamas Ruhe haben und konnte es auch
erzwingen. Die Hamas hat es bewiesen, dass sie sich zurückhalten
kann, wenn sie es will, und sie hat es gewollt. Das wird man in
Betracht ziehen müssen.
Aber die Charta der Hamas sieht immer
noch vor, dass Israel aufhört zu existieren.
Ja, das war ja auch die grundsätzliche Ideologie
der PLO, als ihre Führer die Oslo-Verhandlungen 1992 aufgenommen
haben. Wir Israelis haben natürlich verlangt, dass diese Ideologie
verändert wird. Dem hat die PLO zugestimmt, auch wenn sie einige
Jahre brauchte, bis sie es durchgesetzt hat.
Bei der Hamas haben Sie die gleiche
Hoffnung?
Ich weiß es nicht, schließe es aber nicht aus. Es
ist möglich, nicht weil die Hamas-Leute uns plötzlich lieben,
sondern weil sie jetzt andere Ziele haben und andere Bedürfnisse
haben werden.
Hat die israelische Regierung denn
vielleicht schon inoffiziell mit der Hamas gesprochen?
Inoffiziell - das würde ich nicht sagen. Es gab
Kontakte zwischen Sicherheitsbehörden, aber nur über gezielte
Punkte. Nein, bis heute, kann man sagen, hatten wir keine Kontakte
mit denen. Aber ich schließe es nach den Wahlen und der Bildung
einer neuen israelischen Regierung nicht aus.
Waren die Warnungen der israelischen
und der US-Regierung, die Hamas zu wählen, nicht kontraproduktiv?
Ja, ich glaube schon. Die US-Amerikaner haben ja
versprochen, sie würden mit so einer Regierung, mit so einer
Bewegung nie sprechen - sie sprechen aber mit anderen ähnlichen
Gruppierungen im Irak und in Afghanistan. Ich glaube, die Amerikaner
werden eher realistisch sein.
Und dann auch irgendwann mit der
Hamas reden.
Irgendwann, ja. Denn das ist politischer
Realismus.
Insgesamt wirken Sie nicht so
pessimistisch.
Ich bin gar nicht so pessimistisch. Die ersten
Reaktionen werden qohl sehr pessimistisch sein, auch wegen der
Wahlen bei uns. Es wird sich kein Politiker trauen, heute zu sagen,
dass wir jemals mit der Hamas-Bewegung sprechen werden. Es könnte im
Wahlkampf schädlich sein für jeden Politiker, also wird man das bis
nach den Wahlen bestimmt nicht erwähnen. Man wird nur sagen: Jetzt
sieht man, wir haben keinen Gesprächspartner. Die Palästinenser
wählen die Terroristen, Fundamentalisten. Und so weiter. Aber nach
den Wahlen wird man sich sachliche Fragen stellen müssen: Wie geht
es weiter? Gibt es Terror seitens der Hamas? Will die Hamas wieder
mit Terror beginnen? Wollen wir mit den Palästinensern Gespräche
aufnehmen, zu denen wir auch mit Abbas nicht bereit waren? Oder
wollen wir weiter einseitige Schritte unternehmen? Und wenn das
rechte Lager an die Macht kommt: Wollen wir gar nichts machen? Das
alles wird sich erst nach den Wahlen entscheiden.
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29-01-2006 |