Fragen der Humanität:
Steven Spielberg's "Munich"
Oder: Von Metzgern mit zarten Händen
und anderen Dilemmas
Eine Kritik von Benjamin Rosendahl
Steven Spielberg hat mal wieder zugeschlagen - und eine
Menge Wind aufgewirbelt: Ist "Munich" nur eine Chronik des israelischen
Vergeltungsschlag an den Drahtziehern des Attentats auf die israelische
Sportler (während der olympischen Spiele in München 1972)? Oder aber, wie
viele Kritiker meinen, moralischer Relativismus, der die Attentäter mit den
Vergeltern gleichsetzt? Wie es aussieht, hat Spielberg sowohl die Gunst
ehemaliger Mossadagenten als auch ehemaliger Drahtzieher des Attentats
(insbesonders Mohammad Daud) verloren. Gewinnen kann er jedoch dennoch: Den
Oskar nämlich.
Bereits Monate bevor Spielbergs neuestes Projekt herauskommen
sollte, machte er Schlagzeilen – durch Schweigen: Er verweigerte sämtliche
Interviews, ließ keine Vorberichte zu den Dreharbeiten durchsickern und
ordnete auch seinem Team absolute Schweigepflicht an (einzige Ausnahme war
ein Exklusivinterview, das Spielberg Time-Magazine am 12. Dezember gab).
Anscheinend war Schweigen in diesem Falle aber nicht gleich Gold: Bereits am
9. Dezember – ca. 3 Wochen vor der Premiere – hagelte es Kritik: Leon
Wieseltier (von der New Republic) nannte den Film "pseudokontrovers". Der
israelische Generalkonsul in Los Angeles warf Spielberg moralischen
Relativismus vor und David Brooks (von der New York Times) meinte gar, der
Regisseur leugne die Existenz des Bösen in der Welt. Spielbergs Reaktion
ließ natürlich nicht lange auf sich warten: Er heuerte sowohl den früheren
Nahost-Unterhändler Dennis Ross als auch Eyal Arad (ehemaliger strategischer
Berater) an, jeweils, um zu zeigen, dass der Film "gut für die Juden und
Israel" (Haaretz vom 25. Dezember) ist.
Wer den Kampf um die Gunst der Zuschauer gewinnt, steht noch
offen. In Amerika ist der Film jedenfalls am 23. Dezember angelaufen (gerade
noch zeitlich, um den Fristablauf für die diesjährige Oskarverleihung noch
einzuhalten). Und obwohl er sicherlich Spielbergsche Anzeichen hat (z.B.
sagt jemand in einer Szene in E.T.-Manier "komm nach Hause", auch ist
wieder, wie bei Schindler, eine Liste im Vordergrund, diesmal jedoch eine
Abschusslichte), ist er sehr untypisch für Spielberg: Es handelt sich um
einen rasenden Politthriller mit Kamerafahrten, schnellem Schnitt und wenig
Kitsch und erinnert somit mehr an John Le Carre und Sydney Pollock als an
den Regisseur, der von sich mal sagte, er mache die Filme, die er als Kind
gerne drehen wolle. Eher hat Drehbuchautor und Pulitzerpreisträger Tony
Kushner hier seine Handschrift hinterlassen, der in Amerika v.a. durch sein
Theaterstück über AIDS ("Angels in America") bekannt ist. Es handelt sich
gewissermaßen um die Verfilmung seines Buches "Wrestling with Zion", wobei
ein innerjüdischer und sehr kritischer Dialog zu Israels Politik
stattfindet.
Die Handlung ist schnell erzählt: Nach dem palästinensischen
Attentat auf das israelische Team bei den olympischen Spielen 1972 (das
Spielberg uns in einer Mischung aus gefilmten Szenen und Archivbildern
wieder hautnah erleben lässt) entschließt sich die israelische
Premierministerin Golda Meir, die Drahtzieherin des Attentats ermorden zu
lassen. So wird Avner (Eric Bana) ausgewählt, ein Team zu führen, das in
verschiedenen Orten Europas die Terroristen gezielt tötet. Wem das Rezept
der schönen Schauplätze, gepaart mit Explosionen und einer Jagd gegen die
Zeit bekannt vorkommt, der wird nicht sehr überrascht sein, dass ein
Mitglied des Teams von Daniel Craig, dem neuen James Bond, gespielt wird.
Jedoch ist der Film mehr als ein spannender Thriller: "Hulk"-Darsteller Eric
Bana lässt hier nicht seine Wut heraus, sondern zeigt Gefühl: Er kämpft mit
seinem inneren Konflikt, mit der Tatsache, dass die Tötungen seine eigene
Moral (sowohl als Mensch als auch als Jude) korrumpiert. Der Vater des
geheimen Informanten meint zutreffend zu ihm: "Du bist ein Metzger, aber mit
zarten Händen." Eric Bana spielt diesen Konflikt eindrucksvoll und
überzeugend. Auch die anderen Schauspieler, die aus Australien (Geoffrey
Rush), Israel (die wunderbare Gila Almagor) und Deutschland (Moritz
Bleibtreu) kommen, beweisen ihr Können.
Wer Realismus sucht, ist hier jedoch fehl am Platz: Die
Glaubwürdigkeit des Buches, auf dem der Film basiert ("Vengeance" von George
Jonas) ist von so gut wie allen in dem Vergeltungsschlag beteiligten
Mossadagenten bezweifelt worden. Und zu recht: Es ist sehr fraglich, ob
Yuval Aviv, der nie im Mossad gedient hat, in irgendeiner Weise in der
Aktion involviert war. Der Mossadchef in diesem Zeitraum, Zwi Zamir, wurde
nicht einmal zu einer Filmvorführung eingeladen, geschweige denn zur
Beratung hinzugezogen. Dasselbe gilt für andere israelische (z.B. Mike
Harari) als auch palästinensische Quellen, die direkt beteiligt waren
(insbesondere Muhammad Daud, der letzte noch lebende Terrorist).
Doch darum geht es nicht in Spielbergs Film. Vielmehr
interessiert hier die Frage, ob jemand, der Vergeltung übt, im Endeffekt
nicht einen Teil seiner Humanität verliert. Denn Rache ist zwar ein
natürlicher Instinkt des Menschen. Aber es heißt auch: "Wer ist ein Held?
Der, der seinen Instinkt besiegt." (Ben Zuma, aus: Sprüche der Väter 4:1) |