Aus dem Nähkästchen:
Mossad-General zu Spielbergs "München"
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Brigadegeneral a.D. Ephraim Lapid, 63, fällt nicht auf,
wenn er in der Ecke eines Café auf den Gesprächstermin wartet. Er diente
beim Militär als "hoher Geheimdienstoffizier". Tatsächlich war er beim
Mosad, "übrigens eine ziemlich kleine Organisation", wie er verschmitzt
sagt. Der gelernte Orientalist und Dozent am Institut für Kommunikation der
Bar Ilan Universität war Militärsprecher und Sprecher der Jewish Agency.
"Das Schlimmste ist der Versuch, da eine unbalancierte Balance
herzustellen", sagt Lapid zu "München" von Spielberg. Die Terroristen von
München 1972 seien gegen unschuldige Zivilisten, Sportler, vorgegangen. Der
Mosad habe allein Täter und ihre Drahtzieher im Visier. "Wir wollen
Anschläge verhindern oder die Organisationen außer Gefecht setzen. Jeder
Mensch ist ersetzbar, aber bei Führungsleuten dauert es manchmal Jahre."
Nach München 1972 habe eine Untersuchungskommission geprüft, wieso die
Sportler ungeschützt waren, obgleich Deutschland Waffen im olympischen Dorf
verboten hatte. Gefragt wurde auch, wieso Mosad-Chef Zvi Zamir die Deutschen
nicht überzeugen könnte, israelische Spezialisten zu akzeptieren. "Der Grund
war Stolz. Kein Land mag die eigene Unfähigkeit eingestehen." Infolge der
Untersuchung seien einige Mosadagenten entlassen worden, sagt Lapid
Die damalige Ministerpräsidenten Golda Meir sei "ziemlich extrem" gewesen,
erinnert sich Lapid. "Golda war gegen jeden Dialog mit den Arabern. Das war
vor dem Oktoberkrieg von 1973 und vor einem Friedensvertrag Israels mit
einem arabischen Land." Die Palästinenser spielten nur eine "nebensächliche
Rolle". Die PLO hatte sich wenige Jahre zuvor etabliert und relativ harmlose
Anschläge durchgeführt. 1968 gab es die ersten Flugzeugentführungen. Sie
führten weltweit zur Einrichtung von Sicherheitskontrollen auf allen
Flughäfen. 1970, nach dem Ende des "Zermürbungskriegs" mit Ägypten, brach in
Jordanien im "schwarzen September" der blutige Bürgerkrieg zwischen
radikalen Palästinensern unter Jassir Arafat und Beduinen unter König
Hussein aus. Die Organisation "Schwarzer September". In München
veranstaltete sie ihre aufsehenerregende Premiere. "Für Deutschland waren es
die ersten olympischen Spiele auf deutschem Boden seit 1936. So hatte das
Attentat für Deutsche wie für Israelis eine hohe symbolische Bedeutung."
Lapid behauptet, dass Golda tatsächlich "Rache" gefordert hätte. Für die elf
toten Sportler sollten elf Drahtzieher des Terrors getötet werden. Die erste
spontane Reaktion auf München sei jedoch ein Luftangriff im Libanon. Bei
diesem längst vergessenen Schlag aus der Luft habe es "dutzende Tote"
gegeben. In der Welt habe jedoch die Jagd auf die Drahtzieher von München
die Fantasie angefeuert und sei so auch von Spielberg thematisiert worden.
"Wir beim Mosad reden nie von Rache. Für uns war das Selbstverteidigung mit
dem Ziel, die Anführer daran zu hindern, weitere Anschläge zu planen oder
andere abzuschrecken." Lapid redet von "Liquidierungen" in den siebziger
Jahren. Es ist der gleiche Begriff und die gleiche Strategie, wie sie gegen
Hamas- und Dschihad-Führer im Gazastreifen bis heute angewandt wird. Die
"Liquidierung" von Scheich Jassin habe den gleichen Effekt gehabt wie die
Auslöschung von Fathi Schkaki auf Malta, wodurch terroristische Aktivitäten
der PFLP jahrelang gestoppt wurden. Gezielte Morde in Paris, die Operation
"Jugendfrühling" gegen Hassan Salame in Beirut, ausgeführt durch Ehud Barak
(später Premierminister) und Amnon Lipkin-Schachak (später Generalstabschef
und Parteichef), zählt Lapid zu den "größten Erfolgen der Geschichte des
Mosad". Es habe auch schlimme Pannen gegeben, so die Ermordung eines
Kellners im norwegischen Lilhammer oder die viel zu große Bombe, um Salach
Schechade, den Befehlshaber des militärischen Arms der Hamas im
Gazastreifen, im Juli 2002 zu töten. 13 unschuldige Zivilisten starben und
über hundert wurden verletzt.
"Gewissensbisse hat keiner von uns je gehabt", behauptet Lapid. "Jede
Operation wird von allen Beteiligten gemeinschaftlich geplant und
vorbereitet. Wie vor Gericht müssen wir einwandfrei nachweisen, dass unser
geplantes Opfer Blut an den Händen hat, ein Mörder ist oder Morde an
Israelis oder Juden plant. Erst wenn wir überzeugt sind, einem Verbrecher
auf der Spur zu sein, wird der Plan dem Ministerpräsidenten und weiteren
Gremien zu Überprüfung und Entscheidung vorgelegt." Beim Mosad gebe es
Mitarbeiter mit sehr unterschiedlichen politischen Ansichten. Tatsächlich
findet man ex-Mosad Chefs in allen Parteien wieder, von ganz links bis ganz
rechts. "Wenn erst einmal eine Operation geplant und beschlossen war, hatte
keiner mehr Zweifel, dass sie richtig und moralisch vertretbar sei."
Voraussetzung sei freilich genaue Aufklärung und präzise Waffen. Das können
Raketen oder Autobomben sein, aber auch ein Sprengsatz im Telefonhörer, der
gezündet wird, sowie sich der Gesuchte identifiziert hat.
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com
hagalil.com 22-01-2006 |