
NS-Kriegsverbrechen:
Anklage nach zweiundsechzig Jahren
Klaus Konrad saß für die SPD
im Bundestag. Er war juristischer Berater Willy Brandts und hat das
Bundesverdienstkreuz erhalten. Nun wird der 91-Jährige in Italien
angeklagt - wegen mutmaßlicher Beteiligung an einem
NS-Kriegsverbrechen.
Von Andreas Speit
Die Staatsanwaltschaft in der Hafenstadt La Spezia
erwartet eine Verurteilung. Heute soll vor dem italienischen
Militärtribunal die Vorverhandlung zu einem NS-Kriegsverbrechen
beginnen. Angeklagt: Klaus Konrad, 91 Jahre, 1944
Wehrmachtsoffizier, später jahrelang SPD-Landes- und
Bundestagsabgeordneter aus Schleswig-Holstein. "Die
Staatsanwaltschaft wirft Konrad die Beteiligung an einer Erschießung
und Folterung von mindestens 54 Menschen vor", bestätigt das
Militärtribunal.
1944 in der Toskana: Auf Befehl des Kommandeurs des 274.
Infanterieregiments geht am 13. Juli der Pionierzug gegen
vermeintliche Partisanen in dem Dorf Pietramala vor. Sie stoßen auf
ausgebombte Familien. Binnen vier Stunden hat die Einheit, zu dessen
drei Befehlshabern Konrad gehörte, mehr als 17 ältere Männer, Frauen
und Kinder ermordet. 48 Männer verschleppen sie zu einer Villa im
Dorf San Polo, wo der Stab saß. Im Weinkeller leitet Konrad die
"Verhöre". Nach den Ermittlungsakten folterten und vergewaltigten
die Wehrmachtler einige der Verschleppten. Am Nachmittag des 14.
Juli befehligen die Offiziere die Hinrichtung. Im Garten erschießen
Soldaten die Wehrlosen mit gezielten Kopfschüssen und
Maschinengewehrsalven - aber nicht alle. Zwei Tage nach dem Massaker
befreien englische Truppen den Ort. Beim Bergen der Toten stellen
sie bei 16 Opfern fest, dass sie lebendig begraben worden waren. Mit
Sprengstoff zwischen den Leibern versuchte die Wehrmacht noch ihre
Folterspuren zu verwischen.
Nach dem Krieg machte Konrad, wohnhaft in Scharbeutz, bei der SPD
Karriere. Von 1962 bis 1969 saß der Jurist im
schleswig-holsteinischen Landtag und von 1969 bis 1980 im Bundestag.
Zwischenzeitlich war er juristischer Berater des SPD-Vorsitzenden
und Bundeskanzlers Willy Brandt. Unbeschadet überstand er 1972
Ermittlungen wegen des Massakers. Die Gießener Staatsanwaltschaft
stellte das Verfahren gegen sieben Beschuldigte ein, da der Vorwurf
des Totschlags verjährt war. Heute ermitteln die Gießener wieder
gegen den Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse. "Ein Ende der
Ermittlungen ist noch nicht absehbar", sagt Oberstaatsanwalt
Reinhard Hübner der taz. Hübner betont jedoch: "Wir warten das
Urteil in Italien ab."
Gegenüber dem ARD-Magazin "Kontraste" erklärte Konrad: "Ich habe
mich nie in der Sache schuldig gefühlt." Erst seit "die Italiener
mich am Kanthaken haben", sagt er, bedauere er die Vorfälle.
Unschuldig fühlen sich auch Gerhard Sommer und Alfred Mathias
Concina. Im Juni 2005 verurteilte das Militärtribunal La Spezia die
zwei SS-Verantwortlichen mit weiteren acht SS-Angehörigen wegen des
Massakers von St' Anna di Stazzema zu lebenslanger Haft. Mehr als
440 alte Männer, Frauen und 120 Kinder hatte ihre SS-Division am 12.
August 1944 in dem Bergdorf ermordet (taz berichtete). "Gegen das
Urteil haben sieben Verurteilte Widerspruch eingelegt", berichtet
Claudia Buratti vom "Verein der Opfer von St' Anna". Der frühere
SS-Offizier Sommer und der ehemalige SS-Unterscharführer Concina
gehören dazu, meint sie. Der im Seniorenheim Freiberg lebende
Concina erklärte, dass das Urteil falsch sei. Und auch der in der
Cura-Seniorenanlage Hamburg lebende Sommer betonte, ein "absolut
reines Gewissen" zu haben.
Werner Bruß aus Reinbek dagegen fühlt sich schuldig. "Es war
schlimm", erzählt der frühere SS-Unteroffizier. Mit seiner Einheit
stellte er die Nachhut. "Ein Melder, ein junger Soldat, berichtete,
was oben im Dorf geschah." Manche waren erschüttert, sagte er und
betont: "Mord an Kindern, das darf nicht verjähren."
Seit über drei Jahren ermittelt die Staatsanwaltschaft Stuttgart im
"Fall St' Anna" gegen 15 Beschuldigte. Der Oberstaatsanwalt Bernhard
Häußler betont immer wieder: "Ich kann nicht sagen, ob es überhaupt
zu einer Anklage kommt." Denn, so Häußler: "Dem einzelnen
Beschuldigten muss die direkte Tat nachgewiesen werden." Den Mangel
an konkreter Tatbeteiligung hätten die Aussagen vor dem Tribunal
jedoch widerlegt, sagt Buratti vom Verein der Opfer.
Vor den deutschen Seniorenheimen, in denen Sommer und Concina leben,
gab es kürzlich Mahnwachen und Proteste.
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17-01-2006 |