Vereinigung der Einzeltäter:
Wehrsportgruppe Hoffmann
Vorsitzender: ''Wann wollen Sie über die Erlanger Sache
sprechen?''
Hoffmann: ''Zunächst möchte ich mich allgemein zur Judenfrage äußern.''(1)
Von Wolfgang Most
Eine Brille und Patronenhülsen bleiben am Tatort des
Doppelmordes zurück. Shlomo Lewin, jüdischer Verleger und ehemaliger
Vorsitzender der israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg, und seine
Lebensgefährtin Frieda Poeschke werden am 19. Dezember 1980 in ihrer
Erlanger Wohnung erschossen. Aufgrund einer Eingravierung lässt sich die
Brille leicht zuordnen. Sie gehört Franziska Birkmann, Freundin von
Karl-Heinz Hoffmann, laut Selbstbezeichnung "deutscher Patriot" und Anführer
der rechtsextremistischen Wehrsportgruppe. Lewin hatte öffentlich vor der
deutschen Neonaziszene und der Gefährlichkeit Hoffmanns gewarnt.
1968 veranstaltete der Patriot sein erstes öffentlich bekannt
gewordenes Spektakel. Zu Fasching tummelten sich in einem Nürnberger Café
Männer in SS-Uniformen und Frauen in BDM-Kleidern vor einer
Tonband-Geräuschkulisse aus Granatengeheul und MG-Geknatter. 1973 begann
Hoffmann mit dem Aufbau seiner Wehrsportgruppe (WSG). Bis zu ihrem Verbot
durch das Bundesinnenministerium am 30.1.1980 rückten der "Chef" und seine
Truppe in Uniform mit Totenkopf, Stahlhelm, zugelöteten Maschinengewehren
und Militärfahrzeugen zu wöchentlichen Manöverübungen im freien Gelände aus.
Um die 500 Männer und auch einige Frauen sollen der "konspirativ" agierenden
WSG angehört haben. In Hoffmanns "Stützpunkten", Schloss Almoshof bei
Nürnberg, ab 1978 das Schloss Ermreuth bei Erlangen und auf seinem
Privatgrundstück in Heroldsberg sammelte sich allerlei Kriegsgerät
einschließlich eines Panzerspähwagens an.
Mit der Bevölkerung habe es eigentlich nie Schwierigkeiten
gegeben, betonte Hoffmann in einem (2) seiner vielen Interviews. So wie ein
Ermreuther Bürger sahen es viele Leute: "Er ist immer freundlich. Außerdem
tut er wenigstens was für die Jugend. Da find ich das schon gut, wenn der
Hoffmann die von der Straße wegholt und was Vernünftiges tun lässt".(3)
Söldnertruppe im internationalen Einsatz
Nachdem die Schützlinge eine solide Ausbildung durchlaufen
hatten, bauten sie im Bundesgebiet WSG-Ableger auf, den "Sturm 7" in Hessen,
die "Sturmabteilung Bonn" usw. Der Chef unterhielt enge Kontakte zu Neonazis
im In- und Ausland, reiste nach Zimbabwe (damals Rhodesien) und bot seine
Söldner dem rassistischen Smith-Regime im Kampf gegen die nationale
Befreiungsfront an. Bei Veranstaltungen der DVU dienten Hoffmanns Leute als
Saalschutz, verprügelten gemeinsam mit dem rechtsextremen "Hochschulring
Tübinger Studenten" (HTS) oder mit der Wiking-Jugend antifaschistische
GegendemonstrantInnen. Ein WSG-Mann tauchte bereits in der Kanalisation von
Berlin, um die Befreiung des Hitler-Stellvertreters Heß vorzubereiten.
Entsprechende Pläne fanden sich in einer in Schloss Ermreuth eingemauerten
Blechdose.
Anfang der 80er Jahre, als der Terror von rechts neue
Dimensionen annahm (4), bombten sich "Einzeltäter" aus Hoffmanns Truppe in
die Annalen der Geschichtsschreibung.
Der Bekannteste ist Gundolf Köhler. Mit einem Sprengsatz
tötete er am 26.9.1980 zwölf BesucherInnen des Münchner Oktoberfestes und
sich selbst, 210 wurden verletzt. Trotz aller Widersprüche schlussfolgerte
die Justiz: Der Tübinger Student aus dem Umfeld des HTS und Hoffmanns WSG
sei Alleintäter gewesen.
Ein Freund des Attentäters gab beim Bundesanwalt zu
Protokoll: "Wenn einmal etwas los geht", habe Köhler gesagt, "könnte man es
den Linken in die Schuhe schieben". Das versuchte auch der damalige
bayerische Ministerpräsident. Unmittelbar nach der Explosion standen für
Strauß die Verantwortlichen fest: die Linke, der Geheimdienst der DDR und
sogar der KGB. Die Bundestagswahl stand eine Woche bevor, Strauß war
Kanzlerkandidat der Union.
Nach und nach behaupteten auch andere WSG-Soldaten, in
München dabei gewesen zu sein. Als Mittäter outete sich Stefan Wagner, bevor
er sich eine Ladung Schrot in den Kopf jagte. Ein anderer WSG-Kumpan
schwärmte im Nahen Osten von seiner Beteiligung in München. Nach dem Verbot
in der BRD kämpfte die "WSG-Ausland" im Libanon, zuerst mit den
falangistischen Milizen und fand dann Unterschlupf bei der gegnerischen
Seite im PLO-Lager Bir Hassan. Dort folterten Hoffmann und seine Truppe
abtrünnige Kameraden. WSG-Mitglied Kai Uwe Bergmann überlebte die Torturen
nicht.
Am 16.6.1981 wurde der Wehrsportchef verhaftet und gegen
seine Auslandsabteilung wegen "Bildung einer terroristischen Vereinigung"(§
129a) ermittelt. Ein halbes Jahr später entschied der Bundesgerichtshof,
dass die WSG-Ausland nicht unter § 129a fallen würde.
Manche Hand geschüttelt
An prominenten und praktischen Bekanntschaften schien es
Hoffmann nicht zu mangeln. Es war ein offenes Geheimnis, dass einflussreiche
Persönlichkeiten ihm den Rücken freihielten und ihn unterstützten. Namhafte
Persönlichkeiten wie der Nürnberger Rüstungsfabrikant Diehl, seit 1997
Ehrenbürger der Stadt Nürnberg, sollen zum Unterstützerkreis der
Hoffmanntruppe gehört haben. Entsprechende Andeutungen machte Freiherr
Gilbert von Sohlern, Schlossherr in Gößweinstein und Gönner Hoffmanns,
gegenüber als Geldkuriere getarnten Journalisten.(5)
Von der bayerischen Staatspartei CSU hatten die Wehrsportler
nichts zu befürchten. Innenminister Tandler: "Wehrsport ist schließlich
nicht strafbar". Nach dem Verbot der WSG sagte Franz Josef Strauß gegenüber
einem französischen Journalisten: "Wenn niemand von diesem Verrückten
spräche, man würde seine Existenz nicht bemerken. (...) Hoffman hat sich
nichts zu Schulden kommen lassen"(6).
Die deutschen Geheimdienste hatten Hoffmanns Gruppe
infiltriert und ließen sie an der langen Leine. Zur "WSG-Ausland" gehörte
Agent Odfried Hepp.(7) Verfassungsschutz-Spitzel Weinmann, der in fast allen
rechtsextremistischen Gruppen zuhause war und Jugendliche für
Wehrsportübungen rekrutierte, "hätte mit seinem Informationsstand und Wissen
die Wehrsportgruppe Hoffmann schon 1976 hochgehen lassen können" (8).
Stundenlange Monologe vor Gericht
Erst fünf Wochen nach dem Erlanger Doppelmord wurde Franziska
Birkmann von der Polizei befragt. Die Polizei ermittelte indes in alle
Richtungen und suchte die Täter ausgerechnet auch im Kreis der
israelitischen Gemeinde.
Im Januar 1983 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen
Hoffmann wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes. Nachdem die
Anklagebegründung monatelang geprüft worden war, lehnte die zuständige 5.
Strafkammer des Landgerichts Nürnberg/Fürth die Eröffnung des
Hauptverfahrens ab. Aus den vorliegenden Ermittlungsakten würde sich kein
hinreichender Tatverdacht ergeben, die Indizienkette sei lückenhaft und
widersprüchlich.
Zur fraglichen Zeit waren die Behörden rundum beschäftigt mit
Nachforschungen gegen HausbesetzerInnen und KOMM-Aktivitäten.
Nachdem ein Revisionsantrag der Staatsanwaltschaft Erfolg
hatte, begann die Hauptverhandlung schließlich im September 1984 vor der 3.
Strafkammer. Den sonst für Rauschgiftdelikte zuständigen Richtern lag
dieselbe Anklageschrift vor, nur um einige Punkte erweitert, welche
hauptsächlich Hoffmanns Folterungen im Libanon betreffen.
Wer an Prozesse wie in Stammheim gewohnt war, rieb sich
verwundert die Augen. Die entgegenkommende Verhandlungsführung des
Vorsitzenden Richters Koob gab dem Angeklagten ausführlich Gelegenheit zur
Selbstdarstellung. Auf einem extra aufgebauten Redepult konnte Hoffman vor
Gericht stundenlange Stellungnahmen zur Anklage und über seine Gesinnung
abgeben.
berstaatsanwalt Horn, durch den "Stern" bundesweit als
"Aktenzauberer" im KOMM-Verfahren bekannt geworden, schienen die
Ausführungen Hoffmanns und die Attacken seiner Anwälte zu überfordern. Er
hatte der Verteidigung nichts entgegenzusetzen. "Alle Prozessbeteiligten
stehen im Bann des Angeklagten, Zeugen werden beeinflusst, die
Gedächtnisschwäche grassiert" (9), bemerkten ProzessbeobachterInnen.
Viele Umstände im Zusammenhang mit dem Doppelmord blieben
ungeklärt. Manche Fragen wurden nicht gestellt, beispielsweise zum
Munitionsverlust bei der Polizeiinspektion Ansbach. Zwischen dem 8. und 10.
Juli 1980 verschwanden dort 97 Schuss der gleichen Maschinengewehrmunition,
mit der Lewin und Poeschke ermordet wurden. Ein anonymer Anrufer behauptete,
die Munition sei über Mittelsmänner an die WSG-Angehörigen Klinger und Fraß
gelangt. Der Leiter der Inspektion, Maluck, bemerkte den Fehlbestand und
erhielt von seinem Vorgesetzten die Anweisung eine unverfängliche
Verlustmeldung zu schreiben. Maluck machte Bedenken gegen dieses Vorgehen
geltend und wurde schließlich versetzt.
Ob die Mordmunition aus dem Polizeibestand stammt, ist nie
untersucht worden. Während des Prozesse wurde zwar das Protokoll des
anonymen Anrufs verlesen, jedoch Fraß und Klinger zu diesem Komplex nicht
befragt und Maluck nicht als Zeuge zugelassen.
Die Leiche im Libanon
Mehrere Zeugen der Anklage stammten aus Hoffmanns eigenen
Reihen. Uwe Mainka, der später wegen Folterung seines Kameraden Bergmann zu
19 Monaten auf Bewährung verurteilt wurde, behauptete bis zum Schluss, dass
sein Chef der Auftraggeber der Morde gewesen sei. Dagegen fielen andere
Belastungszeugen der Reihe nach um oder verwickelten sich in Widersprüche.
Nach 186 Verhandlungstagen wurde Karl-Heinz Hoffmann
schließlich wegen Körperverletzung an seinen Gefolgsleuten im Libanon,
Geldfälschung, Strafvereitelung und Verstößen gegen das Waffengesetz zu
neuneinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Vom Vorwurf, den Doppelmord
geplant und in Auftrag gegeben zu haben, sprach ihn das Gericht frei. Als
mutmaßlicher Täter von Erlangen blieb "WSG-Vize" Uwe Behrendt übrig. Der
einzige Zeuge dafür war Hoffmann selbst. "Chef, ich habe es auch für dich
getan", soll Behrendt ihm nach den Morden gesagt haben. Wieder ein toter
Einzeltäter, drei Wochen vor Prozessbeginn identifizierten LKA-Beamte im
Libanon seine Leiche. Er soll Selbstmord begangen haben.
Im November 1987 zog die Staatsanwaltschaft ihre Revision gegen den
Freispruch endgültig zurück. Nach so langer Zeit seit dem Verbrechen sei es
aussichtslos, gegen das Urteil vorzugehen.
Zwei Jahre später war Hoffmann wieder auf freiem Fuß, das
restliche Drittel seiner Haftzeit wurde ihm erlassen. Die
Justizvollzugsanstalt Bayreuth bescheinigte dem WSG-Chef eine
"beanstandungsfreie Führung"(10). Zudem habe er sich in einer Anhörung
"glaubhaft" von seiner Vergangenheit losgesagt.
"Keine neuen Ermittlungsansätze"
Vor knapp zwei Jahren wurde der bayerische Innenminister
Günther Beckstein bei einem Besuch in Erlangen gebeten, den Mord
Lewin/Poeschke mit heute zur Verügung stehender Kriminaltechnologie noch
einmal aufzurollen. In Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth
untersuchte das Landeskriminalamt die am Tatort zurückgelassenen Gegenstände
auf "DNA-fähiges Material". Diese Untersuchungen ergaben aber "keine neuen
Ermittlungsansätze, die zu weiterführenden Erkenntnissen geführt hätten", so
die Antwort von Kriminaldirektor Gietl vom bayerisches Innenministerium auf
eine Anfrage der Grünen Liste.
Anmerkungen:
(1) (3) zit. n. PLÄRRER 10/84
(2) DER SPIEGEL Nr. 48/1980
(4) 2. August 1980, Bologna, Bahnhof. Eine Bombe tötet 85 Menschen und
verletzt 200. 1995 werden Urteile gefällt. Zwei Mitglieder der "Nuclei
armati rivoluzionari" (Bewaffnete Revolutionäre Kerne) werden zu
lebenslanger Haft verurteilt, die mutmaßlichen Auftraggeber, P-2-Großmeister
Licio Gelli und sein Helfershelfer, der CIA-Agent Francesco Pazienza, zu
jeweils 10 Jahren.
Nicht verurteilt wurde Stefano Delle Chiesa, der den Anschlag organisiert
und den Sprengstoff besorgt haben soll. Er versuchte den Verdacht auf die
"Wehrsportgruppe Hoffmann" zu lenken. Tatsächlich war Karl-Heinz Hoffmann
mit Delle Chiesa zusammengetroffen. Mitglieder seiner Gruppe landeten drei
Tage vor dem Anschlag in Rimini. (nach ZOOM - Zeitschrift für Politik und
Kultur Wien 4+5/96)
(5) DIE NEUE 14.2.80, 30.9.80
(6) zit. n. PDI-Sonderheft13)
(7) 1983 wurden Hepp und Kexel, Mitglieder der WSG und der 1982 verbotenen
"Volkssozialistischen Bewegung" wegen Sprengstoffanschlägen auf US-Soldaten
und Banküberfällen verhaftet. Kexel wurde 1985 nach Verurteilung zu 14
Jahren Haft erhängt in seiner Zelle aufgefunden. Hepp behauptete damals,
Kexel sei vom BND ermordet worden, da er zuviel über die Infiltration der
rechten Szene, insbesondere der WSG Hoffmann, durch den Dienst gewusst habe.
Hepp arbeitete für den westdeutschen Geheimdienst und die Stasi, gehörte zur
"WSG-Ausland" und belastete nach seiner Flucht aus dem Libanon Hoffmann, für
das Münchner Attentat und den Erlanger Doppelmord verantwortlich zu sein.
Bekannt ist auch, dass das Bundeskriminalamt Fluchthilfe für Hepp u.a.
leistete.
Hoffmann verschob Waffen in den Nahen Osten. In der "tageszeitung" vom 27. 4
1983 schildert ein ehemaliges Mitglied von Hoffmanns WSG Kontakte mit einem
Agenten des Bundesnachrichtendienstes, in denen es um Lieferungen von
Heeresfahrzeugen in den Libanon und nach Syrien ging. Die Bezugsquelle soll
(nach ZOOM) VEBEG, eine im Bundesbesitz befindliche Rüstungsschrottfirma
gewesen sein.
(8) Jürgen Grewen im Rechten Rand Nr. 22
(9) zit. n. Der Hoffmann-Prozess, Broschüre, Hg. Bürgerinitiative 5. März,
Nürnberg, Mitte 1980
(10) DIE TAGESZEITUNG 21.7.89 |