Heinrich Heine:
Pariser Leben»Ich befinde mich wie Heine in
Paris«, schrieb Heinrich Heine kurz nach seiner Ankunft im Jahr 1831. Eine
Sehnsucht hatte sich erfüllt. »Sogar die Schrecknisse, die man im eigenen
Herzen mitgebracht hat nach Paris, verlieren dort ihre beängstigenden
Schauer. Die Schmerzen werden sofort gesänftigt. In dieser Luft heilen die
Wunden schneller als irgendanderswo. Es ist in dieser Luft so etwas
Großmütiges, so Mildreiches, so Liebenswürdiges.«
Anfang Mai kommt er in »die schöne Zauberstadt«. Er ist 33 Jahre alt und
wird den Rest seines Lebens da verbringen. Bald lernt er in einer Pariser
Passage eine Schuhverkäuferin kennen, seine große Liebe, die er Mathilde
nennt – darüber hinaus aber auch in den Salons die bedeutenden Dichter,
Maler und Musiker der Epoche, Balzac, George Sand, Delacroix, Berlioz und
viele andere. Denn Paris ist gerade im Begriff, die geistige und kulturelle
Metropole Europas zu werden.
In Deutschland war Heine ein gescheiterter Jurist, der dichtete, mit mäßigem
Erfolg. In Frankreich war er ein Poet, ein freier Mensch, der ein Leben nach
seinem Gusto führen konnte. Als er siebzehn Jahre später, ausgerechnet im
Revolutionsjahr 1848, an Rückenmarksschwindsucht erkrankte und bis zu seinem
Tod 1856 seine »Matratzengruft« kaum mehr verlassen konnte, mussten seine
Freunde zu ihm in die Dachwohnung hochsteigen. Doch Paris blieb für ihn die
Stadt, die er liebte.
Jörg Aufenanger, Heinrich Heine in Paris, dtv premium
Heine in seiner »schönen Zauberstadt« - es ist die Geschichte der zweiten
Lebenshälfte des Dichters
In den ersten Monaten und Jahren, die Heine in der Stadt an der Seine
verbrachte, führte er ein Pariser Leben, so gut das einem Deutschen gelingen
konnte.
Er besichtigte nicht nur die Museen, suchte Bibliotheken auf, flanierte
durch die Straßen der Stadt, suchte Augen- und Leseschmaus in den Cafés und
öffentlichen Lesesälen, stieg den Mädchen in den Passagen nach, er tauchte
auch ein in das politische, gesellschaftliche, intellektuelle und
künstlerische Leben von Paris und wurde ein Teil davon. »Ich erlebe viele
große Dinge in Paris, sehe die Weltgeschichte mit eigenen Augen an, verkehre
amicalement mit ihren größten Helden«, berichtete er stolz nach Deutschland
an Friedrich Merckel. Seine Besuche bei den Saint-Simonisten wurden bald
seltener, und als sie verboten wurden, waren seine Besuche schon fast
versiegt. Die politisierenden Landsleute mied er, soweit es möglich war,
fühlte sich einerseits gar von preußischen Spionen umgeben und fürchtete
andererseits die Intrigen der Landsleute, die sich wie Jakobiner gebärdeten.
Er ließ sich auch nicht für die Ziele des »Bundes der Geächteten«
einspannen, der sich unter den deutschen Exilanten gebildet hatte, einer
frühsozialistischen Vereinigung, später »Bund der Gerechten« genannt und
schließlich ab 1847 unter dem Einfluss von Karl Marx und Friedrich Engels
»Bund der Kommunisten«.
Stattdessen suchte und fand er schnell Kontakt zu den Literaten, den
Musikern, Journalisten, Bankiers und Salondamen, die in den Quartiers um das
Palais Royal, die Theater und die Boulevards ihre Domizile hatten. Bald gab
auch Heine seinen Wohnsitz auf dem linken Seine-Ufer auf und zog im Februar
1832 auf das andere Flussufer, in die Rue de l’Echiquier, die parallel zu
den Boulevards lag. Er kehrte indes in seiner permanenten Unruhe wieder auf
das andere Seine-Ufer in die Rue des Petits Augustins (heute Rue Bonaparte)
zurück, um ab 1835 dauerhaft auf das rechte Seine-Ufer zu ziehen. Häufig
sollte er die Wohnung wechseln von der Rue Traversière (heute Rue Molière)
in die Cité Bergère, dann in die Rue des Martyrs, die Rue Bleue, bevor er in
der Rue du Faubourg Poissonière in der Nähe der Boulevards eine längere
Bleibe fand.
»Frisch und gesund und unsterblicher denn je... ging ich umher auf den
Boulevards von Paris«, schrieb Heine, gestand jedoch ein: »Mit dem
Französischen haperte es etwas bei meiner Ankunft; aber nach einer
halbstündigen Unterredung mit einer kleinen Blumenhändlerin in der Passage
de l’Opéra ward mein Französisch, das seit der Schlacht bei Waterloo
eingerostet war, wieder flüssig, ich stotterte mich hinein in die
galantesten Konjugationen und erklärte der Kleinen das Linnéische System, wo
man die Blumen nach ihren Staubfäden einteilt.« Heine machte Eindruck auf
die junge Frau, so stellte er geschmeichelt selbst fest: »Sie war erstaunt,
daß ich trotz meiner Jugend so gelehrt sei, und posaunte meinen gelehrten
Ruf durch die ganze Passage de l’Opera.« Aber noch mehr: »Ich sog die
Wohldüfte der Schmeichelei mit Wonne ein und amüsierte mich sehr. Ich
wandelte auf Blumen, und manche gebratene Taube flog mir ins offene,
gaffende Maul.« Doch es sind nicht nur die kleinen Mädchen aus den Passagen,
die Heine ergötzen. »Die ernsthaften Franzosen waren die amüsantesten.«
Die wird er bald kennen lernen, in den Salons der Stadt. Vorher aber tauchte
er in die Welt der toten Bilder ein, besuchte den Louvre mehrfach und den
Kunstsalon von Paris, der in dessen Sälen stattfand. Den Bildern, die seit
dem Mai 1831 im Salon ausgestellt waren, galten auch Heines erste
Korrespondentenberichte aus Paris, die er für das in Stuttgart von Johann
Friedrich von Cotta herausgegebene ›Morgenblatt für gebildete Stände‹
zwischen Oktober und Dezember des Jahres schrieb. Der Salon zeigte mit fast
tausend Gemälden einen Überblick über die aktuelle Produktion französischer
Maler. »Gottlob! Die Revolution des Julius hat die Zunge gelöst, die so
lange stumm geschienen«, schrieb er da und meinte die neue Freiheit, die
nicht nur in der Literatur, sondern in allen Künsten und eben auch in der
Malerei nun herrschte, nannte das »die große Revolution, die im Reiche der
Kunst stattgefunden«.
Heine befasste sich vor allem mit den Bildern von Horace Vernet, Eugène
Delacroix, Ary Scheffer und Léopold Robert. Seine Kunstkritik gab sich
ideologisch, wenn er etwa einem Gemälde von Robert ›Die Ankunft der
Schnitter in den Pontinischen Sümpfen‹ besonders viel Aufmerksamkeit
widmete. Es ist ein idealisierendes folkloristisches Bild von Menschen, die
eigentlich einer schweren Arbeit nachgehen, von Robert aber in eine Idylle
von, wie der selbst sagt, »Einfachheit und edlem Anstand« versetzt werden.
Heines Interpretation lautete: »Roberts Schnitter sind daher nicht nur
sündenlos, sondern sie kennen keine Sünde. Sie sind selig ohne Himmel,
versöhnt ohne Opfer, rein ohne beständiges Abwaschen, ganz heilig.« Sie sind
der Traum eines sündenlosen Lebens, nach dem sich Heine selbst immer gesehnt
hatte. Er stellte fest: »Der Maler, der so schön den Tod verklärt, hat
jedoch das Leben noch weit herrlicher darzustellen gewusst: Sein großes
Meisterwerk ›Die Schnitter‹ ist gleichsam die Apotheose des Lebens; bei dem
Anblick desselben vergisst man, dass es ein Schattenreich gibt, und man
zweifelt, ob es irgendwo herrlicher und lichter sei, als auf der großen
Erde.« Ganz im Sinn der Jünger des Saint-Simonistischen Glaubens, der den
Himmel auf Erden und zwar sofort schaffen will, folgert Heine: »Die Erde ist
der Himmel und die Menschen sind heilig, durchgöttert, das ist die große
Offenbarung«, und preist die Farbgebung des Gemäldes, das im Übrigen nach
Ende des Salons von König Louis Philippe gekauft und seiner Sammlung
einverleibt wurde.
Heine suchte auch, meist vergeblich, in den anderen Bildern vor allem den
sozialen Gehalt, weniger die unverwechselbare Künstlerschaft des Wie vor dem
Was. »Die jetzige Kunst muss zugrunde gehen, weil ihr Prinzip noch im
abgelebten, alten Regime... wurzelt«, resümierte er enttäuscht. Deshalb
stehe sie im »unerquicklichen Widerspruch mit der Gegenwart«, glaubte er
indes in seinem noch vorhandenen Geschichtsoptimismus, der ja auch der Lehre
seiner Apostel entsprach: »Die neue Zeit wird auch eine neue Kunst gebären«,
nämlich jene Apotheose des ungeteilten Lebens wie in dem Bild des Léopold
Robert. Auch für die Kunst gelte, dass »die Juliusrevolution unsere Zeit
gleichsam in zwei Hälften auseinander sprengte«, wie Heine später in seiner
Schrift über Ludwig Börne schreiben wird, in abgetane Vergangenheit und
gewisse Zukunft. Gerade der leidenschaftliche Republikaner Börne hatte Heine
bei einem Tischgespräch in einem Pariser Restaurant dafür getadelt, dass er
gleich nach seiner Ankunft nichts Besseres zu tun wusste, als sich der Kunst
zu widmen und darüber zu schreiben. »Börne sah darin einen Beweis meines
Indifferentismus für die heilige Sache der Menschheit, und ich konnte ihm
ebenfalls die Freude seines patriotischen Sauerkrauts verleiden, wenn ich
von Tisch als nichts anderem als von Bildern sprach.«
Heine interessierte sich nicht vorrangig für die zeitgenössische Malerei als
autonome Kunst, sein Urteil war wesentlich von der Ideologie bestimmt. So
lobte er ›Die Revolution führt das Volk‹ von Eugène Delacroix, nicht nur das
populärste, sondern auch das ästhetisch nachhaltigste Bild des Salons,
allein wegen des Sujets. »Trotz etwaniger Kunstmängel atmet in dem Bild ein
großer Gedanke«, notierte er, »heilige Julitage, wie schön war die Sonne und
wie groß war das Volk von Paris.« Er kritisierte hingegen das Kolorit, denn
»auf keinem von allen Gemälden des Salons ist so sehr die Farbe
eingeschlagen, wie auf Delacroixs Julirevolution«. In Spott verfiel er, wenn
er meinte, die Freiheit als halb entblößte Frau erinnere ihn an »jene
peripatetischen Philosophinnen, an jene Schnellläuferinnen der Liebe oder
Schnellliebende, die des Abends auf den Boulevards umherschwärmen«, an eine
»Gassenvenus«.
Die Berichterstattung über den Kunstsalon stellte für Heine den Einstieg in
eine Korrespondententätigkeit für deutsche Journale dar. Da das Leben in
Paris »just nicht wohlfeil« sei und er dort sechsmal so viel Geld für den
Lebensunterhalt benötige als in der alten Heimat, war er auf der Suche nach
Verdienstmöglichkeiten. Doch wovon sollte er leben? Allein von der Pariser
Luft und dem Anblick der Grisetten? Die Apanage, die er von den reichen
Verwandten aus Hamburg erhielt, reichte nicht aus. Die Dichtung war ihm im
Trubel der Großstadt abhanden gekommen und so blieb nur eine publizistische
Tätigkeit. Mit Cotta, für den er schon in Deutschland Zeitungsbeiträge
verfasst hatte, erörterte Heine seine finanziellen Probleme ausführlich,
gestand ihm, in Geldsachen sei er geradezu Philister. Nachdem er mit Gustav
Kolb, dem stellvertretenden Chefredakteur der ›Augsburger Allgemeinen
Zeitung‹, in Paris zusammengetroffen war, ergab sich bald eine regelmäßige
Korrespondententätigkeit für das auflagenstarke liberale Blatt, das
ebenfalls zu Cottas Presse-Imperium gehörte und als bestinformiert in
Deutschland galt, in den Augen der Freiheitssüchtigen aber als konservativ.
So musste sich Heine erneut gegen deren Angriffe verteidigen, bezeichnete
sich selbst gegenüber den »hiesigen deutschen Jakobinern« als einen
»Gemäßigten« und als »Verteidiger der Institution des Königtums«. Cottas
Zeitung honorierte Heines Artikel gut, und so lieferte er dem Blatt für
einige Jahre Berichte aus Frankreich, deren erste unter dem Titel
›Französische Zustände‹ schon 1832 auch als Buch bei Hoffmann & Campe in
Hamburg erscheinen sollten. Was aber hielt Heine für berichtenswert aus
Paris?
Er hatte Großes vor. Was er berichtete, sollte über die alltägliche
chronikhafte Korrespondenz hinausgehen, »Geschichtsschreibung der Gegenwart«
läge ihm im Sinn, schrieb er dem Philologen Friedrich Wilhelm Thiersch nach
Deutschland: »Ich habe hier in Paris die großen Dinge erwarten helfen, die
noch nicht passiert sind. Sie werden aber endlich passieren, und ich werde
sie ruhig und unparteilich beschreiben, wie es meines Amtes ist.« Er meinte
damit das selbst auferlegte des Geschichtsschreibers »in dieser grandiosen
Stadt, wo alle Tage ein Stück Weltgeschichte tragiert wird«. Heine war sich
sicher, Geschichte wurde gemacht in Paris, und er wollte ihr Erzähler und
Deuter sein.
In den ersten Berichten für die ›Augsburger Allgemeine‹ ging er dann auch
grundsätzlich auf die Folgen der Julirevolution ein, auf die Schwäche der
Regierung, die sie tagtäglich vor allem im Verhalten gegenüber dem Volk
bekunde. »Der Zustand des niedern Volks von Paris ist indessen, wie man
sagt, so trostlos, dass bei dem geringsten Anlasse, der von außen her
gegeben würde, eine mehr als sonst bedrohliche Émeute stattfinden kann«, wie
es sie in Lyon mit dem Arbeiteraufstand schon gegeben hätte. Hinzu käme,
dass der Bürgerkönig Louis Philippe »den absoluten Königen täglich ähnlicher
wird«, und er stehe dadurch auf »sehr unsicherem Boden«, denn er habe durch
»eigene Schuld seine beste Stütze verloren... Er kajolierte die
Aristokratie, die ihn hasst, und beleidigte das Volk, das seine Stütze war«.
Aufschlussreich
ist in dieser Analyse der Einschub »wie man sagt«, denn Heine selbst suchte
die Welt hinter den Boulevards kaum auf, um Augenzeuge zu sein, sondern zog
Stoff aus den unmittelbaren Berichten anderer deutscher und der Pariser
Blätter, die er tagtäglich in den Lesestuben las. Er sah nur die Bettler,
die in den inneren Ring der Boulevards eindrangen.
Aus Heinrich Heine in Paris, von Jörg Aufenanger
Das Buch erschien bei
dtv premium im Großformat, mit Abbildungen, 160 Seiten,
Originalausgabe
ISBN 3-423-24518-2 / Euro 12,00 [D] 12,40 [A] sFr 21,10
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auch über amazon.de]
Pressestimmen:
Frankfurter Hefte: "Wie Heinrich Heine im freiwilligen Pariser Exil sein
persönliches Glück fand, zum Bestandteil der Pariser Kultuszene wurde, als
Vermittler zwischen deutscher und französischer Literatur wirkte,
vielfältige persönliche Kontakte zu den großen französichen Autoren und
Künstlern seiner Zeit pflegte und mittles seines 'portativen Vaterlandes',
d.h. der deutsche Sprache, Literatur von weltliterarischer Bedeutung schuf,
dies alles kann man in gebündelter Form nun nachlesen in Jörg Aufenangers
kurzweiligem Buch. Es setzt nicht nur dem Schriftsteller und Lebenskünstler
Heine ein Denkmal, sondern auch der Stadt Paris."
Alexander Altmann, Nürnberger Nachrichten: "Trotz des bevorstehenden Mozart-
und WM-Rummels: 2006 ist vor allem auch ein Heine-Jahr. Aus diesem Anlass
beschreibt Jörg Aufenanger ebenso kenntnisreich wie unterhaltsam das Leben
des exilierten Poeten in der französischen Hauptstadt - und spart dabei auch
die Schattenseiten nicht aus."
Über
Heinrich Heine - außerdem:
»Wenn es um Heine ging, wurde in Deutschland seit eh und je scharf
geschossen. Ein geborener Provokateur war er und ein ewiger Ruhestörer...Er
ging ins Exil, um nie in Deckung gehen zu müssen. Seine Biographie reicht
vom jüdischen Mittelalter bis zur europäischen Neuzeit, sein Werk führt von
der deutschen Romantik zur Moderne der Deutschen... Stets setzte er sich
zwischen alle Stühle. Und fast will es scheinen, als sei da immer noch sein
Platz. Aber es spricht nicht gegen Heine, dass sein Werk uns immer wieder
beunruhigt. Dass es noch ist, was es war: eine Provokation und eine
Zumutung.«
(Marcel Reich-Ranicki)
Reich-Ranicki, Marcel:
Der Fall Heine
136 Seiten - ISBN 3-423-12774-0 - Euro 7,50D 7,80A sFr 13,50
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2006
ein Heinrich Heine Jahr: "Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann
bin ich um den Schlaf gebracht. Ich kann nicht mehr die Augen schließen, und
meine heißen Tränen fließen"... |