
Der innere Konflikt:
Germanisch gegen den Krebs
Von Andreas Speit
Krebs ist heilbar - ohne Chemotherapie und
Bestrahlung, verspricht Geerd Hamer. Vor über 27 Jahren verkündete
er die "Germanische Neue Medizin" (GNM). Für seine Sympathisanten
ist er ein "Genie", für seine Kritiker ein "Scharlatan". Seit 19
Jahren ist dem Internisten die Approbation entzogen. "Wegen
Nichtabschwörung" und "Nichtbekehrens zur Schulmedizin", sagt Hamer.
Denn er ist fest davon überzeugt, dass Krebs durch psychische
Konflikte entstehe.
Kranke bräuchten nur ihren "inneren Konflikt lösen" und die
heimtückische Krankheit verschwinde - ohne medizinische Behandlung.
Wegen illegaler Arzttätigkeit sitzt der 70-Jährige in Frankreich für
vier Jahre in Haft. Nicht nur die Deutsche Krebsgesellschaft bringt
die GNM mit zahlreichen Todesfällen in Verbindung. In der Weigerung,
seine Lehre offiziell anzuerkennen sieht Hamer vor allem eine
jüdische Verschwörung. Seine "Heilslehre" gefällt dennoch. An die 60
Stammtische der GNM gibt es alleine in Deutschland wie in Kiel,
Flensburg, Hamburg, Bremen, Hannover oder Goslar.
Osnabrück, ein Donnerstagabend: Im Saal einer Gaststätte hören etwa
80 Besucher den Ausführungen Helmut Pilhars zu. Der Hamer-Vize hat
ein internationales GNM-Netzwerk aufgebaut. Fast jeden Abend wirbt
der Österreicher für seine Therapie und warnt vor der
"Schulmedizin".
An die Wand projiziert Pilhar unscharfe CT-Bilder, auf denen
"Hamer'sche Herde" im Gehirn zu sehen seien. Eine
Konfliktbewältigung könne retten, da sie eine Selbstheilung mit
nützlichen Mikroben auslöse. Als 1995 Pilhars Tochter an einem
Nierentumor erkrankte, floh die Familie zu Hamer. Erst als die
Polizei einschritt, konnte das Mädchen gerettet werden. Laut Ärzten
ist das Kind geheilt, die Eltern finden es fragwürdig, ob nach einer
Chemotherapie von langfristiger Heilung ausgegangen werden könnte.
Auf die GNM-Idee kam Hamer nach dem Tod seines Sohnes, der an einer
Schussverletzung starb. Verlustkonflikt und eine
Hodenkrebserkrankung fielen für ihn zusammen. Diese Koinzidenz war
für Hamer "die Initialzündung". Dass seine Habilitationsschrift und
Lehre nicht angenommen wurden, sei dem Einfluss "jüdischer Logen"
geschuldet. Diese würden Professoren, Richter und Journalisten
beeinflussen, um eine "beispiellose
Erkenntnisunterdrückungskampagne" durchzusetzen. Er meint weiter,
dass die "dumme alte Schulmedizin eigentlich eine jüdische Medizin"
sei und es wäre "der wahnsinnige Kampf der Talmud-Zionisten, alle
Nichtjuden umbringen zu wollen".
Der Tod des Sohnes, sagt er, habe der Menschheit auch die
"Erkenntnis dieses religiösen Weltherrschaftswahns" gebracht. Die
Juden würden selbst die GNM anwenden und "zu 98 Prozent überleben",
erklärt er, "während meine deutschen nichtjüdischen Landsleute und
alle Nichtjuden gezwungen werden sollen, weiter die idiotische
jüdische Gutartig-Bösartig-Religionsmedizin zu erdulden, an der man
zu 98 Prozent an Chemo und Morphin stirbt".
Der studierte Theologe verkündet auch, dass nach der "jüdischen
Religion" die Vernichtung der Nichtjuden erst das "messianische
Reich der Juden" ermögliche. Kritische Töne sind aus der
Anhängerschaft des Medizin-Gurus Hamer kaum zu vernehmen. Lieber
redet sie vom "Chemo-Holocaust".
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30-01-2006 |