
Weihnukka:
Die Mehrheit sieht uns als Fremde
Von Stephan J. Kramer
Der Kampf der Juden um kulturelle und religiöse
Emanzipation, den Chanukka feiert, ist auch heute aktuell. Dies
zeigt die Sehnsucht der nichtjüdischen Umwelt nach Normalität und
"Weihnukka".
Es begab sich aber zu einer Zeit, vor 1933, da
feierten manche - und vermutlich nicht wenige - jüdische Deutsche
Chanukka unter dem Weihnachtsbaum.
Dieses Jahr fallen Weihnachten und Chanukka zusammen
- wir zünden das erste Licht am 25. abends. Zugleich feiern auch
romantische Geschichten vom "Weihnukka-Fest" wieder fröhlich
Auferstehung. Und das nicht nur in den "Tagesthemen".
Das Jüdische Museum in Berlin widmet dem fiktiven
Fest sogar eine Ausstellung. Statt der bei jüdischen Events sonst
üblichen, vermeintlich authentisch Klezmer-Musik wird der Besucher
von klassischer Weihnachtsmusik berieselt. Auch die sorgsam vor dem
Museum aufgebauten Stände ähneln einem klassischen Weihnachtsmarkt.
Die ganz traditionell dort angebotenen Sufganiot und Latkes wirken
da eher als Alibi.
Da kommt der Verdacht auf: Jüdisches wird um so
enthusiastischer zur Kenntnis genommen, je weniger es in der
Realität vorkommt. Die "Weihnukka"-Ausstellung und -Diskussion sind
kein Ausdruck lebendiger jüdischer Kultur, sondern spiegeln eine
gefährliche Tendenz der Historisierung und Vereinnahmung des
Judentums in Deutschland wider. Sie kommt der nichtjüdischen
Sehnsucht entgegen, alle Widersprüche und Differenzen zwischen
Judentum und Christentum aufzulösen. Ausstellenswert und
diskussionswürdig scheinen so vor allem die Zeugnisse der jüdischen
Religion, die weite Teile der heute hier lebenden Juden nicht mehr
zu praktizieren bereit sind - ohne dass dies im Umkehrschluss hieße,
praktizierte jüdische Religion und Chanukka wären hierzulande so gut
wie tot.
Chanukka erinnert an einen Freiheitskampf - und
handelt von einem Sieg zur politischen, religiösen und kulturellen
Selbstständigkeit. Dieser Kampf um kulturelle und religiöse
Emanzipation ist auch heute aktuell. Die Sehnsucht der
nichtjüdischen Umwelt nach Normalität und "Weihnukka" ist ein
unübersehbares Indiz dafür.
Die Mehrheit der deutschen Gesellschaft sieht Juden
auch heute noch - oder schon wieder? - als Fremde. Die eigene
jüdische Identität wird von der Umwelt nur bedingt akzeptiert. Man
sieht zuerst den Juden, kaum den Deutschen, noch seltener den
Menschen.
Frühere Ideen von Assimilation hat die jüdische
Gemeinschaft aus guten Gründen längst aufgegeben - aber längst nicht
die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft. Ganz im Sinne der deutschen
Aufklärung denken viele: Juden müssten aus der Bindung an ihr
Kollektiv befreit werden, um sich zu emanzipieren und
gleichberechtigt zu werden.
Dabei war und ist Assimilation stets ein
hinterhältiges Denkmodell, insbesondere wenn es von der
Mehrheitsgesellschaft oktroyiert wurde oder wird. Jeder sollte die
Chance haben, seine eigene religiöse und kulturelle Art des Lebens
fortzusetzen. Dies gilt nicht nur für Christen, Juden und Muslime,
sondern für areligiöse Menschen gleichermaßen. Deutschland ist ein
Land vielfältiger Kultur.
In diesem Sinne: Chag Chanukka Sameach und Fröhliche
Weihnachten!
Stephan J. Kramer, 37, ist Generalsekretär des
Zentralrats der Juden in Deutschland.
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Der Bericht der Tagesthemen:
Wird so Licht ins Dunkel gebracht?
Judentum trifft Christentum
Im religiösen Sinne haben sie nichts miteinander zu tun. Das
"europäische Judentum" habe "dennoch die Rituale beider Religion zu
einem einzigen 'Weihnukka' verschmolzen", so behauptet es zumindest
eine Ausstellung im jüdischen Museum...
haGalil onLine
25-12-2005 |