Gazastreifen:
Sinn und Unsinn einer Todeszone
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Gestern Abend trat der israelische Beschluss in Kraft, den
Norden des Gazastreifens, wo früher Siedlungen standen, zu einer Todeszone
zu erklären. Künftig soll auf alles geschossen werden, was sich da bewegt.
Kassamraketen sollen auf Distanz gehalten werden von Militärlagern,
Kibbuzim, der Stadt Aschdod, einem Kraftwerk und einer Entsalzungsanlage.
Doch diese Maßnahme wird nicht lange Sinn machen. Denn die
Palästinenser arbeiten intensiv an größerer Reichweite ihrer Raketen und
behaupten, bald 25 Kilometer entfernte Ziele treffen zu können. Ungestört
werden sie weiterhin nach Osten schießen können. Da liegen in Reichweite der
Kassamraketen Scharons Privatfarm, Sederot und andere Ortschaften. Im Osten
des Gazastreifens könnten die Israelis keine "Todeszone" einrichten, weil
die Entfernung von der Grenze zum Mittelmeer nur zehn Kilometer beträgt.
Dazwischen leben 1,2 Millionen Palästinenser.
Die Extremisten können auch von dicht besiedeltem Gebiet
heraus Israel beschießen. Sie wissen, dass Israel nicht mit Artillerie
blindlings in Flüchtlingslager oder Stadtviertel schießen würde. Niemand in
der Welt, nicht einmal die israelische Bevölkerung, würde hunderte oder
tausende Todesopfer hinnehmen, nur weil da Kasamraketen in einem Feld
explodiert sind, meistens ohne Schaden anzurichten.
Wer immer von Gaza aus Israel bekämpft, will nicht mehr die
Besatzer loswerden, denn die haben sich im August zurückgezogen. Aus
wahltaktischen Gründen hält sich die Hamas an den von Präsident Mahmoud
Abbas ausgerufenen "Waffenstillstand". Doch im Januar soll der Kampf gegen
Israel weitergehen, erklärte Hamaschef Khaled Maschal in Teheran und erneut
in Damaskus. Die Dschihad Islami Organisation fühlt sich an die Waffenruhe
nicht gebunden und beteiligt sich auch nicht an den Wahlen. Ihr Ziel ist die
Zerstörung des "zionistischen Gebildes", sodass selbst ein Rückzug oder
Friedensgespräche kein Grund für ein Ende des Kampfes sind.
Mit Israels Einrichtung einer "Todeszone", wo selbst
verirrten Kindern der automatische Tod droht, hat Dschihad einen großen
politischen Sieg errungen. Während die Kassamraketen kaum oder nie
internationale Proteste nach sich ziehen, dürften die ersten "unschuldigen"
Toten in der "verbotenen Zone" einen Sturm der Entrüstung auslösen. Auch
wenn die Amerikaner Israels Recht auf Selbstverteidigung würdigen, verspielt
Israel jetzt wieder seinen "guten Ruf", den es sich im Sommer durch seinen
Rückzug teuer erkauft hat. © Ulrich
W. Sahm / haGalil.com
hagalil.com 29-12-2005 |