Einkaufszentrum erneutes Ziel:
Anschlag in Netanja
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
"Unsere Achillesferse sind die Übergänge zwischen den
besetzten Gebieten und Israel", sagte Polizei-Minister Gideon Ezra nach
einem erneuten Anschlag in Netanja. "Ein Fluch liegt über dem
Einkaufzentrum", meinte ein Reporter über jenen Ort, wo sich schon mehrmals
palästinensische Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt hatten. Diesmal
war es der 21 Jahre alte Lutfi Amin Abu Sami von der Dschihad Islami
Organisation.
Er hinterließ ein Bekennervideo, ehe er mit einer großen Tasche in der
Hand das Einkaufszentrum betreten wollte. "Terrorist, Terrorist" schrie eine
Frau. Ein Wachmann zog den Attentäter zehn Meter vom Eingang weg. Polizisten
einer Streife kamen und wollten den verdächtigen Palästinenser prüfen, als
der mit einem schnellen Griff in die Tasche auf den Zünder drückte. Der
Wachmann und fünf weitere Menschen starben. Nägel und Schrauben in dem
Sprengsatz verursachten teilweise schwere Verletzungen bei über fünfzig
Menschen. Die Explosion war so stark, dass Blutspuren bis in zwanzig Metern
Höhe an der Fassade des Einkaufszentrums mit den zerfetzten Fensterscheiben
zu sehen waren.
Täglich weiß der israelische Geheimdienst von etwa vierzig geplanten
Anschlägen, ohne jedoch mit Bestimmtheit vorhersehen zu können, wo die
Attentäter zuschlagen wollen. "Sie kommen in Fahrzeugen mit israelischen
Kennzeichen durch die Sperren am Sicherheitszaun", sagt Minister Ezra.
Israelische Araber verdingen sich als Fahrer, manchmal sogar wissend, um ein
überhöhtes Fahrgeld zu kassieren, sagt der Minister. Wenige Stunden vor dem
Anschlag, am Sonntag Abend, wurden "Erleichterungen" für Palästinenser
bekannt gegeben. Weitere viertausend Einreisegenehmigungen nach Israel
wurden ausgeteilt. Während der Kabinettssitzung am Sonntag Morgen äußerten
Sicherheitsleute "Sorgen" über die "Löcher" im Sperrzaun, durch die
Palästinenser illegal nach Israel wechselten. Die Meisten seien Tagelöhner
auf der Suche nach Arbeit. Doch unter ihnen könnten auch
Selbstmordattentäter sein.
In den letzten Tagen hatte sich vor Allem im Gazastreifen die Stimmung
angeheizt. Nachdem Palästinenser wieder Dutzende Kassamraketen auf Israel
abgeschossen hatten, reagierte die israelische Armee mit Artilleriebeschuss
auf offene Felder und dem gezielten Raketenbeschuss auf die Büros einer so
genannten "wohltätigen Organisation". Tote oder Verletzte gab es bei den
israelischen Angriffen nicht. Weil aber die Raketenangriffe wieder zunehmen
und Häuser in grenznahen Ortschaften getroffen wurden, drohte die Regierung
mit der Wiederaufnahme der umstrittenen "gezielten Tötung" von Drahtziehern
und Befehlshabern der Terror-Organisationen. Hauptziel sei die radikale von
Iran und Syrien gelenkte Dschihad Islami Gruppe. Die beteiligt sich nicht an
den palästinensischen Wahlen und weigert sich auch, den unter
Palästinensergruppen ausgehandelten Waffenstillstand einzuhalten.
Muhammad Barake, arabischer Abgeordneter im israelischen Parlament, glaubt,
dass die geplante Wiederaufnahme gezielter Tötungen der Grund für den
Anschlag in Netanja war. Nicht Rache also für den Tod eines Mitkämpfers,
sondern vorausschauende Rache für eine israelische Absichtserklärung. Barake
behauptete auch, dass solche Anschläge der "israelischen Rechten" dienen,
wobei er übersieht, dass sich die politischen Lager in Israel, rechts wie
links, in einem Zustand der Auflösung befinden und besonders die Rechten
noch keine neue Führung gefunden haben, nachdem Scharon durch Abspaltung in
die "Mitte" abgewandert ist.
Der Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas verurteilte wie üblich den Anschlag
und meinte, dass er gegen die Interessen des palästinensischen Volkes
verstoße. Auf israelischer Seite beklagten Politiker mangelnde Aktivitäten
der Autonomiebehörde gegen Terroristen. Klagen der Autonomiebehörde, nichts
tun zu können, weil nur ein Drittel aller Polizisten eine funktionierende
Waffe besäßen, werden in Israel nicht akzeptiert. Am Sonntag erst wurde ein
junger Palästinenser in Ramallah von palästinensischen Polizisten
erschossen. Die Polizei kontrollierte Papiere von Autofahrern, um nach
gestohlenen Fahrzeugen zu suchen. Der getötete Palästinenser versuchte, der
Straßensperre auszuweichen. © Ulrich
W. Sahm / haGalil.com
hagalil.com 06-12-2005 |