Thüringen-Monitor 2005:
Kein Grund zur Entwarnung
Auch wenn die rechtsextremen
Parteien der Bundestagswahl deutlich unter 5 Prozent blieben – es gibt
keinen Grund zur Entwarnung: Rechtsextreme und antisemitische Einstellungen
sind weiter verbreitet, als die Wahlergebnisse der NPD zeigen. Und: Die
Hemmschwelle sinkt, der braunen Überzeugung entsprechend auch zu wählen.
Von Jörg Fischer
Am Abend des 18. September stand zwar fest, daß die NPD
deutlich unter den von ihr angestrebten 3 Prozent bleibt und, wie es auch zu
erwarten war, kein Direktmandat holen würde, dennoch: Mit 1,6 Prozent der
Stimmen konnte sich die NPD im Vergleich zur Bundestagswahl 2002
vervierfachen und das beste Bundestagswahlergebnis seit 1969 erzielen. Ihre
höchsten Ergebnisse erzielte die NPD in Sachsen (4,9 Prozent), Thüringen
(3,7 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (3,5 Prozent). Spätestens seit der
Sinus-Studie von 1982 wissen wir, daß das Potential wesentlich größer und
die entsprechenden Einstellungen wesentlich verbreiteter sind, als die
Wahlergebnisse für rechtsextreme Parteien ausweisen. Damals wurde das braune
Potential für die alte Bundesrepublik auf 13 Prozent taxiert, diese
Prozentzahl hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten nicht verringert.
Am 11. November wurde die jährliche Umfrage zur politischen Kultur im
Freistaat Thüringen, der "Thüringen Monitor 2005" veröffentlicht. Aus diesem
geht hervor, das die Unzufriedenheit mit der Politik in Thüringen weiter
wächst.45 Prozent der Befragten erklärten, das sie mit der Demokratie, wie
sie heute funktioniert, unzufrieden sind. Der Umfrage zufolge sind 20
Prozent der Thüringer, also jeder Fünfte Bewohner des Bundeslandes,
rechtsextrem eingestellt: 16 Prozent der Männer und 28 Prozent der Frauen.
Womit schon gleich eines der gängigsten Klischees über Bord geworfen wird,
Rechtsextremismus sei ein "männliches Phänomen". Aufschlussreich sind auch
die weiteren Zahlen, die aufzeigen, das in bestimmten Themengebieten
rechtsextreme Einstellungen noch verbreiteter sind.
Der Aussage "Die Bundesrepublik ist durch die Ausländer in einem
gefährlichen Maße überfremdet" stimmten laut "Thüringen Monitor 2001" 49
Prozent zu, 2002 waren es 50 Prozent, 2003 55 Prozent, 2004 56 Prozent und
2005 60 Prozent. Der Aussage "Ausländer kommen nur hierher, um unseren
Sozialstaat auszunutzen" stimmten 2001 bereits 48 Prozent der Befragten zu,
ihre Zahl stieg bis 2005 auf 58 Prozent an. Relativ stabil, aber deshalb
nicht weniger erschreckend, ist die Zustimmung zur Aussage "Es gibt
wertvolles und unwertes Leben". 2011 betrug die Zustimmung zu diesem
menschenverachtenden Satz 35 Prozent, 2004 waren es 31 Prozent und 2005
wieder 32 Prozent. 21 Prozent der Befragten waren 2005 der Meinung, das
sich, "wie in der Natur, so auch in der Gesellschaft der Stärkere
durchsetzen" solle. In den vorangegangenen Jahresberichten schwankte die
Zustimmung zu dieser Aussage zwischen 21 und 29 Prozent. Auch Nationalismus
und Chauvinismus finden eine starke Zustimmung. "Was unser Land heute
braucht, ist ein hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen
gegenüber dem Ausland." Dieser Forderung stimmten 2001 56 Prozent zu, 2002
waren es 53 Prozent, 2003 dann 66 Prozent, 2004 63 Prozent und 2005
schließlich 64 Prozent. Und natürlich dürfen auch antisemitische Vorurteile
nicht fehlen, 2005 waren 14 Prozent der befragten Thüringer der Meinung,
"Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen
nicht so recht zu uns." 2004 betrug die Zustimmung 13 Prozent, 2003 waren es
14 Prozent, 2002 13 Prozent und 2001 15 Prozent – offensichtlich ein relativ
stabiler, antisemitischer Bodensatz.
Es wäre verfehlt, jetzt von einem "Thüringer Problem" oder einem
"ostdeutschen Phänomen" zu sprechen. Tatsächlich kommt durch den Thüringen
Monitor nur die Spitze des braunen Eisberges zu Tage. Nicht vergessen werden
darf, das etwa die NPD in den 60er Jahren in sieben Landesparlamente der
alten Bundesrepublik eingezogen ist und das auch die einzigen
Landtagswahlerfolge der "Republikaner" in alten Bundesländern waren:
West-Berlin (1989) und Baden-Württemberg (1992 und 1996). Auch 2005 begann
die Rückkehr der NPD auf der wahlpolitischen Bühne im Westen, Anfang
September holte die NPD im Saarland bei den Landtagswahlen 4 Prozent der
Stimmen, zwei Wochen später gelang ihr mit knapp über 9 Prozent der Stimmen
in Sachsen dann erstmals seit 1968 wieder der Einzug in einen Landtag. Die
Zahlen der Umfragen und auch die Wahlergebnisse der NPD fallen nicht vom
Himmel, sie stehen im Kontext einer gesellschaftlichen Entwicklung, in der,
wie der Kölner Universitätsprofessor Christoph Butterwegge feststellte,
"Themen der Rechten zu Themen der Mitte werden."
Der Begriff von der angeblichen "Überfremdung" etwa wurde in den 70er Jahren
von der NPD eingeführt, heute gehört er zum ganz normalen Sprachgebrauch
auch der etablierten Politiker. Eine andere, damit zusammenhängende
Entwicklung, ist die schwindende Hemmschwelle, von der Einstellungsebene zur
Verhaltensebene überzugehen, etwa in Form der Wahl einer rechtsextremen,
bzw. neonazistischen Partei. Diese Entwicklung wird vor allem durch die
zurückgehende gesellschaftliche Ächtung und Ausgrenzung rechtsextremer
Positionen verstärkt. Hier haben Neonazis in den vergangenen Jahren durchaus
Erfolge zu verbuchen gehabt. Etwa wenn es Shoaleugnern gelingt, mit
pseudowissenschaftlichen Auftretens zu erreichen, das ihre Propaganda zwar
als "unrichtige Meinung" eingestuft wird, aber doch als eine "Meinung, über
die man diskutieren kann" – oder wenn der britische Shoaleugner und Neonazi
David Irving selbst in vielen Massenmedien als angeblicher "Historiker"
bezeichnet wird. Auch die immer noch zu geringe Bereitschaft zur offensiven
Zivilcourage, etwa wenn es darum geht öffentliche Aufmärsche von Neonazis zu
verhindern mit dem Argument, "man müsse Nazidemonstrationen tolerieren, da
die NPD nicht verboten sei", verstärken diese Entwicklung der schwindenden
Hemmschwellen.
Gerade auch die NPD-Wahlerfolge in Sachsen und im Saarland zeigen auf,
welche Folgen es hat, wenn Rechtsextremisten als gleichberechtigte
Gesprächspartner angesehen werden, wenn die gesellschaftliche Ächtung und
Ausgrenzung von Neonazis und ihren Themen zurückgeht und wenn Neonazis
anfangen können, öffentlich ungehindert aufzutreten und Teil des
"Wurzelgrundes der Gesellschaft" werden, wie es ein Soziologe der NPD in
Sachsen attestierte. Ähnliches wird übrigens der NPD auch in Thüringen und
Mecklenburg-Vorpommern attestiert, weswegen Politik- und Wahlforscher
zwischenzeitlich davon ausgehen, das die NPD bei den Landtagswahlen in
Mecklenburg-Vorpommern im Herbst 2006 nicht chancenlos ist und den Sprung in
den Schweriner Landtag durchaus schaffen könnte. Ähnliche Befürchtungen gibt
es auch hinsichtlich der DVU-Kandidatur zu den Landtagswahlen in
Sachsen-Anhalt am 26. März 2006. Allerdings sollte man, wenn es denn so
kommen sollte, an den beiden Wahlabenden bei aller "Überraschung" eines
nicht vergessen: Von nichts kommt nichts.
Der Thüringen-Monitor 2005 als pdf-Datei |