Geschichtsverdrehung:
Am Anfang war Al-Aksa
Auszüge
aus einem Artikel von Nadav Shragai, Ha'aretz, 27.11.2005,
Übersetzung Daniela Marcus
Vor einigen Jahren erschien ein Artikel auf der
Website des nördlichen Zweiges von Israels Islamischer Bewegung. Der
Artikel stammte aus der Feder des ägyptischen Archäologen Abed
al-Rahim Rihan Barakat, Leiter der archäologischen Abteilung in der
Region Dahab auf der Halbinsel Sinai. Er schrieb: "Die Legende über
den jüdischen Tempel ist die größte historische Fälschung."
Barakat fuhr fort zu erklären, dass David und Salomo nur kleine
Gebetshäuser und keinerlei Verbindung zu einem Tempel hatten. Mit
dieser Aussage steht er nicht allein. Ein saudi-arabischer
Historiker namens Mohammed Hassen Sharab behauptet, der Tempel
Salomos wurde an der Stelle gebaut, an der jetzt die Davidszitadelle
steht. Eine Fatwa auf der Website der moslemisch-religiösen Treuhand
(Waqf) in Jerusalem beinhaltet, dass Salomo und Herodes den Tempel
nicht gebaut, sondern nur seine frühere Konstruktion aus Adams Zeit
renoviert hätten.
Eine weitere Behauptung, die von Ikrama Sabri, dem Jerusalemer Mufti
der palästinensischen Autonomiebehörde, ausgesprochen wurde, besagt,
dass der Tempel bereits dreimal gebaut wurde und dass Herodes
derjenige gewesen sei, der den dritten Tempel errichten ließ. Wenn
man dieser Art von Logik folgt, wurde der dritte Tempel bereits
zerstört, womit die jüdische Überlieferung bezüglich des zukünftigen
Baus eines dritten Tempels unbegründet ist. Gemäß einer anderen
moslemischen Version, die in den letzten Jahren großen Anklang fand,
stand der Tempel der Juden ausgerechnet in Jemen.
Historiker Dr. Yitzchak Reiter, der nun ein Buch mit dem Titel "From
Jerusalem to Mecca and Back – the Muslim Rallying Around Jerusalem"
(Von Jerusalem nach Mekka und zurück – der moslemische
Zusammenschluss rings um Jerusalem) veröffentlicht, sammelte über
Jahre hinweg Tausende von Publikationen, religiösen
Rechtssprechungen, Aussagen und Erklärungen von moslemischen
Klerikern, Historikern, öffentlichen Personen und Staatsmännern über
das Thema Jerusalem. Sein Buch zeichnet detailgetreu ein Portrait
der umfassenden moslemischen Leugnung – einer Leugnung der jüdischen
Verbindung mit Jerusalem, dem Tempelberg und dem Tempel. Diese
Argumentation hat sich seit dem Sechstagekrieg im Jahr 1967
verstärkt.
Das Buch wird vom Jerusalemer Institut für Israel Studien
veröffentlicht. Dies ist eine Institution für politische Studien,
die 1978 auf Initiative von Teddy Kollek gegründet wurde und seither
Hunderte von Studien, die sich auf die Stadt Jerusalem und ihre
Zukunft beziehen, veröffentlicht hat. Das Institut wird
hauptsächlich von Spenden finanziert und ist unabhängig von
städtischen und staatlichen Institutionen. (…) Vor dem
Camp-David-Gipfel im Jahr 2000 entwarf das Institut die Optionen für
die Teilung Jerusalems und seiner Umgebung in einen jüdischen und
einen palästinensischen Teil. Die Gelehrten des Instituts führen
auch Studien in Zusammenarbeit mit palästinensischen
Forschungsinstituten durch.
Die moslemische Mauer
Mehrere Kapitel in Reiters Studie beschreiben den parallel
verlaufenden Anstieg der Heiligkeit von Al-Aksa und Al-Quds (der
moslemische Name von Jerusalem). So wird zum Beispiel mittlerweile
gesagt, die Al-Aksa-Moschee –die gemäß moderner Forschung vor etwa
1.400 Jahren gebaut wurde- sei eine Moschee, die zur Zeit der
Schaffung der Welt während Adams oder Abrahams Dasein entstanden
sei. (…) Scheich Ikrama Sabri ist einer von denjenigen, die diese
Überlieferung herauf beschwörten. Er führte sie in einer
Rechtssprechung an, die er vor einigen Jahren verfasst hat. Hierin
schrieb er den Bau der heiligen Moschee in Mekka und des
Al-Aksa-Komplexes Adam, die Erneuerung der Kaaba Abraham und die
Renovierung von Al-Aksa Salomo zu. Auch der saudi-arabische
Historiker Mohammed Hassen Sharab schrieb, Al-Aksa sei von Adam
gebaut worden. Ein weiterer saudi-arabischer Historiker behauptete,
die Al-Aksa-Moschee habe bereits vor Jesus und Mose existiert. Eine
andere Überlieferung, die von einigen heutigen moslemischen Autoren
zitiert wird, schreibt den Bau von Al-Aksa Abraham zu. Diese
Überlieferung besagt auch, Abraham habe Al-Aksa 40 Jahre nach dem
Bau der Kaaba, die er gemeinsam mit seinem Sohn Ismael errichtete,
gebaut.
Reiter enthüllt Tausende von Rechtssprechungen, Publikationen und
Quellen, die aufzeigen, in welch großem Umfang die Leugnung der
jüdischen Verbindung mit Jerusalem und den heiligen Plätzen in der
moslemischen Welt bereits vorhanden ist. Verschiedene islamische
Quellen versuchen nun, Jerusalems Schlüsselrolle im jüdischen
Glauben zu widerlegen. Sie leugnen die Existenz des Tempels in
Jerusalem und behaupten, die Westmauer ("Klagemauer") sei kein
authentischer Überrest der äußeren Stützmauer des Tempel-Komplexes,
sondern eher die Westmauer des Al-Aksa-Komplexes. Diesen Platz
assoziieren die Moslems nun mit Al-Buraq, dem wunderbaren Lasttier
des Propheten Mohammed, das laut der Legende vom Propheten an der
Mauer angebunden wurde.
Die islamischen Texte, die sich auf die Leugnung der jüdischen
Verbindung mit Jerusalem und den heiligen Plätzen beziehen, wurden
von Reiter bei der jährlichen arabischen Buchmesse in Kairo und in
Buchläden islamischer Gemeinden in Europa, Amerika und Asien
gefunden. Ein großer Prozentsatz dieser Texte ist Arabisch
sprechenden Lesern auch im Internet zugänglich. Sie sickern
allmählich in das Meinungsbild der Menschen hinein und werden für
ein großes moslemisches Publikum auf der ganzen Welt zur Wahrheit.
Die neue islamische Schreibung, die mit der jüdischen Schreibung
über Jerusalem kollidiert, stellt drei fundamentale Behauptungen
auf: die jüdische Präsenz in Jerusalem war nur kurz (etwa 60 bis 70
Jahre) und rechtfertigt daher nicht die jüdische Souveränität über
die heilige Stadt; der Tempel existierte niemals und der Tempel von
Salomo –wobei Salomo einzig und allein als islamische Figur
betrachtet wird- war höchstens ein persönlicher Gebetsraum; die
Westmauer ist eine heilige moslemische Mauer, deren Verbindung zum
Judentum im 19. und 20. Jahrhundert für politische Zwecke erfunden
wurde.
Falsch zitiert
Viele moslemische Rechtsgelehrte verbinden nun das Wort "Al Hekhal"
(der Tempel) mit dem Wort "Al Mazum", der literarischen Umschreibung
für "die Intention" oder "die Vermutung", um ihre Position, nach der
alles eine jüdische Erfindung ohne faktische Grundlage ist, zu
erhärten. Abed al-Tuwab Mustafa zum Beispiel ist ein Dozent für
politische Wissenschaften an der Universität von Kairo und früherer
Moderator eines religiösen Programms im ägyptischen Fernsehen. Er
schreibt in seinem Buch, dass der jüdische Glaube an den Tempel eine
unbegründete Behauptung sei und dass die Forschung der Juden nicht
wissenschaftlich sei sondern nur als reine Vermutung und Hypothese
betrachtet werden könne.
Gemäß Mustafas Analyse war der Tempel ein Gebäude, das nicht größer
als ein geräumiges Zimmer war. (…) Den Bericht der britischen
Untersuchungskommission bezüglich der Westmauer, die im Jahr 1929
nach den Aufständen im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina
eingerichtet wurde, zitiert er falsch und sagt seinen Lesern, die
Kommission habe herausgefunden, dass die jüdische Behauptung, die
Westmauer sei eine der Mauern von Salomos Tempel, falsch sei.
(Tatsache ist, dass der Bericht der Kommission das Gegenteil sagt.)
(…)
Eine ähnliche Verzerrung erscheint auf der Website des südlichen
Zweiges der Islamischen Bewegung in Israel. Mohammed Halayka basiert
seine Ansicht, es gäbe keine Spuren eines jüdischen Tempels auf
scheinbaren Forschungen von israelischen Archäologen. Halayka
schreibt, dass die Juden seit 1967 65 Ausgrabungen auf dem
Tempelberg vorgenommen haben. Er zitiert die Archäologin Eilat
Mazar, die gesagt haben soll: "Wir sind nicht bis zum Tempel
vorgedrungen, und wir haben keine Ahnung, wo er stand." Tatsache ist
jedoch, dass Mazar in ihrem Buch Fundstücke präsentiert, die die
biblischen Quellen über den Tempel unterstützen. Sie weist außerdem
darauf hin, dass es nicht möglich ist, Ausgrabungen unter dem
Tempelberg-Komplex (…) vorzunehmen und dass es aus diesem Grund
keine originalen Artefakte vom Tempel selbst gibt.
Ranghohe Offizielle des Waqf in Jerusalem sagen, es sei undenkbar,
dass eine archäologische Ausgrabung an dieser heiligen Stelle
erlaubt werden würde. Sie sagen, keine der Ausgrabungen um den
Tempelberg herum könne die Existenz eines jüdischen Tempels
bekräftigen. Dieser sei pure Legende. Sie beziehen sich dabei auf
die Aussage des Muftis von Jerusalem, Scheich Ikrama Sabri, und auf
Aussagen seines Vorgängers, dem verstorbenen Mufti Scheich Saad
E-Din al-Almi. Beide Männer betonten die Überlegenheit und
Vormachtstellung des Islam in Jerusalem. (…)
Reiter ist der Meinung, dass die Wirkung der weit verbreiteten
Leugnung nicht heruntergespielt werden dürfe. Er weist darauf hin,
dass Politiker und Journalisten aus mehreren arabischen Ländern
einen bedeutenden Anteil dieser Botschaften nutzen, sie Teil ihres
politischen Bestrebens werden lassen und dadurch ihre Verbreitung
intensivieren.
Bis 1967 sprachen sie anders
Über Jahrhunderte hinweg bis zum Jahr 1967 war die Geschichte des
jüdischen heiligen Tempels –Details über seine Erbauung,
Überlieferungen bezüglich seiner Existenz, und auch Details über die
Zerstörung des ersten Tempels durch Nebukadnezar- ein fest
verankertes und unbestrittenes Motiv in der moslemisch-arabischen
Literatur. Darüber hinaus, sagt Reiter, identifizieren klassische
arabische Quellen den Ort, wo die Al-Aksa-Moschee steht, als den
Ort, wo der Tempel Salomos stand. (…) Abu Bachar al-Wasti, der zu
Anfang des 11. Jahrhunderts Prediger in der Al-Aksa-Moschee war,
präsentiert eine Vielfalt von Überlieferungen in seinem Buch (…),
die die jüdische Vergangenheit des heiligen Tempels darstellen.
Selbst im 20. Jahrhundert (vor dem Jahr 1967) schrieb der
palästinensische Historiker Araf al-Araf, der Ort des Haram
al-Sharif sei derjenige des Berges Moriah, der im Buch Genesis
genannt wird. Hier war die Tenne von Aravna (Ornan) dem Jebusiter,
die von David gekauft wurde, um dort im Jahr 1007 v. d. Z. den
Tempel zu bauen. Al-Araf fügte sogar hinzu, die Überreste des
Komplexes unter der Al-Aksa-Moschee datierten auf die Zeit Salomos
zurück. Diese Aussagen wurden zu einer Zeit geschrieben, als die
Altstadt von Jerusalem Teil des Königreiches Jordanien war. In neuen
arabischen Schulbüchern, die seit 1967 verfasst wurden, oder im
zeitgenössischen Diskurs sind solche Aussagen kaum mehr zu finden.
hagalil.com 06-12-2005 |