Generalproben:
Machtkämpfe innerhalb der Fatah
Zusammenfassung eines Artikels von Danny
Rubinstein, Ha'aretz, 01.12.2005
Übersetzung Daniela Marcus
Die gewalttätigen Ausschreitungen, die Schüsse
und das Entwenden bzw. Verbrennen von Wahlurnen, die die Vorwahlen
der Fatah bisher begleitet haben, mögen nur die Generalprobe sein
für die Gewalttätigkeiten während der kommenden Parlamentswahlen in
den Territorien, die für Ende Januar vorgesehen sind. Teilweise
zwangen die Ausschreitungen die Fatah-Führung, die Vorwahlen auf
einen anderen Termin zu verlegen.
Die Vorwahlen der Fatah waren dazu gedacht, Kandidaten zu bestimmen,
die die regierende Partei der Palästinensischen Autonomiebehörde
(PA) bei den anstehenden allgemeinen Wahlen vertreten sollen. Es war
vorgesehen gewesen, die Vorwahlen innerhalb einer Periode von 20
Tagen separat in jedem Distrikt stattfinden zu lassen. Und jedem
Distrikt wurde –bezogen auf den Anteil der Bevölkerung- eine
maximale Anzahl an zu wählenden Kandidaten zugeteilt.
Technische Probleme und Fehler bezüglich der Wählerlisten gab es in
jedem Distrikt, insbesondere im Gazastreifen. So erschienen z. B.
Wähler an den Wahlurnen, nur um festzustellen, dass ihre Namen nicht
aufgelistet waren und sie deshalb nicht wählen konnten. Sie gaben
ihrer Enttäuschung erbitterten Ausdruck und manche Wahlstationen
wurden in komplette Schlachtfelder verwandelt.
Die Fatahführer werden nun innerhalb kurzer Zeit neue Wählerlisten
vorbereiten müssen, wobei sie die Zahl der zugelassenen Wähler wohl
erheblich einschränken werden. Wer werden diese Wähler sein? Vor
allem ältere Wähler, außerdem diejenigen, die der Partei schon
längere Zeit angehören und diejenigen, die eine Gefängnisstrafe in
Israel abgesessen haben.
Die Tunisleute sind out
Diejenigen, die fordern, dass die Vorwahlen –koste es, was es wolle-
vollständig abgeschlossen werden, sind Mitglieder der jungen Garde
der Fatah. Ihre optimistische Hoffnung auf Erfolg wird durch die
vorläufigen Ergebnisse der Vorwahlen in Ramallah, Dschenin, Nablus,
Bethlehem und Tubas verursacht. Diese Ergebnisse weisen auf eine
Revolution in der palästinensischen Politik hin. Denn eine
definitive Mehrheit der dort gewählten Kandidaten sind Mitglieder
der jungen Garde der Partei. Beinahe alle von ihnen waren in der
ersten und zweiten Intifada aktiv. Die meisten von ihnen waren in
israelischen Gefängnissen und gehören zu den "Insidern", die die
"Outsider" –Fatahveteranen, die mit Arafat aus Tunis kamen-
verdrängt haben.
Wenn diese jungen Parteimitglieder, von denen einige zu den
Al-Aksa-Märtyrerbrigaden –dem militärischen Flügel der Fatah-
gehören, gemeinsam mit Hamas-Vertretern ins Parlament gewählt
werden, könnte man dies ein "militantes Parlament" nennen. Andere
mögen den Begriff "Terroristen-Parlament" vorziehen. Dr. Mahdi Abd
al-Hadi, Direktor des palästinensischen akademischen Zentrums für
internationale Studien in Ostjerusalem, nennt es ein Parlament der
"Insider" oder ein Parlament der Gefangenen. Wie immer der Name des
Parlaments lauten würde, es wäre vollkommen unterschiedlich zu dem
derzeit existierenden Parlament.
Allerdings gibt es keine Garantie dafür, dass diejenigen, die bei
den Vorwahlen gewählt werden, die Fatah bei den allgemeinen Wahlen
dann wirklich repräsentieren werden. Die endgültige Entscheidung
bezüglich der Kandidatenliste trifft das Zentralkomitee der Fatah,
dessen Mitglieder hauptsächlich Tunisveteranen sind. Warum werden
dann überhaupt Vorwahlen abgehalten?
Um den Zusammenhang zwischen den Fatah-Vorwahlen und den allgemeinen
Parlamentswahlen zu verstehen, muss man wissen, dass das
palästinensische Wahlgesetz kürzlich geändert wurde. Das neue
Wahlsystem besagt, dass die bisherigen 88 Mitglieder des Parlaments
durch 132 Mitglieder ersetzt werden. Die Hälfte von ihnen –nämlich
66- werden wie bisher auf regionaler Ebene gewählt. Das heißt,
Westbank und Gazastreifen sind in Distrikte eingeteilt und in jedem
Distrikt wird –gemäß Bevölkerungsanteil- eine bestimmte Anzahl von
Kandidaten direkt gewählt. Die andere Hälfte der insgesamt 132
Parlamentsmitglieder wird in einem ähnlichen Wahlsystem wie in
Israel gewählt. Das heißt, es werden eher Parteien als Kandidaten
gewählt. Die Wähler werden zwei Stimmzettel abgeben. Der eine
benennt die gewählte Partei, der andere den gewählten Kandidaten
eines Distrikts.
Die gegenwärtigen Fatah-Vorwahlen sollen entscheiden, welche
Kandidaten die Parteimitglieder im Parlament sehen wollen. Die
Ergebnisse der Vorwahlen sind jedoch nicht bindend sondern nur eine
Empfehlung. Doch das Zentralkomitee sollte die Wünsche der Wähler
natürlich in Betracht ziehen.
Der Letzte auf der Liste
Das Fatah-Zentralkomitee, das vor 16 Jahren gewählt wurde, besteht
mittlerweile aus 15 Mitgliedern. Doch nur 12 Mitglieder des Komitees
leben in der Westbank und im Gazastreifen. Seit das Komitee im Jahr
1989 gewählt wurde, sind fünf seiner Mitglieder gestorben oder
ermordet worden. Drei von ihnen weigern sich, die Territorien zu
betreten.
Die Übriggebliebenen, die vom PA-Vorsitzenden Mahmoud Abbas (Abu
Mazen) und von Premierminister Ahmed Qureia (Abu Ala) angeführt
werden, sind bereits um die 70 Jahre alt, haben Schlüsselpositionen
in der PA inne und üben beträchtlichen Einfluss innerhalb der Partei
aus. Sahar Habash ist einer von ihnen. Er versuchte als einziges
Komiteemitglied sein Glück bei den Vorwahlen in Ramallah. Er kam auf
Platz 36 –den letzten Platz- der Liste. Marwan Barghouti, der in
einem israelischen Gefängnis sitzt und in der palästinensischen
Presse manchmal als "Ingenieur" der Al-Aksa-Intifada bezeichnet
wird, kam hingegen auf Platz eins.
Die Botschaft ist klar. Fatah-Mitglieder wollen ein neues Parlament
sehen, zu dem diejenigen gehören, die eine aktive Rolle in der
Intifada spielten. Der Fatah-Mann auf der Straße mag zwar die
Veteranen in der Partei respektieren. Doch er möchte sie durch junge
Krieger der Intifada ersetzt sehen.
Was wird geschehen, wenn Mitglieder des Zentralkomitees die
Ergebnisse der Vorwahlen übergehen und alt gediente Kandidaten oder
andere, die nicht auf den ersten Plätzen liegen, nominieren? Der
junge Fatahführer Hatem Abdel Kader erwidert: "In diesem Fall werden
wir –die jungen Mitglieder- uns unter der Führung von Marwan
Barghouti zusammentun und unabhängig von den anderen auf einer
separaten Fatah-Liste kandidieren." Freunde von ihm sagen, sie
würden die Fatah-Partei verlassen genauso wie Ariel Sharon den Likud
verließ.
In den nächsten Wochen wird die Fatah-Führung eine stürmische Zeit
erleben. Sie wird voller Spannungen und Kämpfe zwischen
verschiedenen Gruppierungen und zwischen jung und alt sein. Dabei
wird man sich auf den schwierigeren Kampf mit den Hamas-Kandidaten
vorbereiten. Falls die Wahlen zum vorgesehen Zeitpunkt stattfinden
sollten, wird es Ende Januar auf jeden Fall ein neues
palästinensisches Parlament geben. Es wird sich vom jetzigen
Parlament unterscheiden. Und es wird den Machtkampf und
vorherrschenden Geist innerhalb der palästinensischen Öffentlichkeit
reflektieren.
hagalil.com 04-12-2005 |