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"Mein Opa, der Nazi":
Zur intergenerationellen Entschuldung der NS-Täter

Kommentar zum Artikel "Mein Opa, der Nazi" von Christiane Langrock-Kögel in der SZ vom 29.11.2005

Von Katharina Rothe

Wurden jahrzehntelang vorwiegend NS-Taten und -Involvierungen in den Familien der TäterInnen und MitläuferInnen verschwiegen, so wird dies neuerdings von einer vielsagenden Beredsamkeit abgelöst. Heute muss man sich nicht mehr schämen, wenn man Nazi war! Vielmehr kann man sich guten Gewissens in aller Öffentlichkeit dazu bekennen und damit sogar die ganze Familie in drei Generationen glücklich versöhnen und vereinen.

So beginnt Christiane Langrock-Kögel ihren Artikel über das (namentlich nicht genannte) Buch "Freiwillig in den Krieg" des Journalisten Jörn Roes mit den Worten: "Er hat nichts zu verbergen". Dabei geht es um einen ehemaligen Freiwilligen der Waffen-SS, der seinem Enkel seine Geschichte erzählt hat und dabei angeregt wurde durch dessen Haltung, die in den Worten der Autorin so vorbildlich klingt: Opa Roes "schonte sich nicht, weil er im Gespräch mit dem Enkel nicht das Gefühl hatte, sich verteidigen zu müssen".

Als beispielhaft erscheint, dass der Journalist Roes dem Großvater "vorurteilslos" entgegengetreten sei. Der Begriff "Vorurteil" bezeichnet in der Psychologie hoch affektiv besetzte Einstellungen gegenüber Personen aufgrund ihrer (tatsächlichen oder vermeintlichen) Gruppenzugehörigkeit, die – und das ist entscheidend – sich als besonders resistent erweisen, obwohl sie falsch sind. Die Autorin impliziert also, es lasse auf Vorurteile schließen, wenn man etwa emotional gegen NS-Täter eingestellt ist, als gründe dies nicht auf einem historisch belegten und gerechtfertigten Urteil.

Da ich Frau Langrock-Kögel keine beabsichtigte Entschuldung von NS-Tätern unterstelle, so schließe ich vielmehr auf den Versuch, sich an einem Neutralitätsdiktum zu orientieren. Damit ist die Vorstellung verknüpft, es sei möglich, sich als Deutscher in der dritten Generationenfolge der NS-TäterInnen von innerfamilialen Gefühlsbindungen und der Identifizierung als Deutscher loszulösen und sich neutral gegenüber der deutschen und der Familiengeschichte zu positionieren.

Doch ist dies nicht nur absurd und unmöglich: Die emotionale Verstricktheit, der Wunsch, sich einerseits mit den Vorfahren positiv zu identifizieren, die unbewusste Identifizierung mit der deutschen Schuld andererseits, bringen das Gegenteil einer naiv angenommenen Neutralität hervor. Dies vermittelt sich auch unmissverständlich in den Zeilen Langrock-Kögels. So schreibt diese, um das hehre Ziel der Neutralität zu unterstreichen, der Enkel habe auch in Akten recherchiert. Doch zeigt der Nachsatz die offensichtliche Intention des Unterfangens (des Enkels Jörn Roes und/oder der Autorin des SZ-Artikels): "Aber solche Akten sind nur grob geführt – daran kann man niemanden freisprechen" (Hrvh. KR) – genau darum geht es also: den Freispruch.

Wenn mit einem Zitat des durch seine sozialpsychologische NS-Forschung bekannt gewordenen Prof. Harald Welzer dann noch der Entschuldungsgestus des Enkels quasi naturalisiert wird bzw. völlig aus dem historischen Kontext gezogen wird, ist das Bild komplettiert: "Enkel haben weniger das Bedürfnis, gegen Großeltern zu rebellieren, als Söhne gegen ihre Väter". Anklagen von Kindern gegenüber ihren im Nationalsozialismus involvierten Eltern (der Großteil der damals erwachsenen Deutschen waren im NS involviert, allerdings klagte meines Wissens nur ein Bruchteil der Kinder von Nazis und Mitläufern ihre Eltern tatsächlich an), erscheinen somit aus rein psychologisch motivierten Generationenkonflikten bzw. aus Pubertätsrebellion zu resultieren. Als reife Haltung wird nun verkauft, wenn reale nationalsozialistische Taten nicht (mehr?) verurteilt, sondern öffentlich entschuldet werden:

Der nette Opa erzählt von seinen Taten, unter denen er selbstverständlich leidet und spickt diese noch – ach wie nett, ein bisschen Spaß gab es auch dabei – mit den Erzählungen von Liebesaffären. Weiter zeigt der Artikel den damals 17-jährigen Freiwilligen der Waffen-SS als Opfer, der zwar "Gegner abschoss", dabei aber "selbst ständig in Todesangst war", der "hungerte und fror, von Läusen zerbissen und von Granatsplittern verletzt wurde" und "vor allem (Hrvh. KR), wie sehr ihn diese Zeit noch verfolgt".

Wie gut, dass nun der gute Enkel den armen Opa befreien kann und damit gleichzeitig "uns Deutsche" von jeglichem unbehaglichen Gefühl gegenüber der deutschen Vergangenheit! Die intergenerationelle Versöhnung im Angesicht der Taten ist geglückt. So lächelt uns auf dem schönen gemeinsamen Foto mit dem selbstbewusst und forsch schauenden Enkel der nette, alte Mann sympathisch entgegen und "wir Deutschen" können uns beruhigt zurücklehnen und uns wieder gut fühlen: Denn endlich ist die Umkehrung von Täter-Opfer-Verhältnissen auch in einer gebildeten Öffentlichkeit anerkannt. Selbst SS-Angehörige – also ehem. Mitglieder der Täter-Gruppe, die (lange geschichtsverfälschend in einen Gegensatz zur angeblich "sauberen Wehrmacht" gestellt) zumindest im öffentlichen Diskurs als verbrecherische Institution und Haupttätergruppe der Judenvernichtung galt, können nun mit viel Rührseligkeit und einem wohligen Gefühl freigesprochen werden. So ist das schöne Resultat für die glückliche deutsche Familie und den jungen Jörn Roes: "Sein Verhältnis zu seinem Großvater ist nun noch ein bisschen besser als vor dem Buch".

Eine solche Schuldentlastung gegenüber der Tätergeneration des NS ist nicht neu in Deutschland. Neu scheint mir aber, dass diese von einer sich kritisch fühlenden jüngeren Generation betrieben wird, die damit ein neues deutsches Nationalgefühl verbreitet, das sich selbstbewusst von jeglicher Verknüpfung von Deutschland und Verbrechen distanziert – "wir" sind heute (wieder ...) ganz besonders gut: "Du bist Deutschland!" Gute Nacht und süße, wohlige Träume! – auf Kosten der Millionen Ermordeten, der wenigen Überlebenden der NS-Verbrechen und ihrer Nachkommen.

[FORUM]

hagalil.com 07-12-2005

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