
Von Gaza nach Genf:
Gefragt sind kühne Initiativen
Von Yossi Beilin (im Epilog des Sammelwerks "Von
Gaza nach Genf", hsg. R. Bernstein)
Als sich Ministerpräsident Ariel Sharon im April 2004 auf
dem Rückweg von seiner historischen Begegnung mit Präsident Bush befand, gab
er William Safire von der „New York Times“ ein Interview. Als er darin die
Logik seiner Gaza-Initiative erklärte, teilte Sharon mit, dass der Grund
dafür in der breiten Unterstützung liege, welche die Genfer Initiative
erhalte, so dass er das Gefühl gehabt habe, einen eigenen Plan vorlegen zu
müssen.
Wenn wir Sharon glauben wollen, war Genf für die Geburt Gazas
verantwortlich. Sie war ein Weg, die Konfrontation mit dem innenpolitischen
Druck zu vermeiden, Genf zu übernehmen. Natürlich ist die Geschichte
komplizierter, und ich glaube, dass der Gaza-Einsatz zeitlich geplant und
bestimmt war, eine ganze Reihe von Themen zu vermeiden. Aber die Motive sind
zweitrangig, vielmehr bildet der Vorgang selbst einen wichtigen
Präzedenzfall insofern, als er die Auflösung von Siedlungen einschließt.
Natürlich reicht das nicht aus. Der einseitige
Rückzug
aus Gaza ist weit von einem Endstatusvertrag zwischen Israel und
Palästina entfernt. Die Frage lautet deshalb, wie das Rad weitergedreht
werden kann: Bewegen wir uns wieder auf
Genf zu, nachdem der Gaza-Einsatz jetzt abgeschlossen ist?
Wir in Israel stehen vor einer öffentlichen und politischen Herausforderung.
Doch die internationale Gemeinschaft und besonders die Europäer können eine
Menge Unterstützung im Rahmen der EU und als einzelne Mitgliedsstaaten
leisten.
Im Rahmen der EU sind die Europäer Mitglied des Quartetts (gemeinsam mit den
USA, den Vereinten Nationen und Russland), das die Road Map erarbeitet hat.
Trotz aller Rückzieher ist die
Road Map das einzige anerkannte Rahmenwerk für künftige Fortschritte
zwischen Israel und Palästina und muss deshalb durch eine neue und
realistische Zeitleiste aktualisiert werden. Die Europäer sollten auch als
Teil der Road Map bei der Zusammenstellung des Überwachungsmechanismus
helfen, der dazu ermutigt und sicherstellt, dass sich beide Parteien an sie
halten.
Doch die Europäer dürfen nicht die Bedeutung von Bemühungen einzelner
Staaten für den Friedensprozess unterschätzen. Als Israeli wünsche ich mir
und erwarte sogar von europäischen Ländern, dass sie von ihren bilateralen
Beziehungen zu Israel Gebrauch machen, damit die Sache des Friedens in jeder
Hinsicht gefördert wird. Dazu gehören auch kühne politische Initiativen.
Da Leser dieses Buches von Reiner Bernstein höchstwahrscheinlich Deutsche
sind, füge ich hinzu, dass die besonderen Beziehungen, die unsere beiden
Länder verbinden, in einen konstruktiven Dialog über die Zukunft und nicht
allein über die Vergangenheit umgesetzt werden sollten. Ich habe meinen
deutschen Gesprächspartnern oft gesagt, dass wahre Freundschaft nicht blinde
Unterstützung und diplomatische Hängepartien auf dem Rücken dessen, was
Israel auch immer tut, bedeuten darf. Sie muss statt dessen eine
klarsichtige Vision und einen offenen Meinungsaustausch über Israels beste
dauerhafte Interessen einschließen, die nach allen Erfahrungen die
Interessen des Friedens sind.
Leser dieses Buches wissen, dass die Genfer Initiative eine Blaupause für
einen dauerhaften Endstatusvertrag ist. Sie wird nach meiner Überzeugung
Israels langfristige Interessen garantieren. Ich war erfreut, als der
Deutsche Bundestag im Februar eine Resolution zur Unterstützung der Genfer
Initiative verabschiedete. Ich bitte die deutsche Öffentlichkeit dringend,
mehr darüber zu lernen.
Yossi
Beilin
Vorstand des israelischen Teams der Genfer Initiative
Vorsitzender der Partei „Meretz/Yachad“
Tel Aviv, im August 2005
Reiner Bernstein ist Historiker und verantwortet die Homepage
www.genfer-initiative.de. |