Ahmadineschad bringt Deutschland in eine prekäre Position:
Sind 500.000 Plastikschlüssel genug?
Von Matthias Küntzel
Bei Mahmoud Ahmadinejad muss ich immer an die 500.000
Plastikschlüssel denken, die der Iran während des Krieges gegen den Irak
(1980-88) aus Taiwan importierten ließ. Damals regelte ein iranisches
Gesetz, dass schon Kinder ab zwölf Jahren auf die Minenfelder durften. Vor
jedem Einsatz wurden ihnen ein Plastikschlüssel um den Hals gehängt, der
ihnen, so die Zusicherung, die Pforte zum Paradies öffnen werde.
Die halbamtliche iranische Tageszeitung 'Ettela'at' rühmte
den Tod der Kindermärtyrer so: "Früher sah man freiwillige Kinder,
vierzehn-, fünfzehn-, sechszehnjährige. ... Sie gingen über Minenfelder,
ihre Augen sahen nichts, ihre Ohren hörten nichts. Und wenige Augenblicke
später sah man Staubwolken aufsteigen. Als sich der Staub wieder gelegt
hatte, war nichts mehr von ihnen zu sehen. Irgendwo, weit entfernt in der
Landschaft, lagen Fetzen von verbranntem Fleisch und Knochenteile herum."
Diese Phase habe man jedoch überwunden, versicherte 'Ettela'at': "Vor dem
Betreten der Minenfelder hüllen sich die Kinder [jetzt] in Decken ein und
rollen auf dem Boden, damit ihre Körperteile nach der Detonation der Minen
nicht auseinanderfallen und man sie zu den Gräbern tragen kann." (1)
Die sich so in den Tod rollten, gehörten der von Khomeini ins
Leben gerufenen Massenbewegung der Basitschi" an. Die Basitschi-e Mostasafan
("die Mobilisierten der Unterdrückten") waren Freiwillige aller
Altersgruppen, die mit religiöser Begeisterung in den Tod liefen. "Die
jungen Männer räumten mit ihren eigenen Körpern die Minen", so ein
Kriegsveteran, "es war zum Teil wie ein Wettrennen, ohne Befehl der
Kommandeure, jeder wollte der erste sein." (2) Sie waren das Vorbild der
ersten Selbstmordattentäter der Hizbullah im Libanon und sind bis heute eine
Art Sturmabteilung (SA) der islamischen Revolution geblieben, die mal als
"Sittenpolizei" interveniert, mal gegen Oppositionelle wütet (wie 1999 bei
der Zerschlagung der Studentenbewegung) und stets den Kult der
Selbstaufopferung zelebriert.
Ahmadinedjad ist ein Basitschi-Aktivist der ersten Stunde und
auch heute häufig in Basitschi-Uniform zu sehen. Er will die
"Basitschi"-Kultur der 80er Jahre zu neuer Blüte bringen, um nicht zuletzt
die westlich orientierte iranische Jugendbewegung, die immerhin 700.000
Weblogs ins Leben rief, zu isolieren.(3) Dieses Jahr rief er persönlich zur
Teilnahme an der alljährlich stattfindenden "Basitschi-Woche"
(25.11.-2.12.2005) auf. Die Mobilisierung war enorm: Nach einem Bericht der
Zeitung Kayan beteiligten sich rund 9 Millionen Basitschi, die "eine
Menschenkette über eine Entfernung von 8.700 Kilometern (bildeten), an der
auch Prädident Ahamdinejad teilnahm. Allein in Teheran wurden 1.250.000
Menschen mobilisiert." (4)
Ahmadinejad rühmte bei dieser Gelegenheit die
"Basitschi-Kultur und Basitschi-Macht", mit der der Iran heute "auf der
internationalen und weltdiplomatischen Ebene präsent" sei. Der Vorsitzende
des Wächterrates, Ayatollah Ahmad Jannati, stellte selbst die Existenz des
iranischen Atomprogramms als einen Erfolg jener Menschen dar, "die der
Basitschi-Bewegung dienen und eine Basitschi-Psyche und Basitschi-Kultur
besitzen" und fügte hinzu: "Wir brauchen eine 20-Millionen-Armee von
Basitschis. Eine solche Armee muss bereit sein, für Gott zu leben, auf dem
Wege Gottes zu sterben und den Jihad zu führen, um Gott zu gefallen." (5)
Soll auf diese Weise die iranische Bevölkerung auf den
angekündigten Atomkrieg gegen Israel vorbereitet werden? Vor drei Jahren
legte der damalige iranische Präsident Hashemi Rafsanjani dar, dass schon
"eine einzige Atombombe innerhalb Israels alles zerstören" würde, während
der Schaden des potentiellen Gegenschlags für die islamische Welt begrenzbar
sei. "Solch eine Möglichkeit in Betracht zu ziehen, ist nicht irrational."
(6) Nicht irrationaler jedenfalls, als Zehntausende iranische Jungen auf
Minenfelder zu jagen. Auch mit eine Million Toten, so die Logik Rafsanjanis,
würde die islamische Welt noch überleben, während Israel schon vernichtet
sei. Es ist dieses im Wortsinn selbstmörderische Kalkül, das die iranische
Atomambition von den Interessen aller anderen Atommächte unterscheidet und
trennt. Wenn es heute aber unter den westlichen Nationen überhaupt eine
gibt, die diesem Wahnsinn mit wirksamen Sanktionen begegnen könnte, ist es
die deutsche.
Wie reagiert Berlin auf Teheran?
Seit 25 Jahren dient die Bundesregierung sich schamloser als
jede andere westliche Regierung bei den antisemitischen Mullahs an. 1984
machte Hans-Dietrich Genscher als erster westlicher Außenminister dem Regime
seine Aufwartung. Dass in Teheran die Köpfe rollten, störte ihn nicht. Zehn
Jahre später trainierte der Bundesnachrichtendienst iranische
Geheimdienstler in München.(7) Und während amerikanischen Firmen der Handel
mit Iran seit 1995 untersagt ist, wird "Deutschland ... auch in den
kommenden Jahren der Wunschtechnologiepartner Irans sein", schwärmte 2003
der Präsident des deutschen Nah- und Mittelostvereins, Werner Schoeltzke.
"Außenminister Fischer ... ist in Teheran eine Lichtgestalt." (8)
Heute ist Deutschland mit konstanten Wachstumsraten von über
20 Prozent das mit Abstand wichtigste Lieferland für den Iran. So wurden in
2004 Güter im Wert von 3,6 Milliarden Euro aus Deutschland in den Iran
exportiert.(9) Gleichzeitig ist die Bundesrepublik der größte Abnehmer
iranischer Nichtölprodukte sowie der größte Gläubiger des Iran. (10)
Seitdem Ahmadinedschad der Weltöffentlichkeit das
ideologische Fundament der Mullah-Diktatur: Holocaust-Leugnung,
Israel-Vernichtung und Judenhass - so nachdrücklich in Erinnerung ruft, ist
Berlin jedoch in einer Bredouille. Einerseits möchte man die deutsche
Sonderbeziehung zu Teheran auch jetzt nicht gefährden.(11) Andererseits
sieht es nicht gerade gut aus, wenn das Land der Holocaust-Mörder mit dem
Regime der Holocaust-Leugner paktiert. Deutschlands neuer Vizekanzler, Franz
Müntefering (SPD), deutete am 11. Dezember den Ausweg aus diesem Dilemma an:
"Berlin fordert eine 'Reaktion' auf Ahmadineschad" lautete am Folgetag die
Schlagzeile der FAZ. Dies klang überraschend radikal. Wer das Kleingedruckte
las, merkte aber schnell, wie diese Schlagzeile zu verstehen war: "Berlin
fordert von allen anderen eine 'Reaktion' auf Ahamdineschad". Der
Vizekanzler wird in dem Bericht wie folgt zitiert: "Das können wir nicht
allein bewegen, sondern das muss im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft in
aller Deutlichkeit angesprochen sein und das muss im Rahmen der Vereinten
Nationen in aller Deutlichkeit angesprochen sein." (12)
Wie bitte? Deutschland könne alleine nichts bewegen? Nur
die Bundesregierung kann das 2002 unterzeichnete Investitionsschutzabkommen
zwischen Deutschland und dem Iran kündigen. Nur Berlin kann die
Hermes-Bürgschaften für Iran-Investoren beenden, die den Iran vor nahezu
allen anderen Ländern der Welt bevorzugt. "Hermes-Bürgschaft" bedeutet, dass
der deutsche Staat alle spezifischen Risiken, die mit Investitionen im Iran
verbunden sind, übernimmt. Schon 1992 wurden für Exporteure in den Iran die
nach Russland zweithöchsten "Hermes-Bürgschaften" gewährt. Seither wurden
der Umfang dieser "Hermes"-Deckungen ständig ausgeweitet. Dieser unerhörten
Privilegierung der Mullah-Diktatur ein Ende zu bereiten, ist politisch aber
unerwünscht. Münteferings radikale Rhetorik ist die Begleitmusik zum
"business as usual". Die starken Worte an die Adresse der EU und der UN
dienen dem Zweck, den vollständigen Verzicht auf materielle Konsequenzen im
Verhältnis Deutschland-Iran zu bemänteln. Während die Bundesregierung beim
EU-Gipfel lautstark "ein klares Signal der schärfsten Missbilligung"
fordert, spricht sie sich im Bundestag kleinlaut "gegen eine Isolierung des
Landes aus". (13)
Und die linke Opposition? Sollte man nicht annehmen, dass der
Vorrang elementarster Menschenrechte vor großindustriellen Interessen ein
vorrangiges Anliegen der "Grünen" und der Fraktion "Die Linke" sei? Weit
gefehlt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, lässt sich dieses Lager seinen
verschwörungstheoretisch motivierten Hass auf "BuSharon" auch durch die
Holocaust-Leugner von Teheran nicht nehmen. "Gäbe es den iranischen
Präsidenten Ahmadinedschad nicht, müssten ihn die USA und Israel erfinden",
schreibt beispielsweise die den Grünen nahestehende Tageszeitung "taz".
Ahmadinedschads Worte seien nur deshalb ernst zu nehmen, "weil sie den USA
und Israel ... einen willkommenen Vorwand liefern."(14) Nicht besser der
Sprecher der "Linkspartei". Als der Deutsche Bundestag am 16. Dezember 2005
die Äußerungen des iranischen Präsidenten debattierte, widmete er der
angedrohten Auslöschung Israels keine Silbe, um seine Redezeit zu 100
Prozent auf die "CIA-Affäre" konzentrieren zu können. (15)
Und so vereinigten sich am 16. Dezember 2005 alle im
Bundestag vertretenen Parteien, um der Müntefering-Linie in einer einstimmig
verabschiedeten Resolution, die das deutsch-iranische Sonderverhältnis nicht
einmal erwähnt, Beifall zu spenden: "Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass
die Bundesregierung den Äußerungen des iranischen Präsidenten
entgegengetreten ist." Na bravo und auch weiter viel Erfolg! Es würde mich
bei so viel industriepolitischer Verantwortung nicht wundern, wenn
Ahmadinejad das nächste Sortiment an Plastikschlüsseln für seine Basitschi
in Deutschland bestellt. Ob aber 500.000 Paradiesschlüssel für den Krieg
gegen Israel ausreichen werden?
Anmerkungen:
(1) Gabriele Thoß und Franz-Helmut Richter, "Ayatollah
Khomeini. Zur Biographie und Hagiographie eines islamischen
Revolutionsführer", Wurf – Verlag Münster 1991, S. 124f.
(2) Zit. nach Christiane Hoffmann, Vom elften Jahrhundert zum 11. September.
Märtyrertum und Opferkultur sollen Iran als Staat festigen, in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung (FAZ), 4. Mai 2002.
(3) Rund zehn Prozent dieser Weblogs werden regelmäßig geführt. Einer der
Initiatoren der regimekritischen Internet-Bewegung ist der iranische
Journalist Hossein Derakhshan (www.hoder.com/weblog/). Vgl. Hossein
Derakhshan. Vater der Blogger, in: FAZ, 22. Dezember 2005.
(4) Zit. nach Wahied Wahdat-Hagh, Bassiji: die revolutionäre Miliz des Iran,
in: MEMRI Special Dispatch vom 20. Dezember 2005. (www.memri.de) Die Zeitung
Kayhan steht dem Ayatollah Khamenei nahe. Der Iran hat ca. 72 Millionen
Einwohner.
(5) So Jannati in seiner Freitagspredigt vom 2. Dezember 2005, zit. nach
Wahied Wahdat-Hagh, a.a.O.
(6) Zit. nach: MEMRI Special Dispatch Series, No. 324, 3 January 2002.
(7) Arthur Heinrich, Zur Kritik des 'Kritischen Dialogs'. Der Sonderweg
Bonn-Teheran, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Mai 1996,
S. 533 und 536.
(8) "Iran ist wegen seines Wachstums wichtig". Fragen an Werner Schoeltzke,
den Präsidenten des Nah- und Mittelostvereins (Numov), in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung (FAZ), 5. Dezember 2003.
(9) So Michael Tockuss, der Geschäftsführer der Deutsch-Iranischen
Industrie-und Handelskammer zu Teheran. Vgl. Rainer Hermann, Länderbericht
Iran, in: FAZ, 17. November 2003 sowie Ayala Goldmann, "Nicht unser Bier".
Wirtschaft und Kultur in Deutschland zeigen kaum Interesse am Boykott des
Iran., in: Jüdische Allgemeine, 22. Dezember 2005.
(10) Javad Kooroshy, Die wirtschaftliche Dimension der deutsch-iranischen
Sonderbeziehungen, in: Blätter für deutsche und internationale Politik,
Januar 1997, S. 73.
(11) Wie man selbst der Holocaustleugnung einen Anschein von Normalität
verleihen kann, demonstrierte ein führender Kolumnist der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung am 15. Dezember unter der Überschrift "Wie reagieren?"
Es sei verkehrt, so Bannas, das von Ahamdinedschad betriebene "Spiel der
Isolierung mitzuspielen. Zu unterscheiden ist zwischen
Existenzrechtbestreitung und Holocaustbestreitung. Erstere verlangt
unbedingt nach Ächtung. Leugung oder Verharmlosung historischer Verbrechen
aber kommt oft vor, so in der Türkei gegenüber den Armeniermorden, und wird,
missbilligend zwar, hingenommen."
(12) Berlin fordert eine 'Reaktion' auf Ahamdineschad, in: FAZ, 12.12.2005
(13) Steinmeier: Geduld mit Iran nicht endlos, in: FAZ, 16.12. 2005. "Im
Augenblick ist nicht erkennbar, was das auslösen soll", erklärte Gernot
Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt auf die Frage, ob deutsche
Unternehmen nicht per Handelsembargo davon abgehalten werden sollten, in den
Iran Waren im Welt von 3,6 Milliarden Euro zu liefern. Gernot Erler, in:
Interview mit dem Deutschlandfunk vom 16. Dezember 2005.
(14) Baham Nirumand, Der Iranische Präsident betreibt das Geschäft der USA
und Israels, in: taz, 15. Dezember 2005.
(15) Siehe die Rede von Michael Leutert (Fraktion Die Linke), vorläufiges
Plenarprotokoll vom 16. Dezember 2005, TOP 19a und 19b, S. 7f. Gegenstand
der Debatte war der "Bericht der Bundesregierung über die deutsche
Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen". Die Grünen sind mit
8,1 und "Die Linke" mit 8,7 Prozent im Parlament vertreten. |