Kein echter Waffenstillstand:
Frieden vertan und der Streit geht weiter
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Dreizehn radikale palästinensische Gruppen haben am
Wochenende auf Druck der Ägypter zugestimmt, vorläufig vom Gazastreifen aus
keine Kasam-Raketen mehr auf Israel zu schießen. Die Palästinensische
Autonomiebehörde redete schon von vollendeter Tatsache, freilich ohne zu
erwähnen, dass die Gruppen ihre Zustimmung an die Bedingung einer
Einstellung israelischer Angriffe geknüpft hatten. Doch um einen echten
"Waffenstillstand" handelt es sich ohnehin nicht, denn Israel, die andere
Streitpartei, war an den Gesprächen gar nicht beteiligt und wurde auch nicht
um Zustimmung gebeten.
Auf der palästinensischen Seite gibt es mehrere gute Gründe, den
Waffenstillstand einzuhalten und oder aber zu brechen.
Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas hatte sich schon im Februar gegenüber
Scharon bei einem Gipfeltreffen in Scharm A Scheich zu einem
Waffenstillstand verpflichtet. Jeder Angriff auf Israel mit Raketen oder
Selbstmordattentätern bedeutet deshalb ein Untergraben seiner Autorität als
Chef der Autonomiebehörde. Doch genau aus diesem Grund, um die Fatah-Partei
als unfähig und gescheitert bloßzustellen, haben einige radikale Gruppen
Attacken ausgeführt. Ohnehin sind sie gegen jegliche Übereinkunft mit
Israel.
Nach einem schweren Unfall im Gazastreifen, bei dem 19 Menschen ums Leben
kamen, als bei einer Hamas-Demonstration selbst gebastelte Raketen
explodierten, versuchte die Hamas von der Eigenschuld abzulenken, indem sie
eine Raketensalve mit 40 Kasams auf Israel herabregnen ließ. Doch die Hamas
manövrierte sich damit ins Abseits, nicht nur wegen der unproportional
massiven Antwort Israels. Um den Palästinensern im Gazastreifen zu beweisen,
dass sich die Angriffe nicht mehr "lohnen", reagierte Israel mit
Artillerie-Feuer auf Felder, von wo die Raketen abgeschossen werden, mit
gezielten Tötungen führender Palästinenser-Kämpfer und dem Beschuss von
Werkstätten, wo die Raketen gebaut werden. Der palästinensischen Bevölkerung
bereiteten Kampfflugzeuge schlaflose Nächte, indem sie über dem Gazastreifen
die Schallmauer durchbrachen. Doch der Gazastreifen ist so winzig, das auch
Israelis rund um den Gazastreifen mit den Knallern bestraft wurden. Die
Bevölkerung nimmt der Hamas die israelischen Gegenmaßnahmen übel, darunter
auch eine Schließung der Grenzübergänge. Doch die Hamas darf sich jetzt
nicht die Sympathien der Bevölkerung verspielen, denn im Januar will sie bei
den Wahlen antreten.
Anders die Dschihad Islami Organisation. Sie wird von Iran finanziert und
erhält aus Syrien die Befehle zu weiteren Attacken auf Israel. "Wir hörten
erst unsere Hubschrauber aufsteigen, obgleich gar keine Raketen explodiert
waren", erzählte ein Israeli aus Sderot. "Erst später in der Nacht hatten
wir Raketenalarm. Es war offenkundig, dass die Armee von dem bevorstehenden
Raketenangriff wusste. Wahrscheinlich haben die das Fax oder den Funkspruch
aus Damaskus abgefangen." Offiziell wird derartiges nicht bestätigt, aber es
entspricht israelischen Vorwürfen gegen Damaskus. Die Dschihad könnte an
einer Fortsetzung der Angriffe interessiert sein, um die palästinensischen
Wahlen zu verhindern, um Israel zu schaden und um Druck von der syrischen
Regierung zu nehmen, die durch den Mehlis-Report zu Syriens Beteiligung am
Hariri-Mord in Libanon in schwere Argumentationsnot geraten ist.
Doch die Hoffnung der extremistischen Gruppen, von Israel nun in Ruhe
gelassen zu werden, nachdem sie in Hadera bei einem Anschlag fünf Israelis
getötet und auf Sderot Raketen geworfen haben, sollte sich nicht erfüllen.
Nach dem Attentat in Hadera feierten erst einmal tausende Palästinenser den
Sohn ihres Dorfes Kabatja bei Dschenin, der als Selbstmordattentäter von
Hadera schnell identifiziert war. Kaum waren die "Gott ist groß" Rufe
verhallt, rückte die israelische Armee mit Bulldozern ein, um den
stadtbekannten Drahtzieher des Anschlags und Befehlshaber der örtlichen
Dschihad-Zelle, Dschihad Zakarne, zu verhaften. Mit der neuen "Druckkessel"
Methode wurde das Haus, in dem er sich mit weiteren bewaffneten Kämpfern
verschanzt hatte, Stück für Stück abgerissen. Den Rufen, sich zu ergeben,
leistete er keine Folge, sondern eröffnete das Feuer. Am Ende des Tages
waren vier Dschihad-Kämpfer tot. Die Dschihad-Islami-Organisation schwor nun
Rache.
Israel hingegen hat noch nie zugestimmt, sogenannte "tickende Bomben", im
Anmarsch befindliche Selbstmordattentäter, durchzuwinken oder Bombenfabriken
ungestört produzieren zu lassen. Solange die palästinensischen Gruppen nicht
aus eigenem Interesse, etwa wegen der Beteiligung an den Wahlen, ihre
Angriffe einstellen, dürften die üblicherweise nur einseitig verkündeten
Waffenstillstände bis zum nächsten Anschlag oder bis zur Entdeckung eines
von Israel als gefährlich eingestuften palästinensischen Extremisten
andauern. Von "Frieden" kann ohnehin keine Rede sein, denn
Friedensverhandlungen liegen seit fünf Jahren auf Eis.
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com
hagalil.com 01-11-2005 |