Zur Wahl von Amir Peretz:
Wiederbelebung der Toten
Kommentar von Yoel Marcus, Ha'aretz, 11.11.2005
Übersetzung Daniela Marcus
In einem Artikel dieser Woche zur Unterstützung von Amir
Peretz, beschrieb ich die Arbeiterpartei als wandelnden Leichnam, der seine
Lebenskraft verloren hatte. Jeder wusste, dass eine frische Brise und ein
Adrenalinstoß nötig waren, da die Arbeiterpartei zu einem Likud-Groupie
geworden war. Ihre Minister kleben an den Stühlen und zeigen keine Gefühle.
Die israelische Öffentlichkeit hat ihre Politiker satt. Sie hat genug von
deren großer und kleiner Korruption. Und sie hat genug von politischem
Handel à la Matan Vilnai – Shimon Peres, bei dem ein Mann, der
Premierminister werden möchte, einem anderen einen Geschäftsbereich im
Verteidigungsministerium verspricht, obwohl er diesen nicht besitzt. Der
andere, der sowieso keine Chance hat, das Rennen um den
Premierministerposten zu gewinnen, schmeißt dafür das Handtuch.
Peretz' Kandidatur wurde mit Spott begrüßt, ob dies nun auf Grund seines
ethnischen Hintergrundes oder auf Grund des Ortes, von dem er kam, geschah.
Doch mehr als das fiel es keinem derjenigen auf den obersten Rängen der
Arbeiterpartei ein, dass ein Orientale jemals Kandidat für den
Premierministerposten werden könnte. Und nun ist das unglaubliche geschehen.
Peretz’ Sieg ist mehr als die Revolution von 1977. (Anmerkung des
Übersetzers: Bis 1977 gehörten alle Premierminister Israels der
Arbeiterpartei bzw. deren Vorgängerpartei Mapai an. Im Jahr 1977, nach
Jitzchak Rabins Rücktritt auf Grund einer Finanzaffäre, verlor die
Arbeiterpartei die Wahlen gegen Menachem Begin mit seiner
rechtskonservativen Cherut-Partei.) Er ist ein politisches Erdbeben. Genauer
gesagt, er kam wie eine Auferweckung von den Toten für eine sterbende
Partei.
Durch die Absetzung von Peres, der sich benommen hatte, als habe er einen
urkundlichen Titel, die Partei zu führen, ist Ariel Sharon der letzte der
1948er Generation in der Politik. Peretz’ Sieg bringt die Peripherie auf die
Bühne zurück. Von jetzt ab wird diese erklären, wohin die kommende Führung
des Staates gehen wird. Peretz wird eine kämpfende Opposition gegen die
enormen Unterschiede zwischen Reich und Arm, zwischen dem ins Auge
stechenden Wohlstand der Reichen und der Not einer ganzen Generation formen.
Er wird die Arbeiterpartei wieder in eine Bewegung verwandeln, die Werte
besitzt, deren Ziel seit Staatsgründung nicht ein Auto für jeden Arbeiter
ist, sondern vor allem Brot für jeden Arbeiter. Peretz' Sieg bedeutet vor
allem auch die Nachricht vorzeitiger Wahlen.
Der Likud wird sich gegen eine mögliche Abwanderung seiner Wähler zur
Arbeiterpartei organisieren müssen. Die Wahl von Peretz ist unumkehrbar,
weil sie nicht nur den Wechsel einer Generation symbolisiert, sondern auch
die Umorientierung des Zentrums der politischen Schwerkraft von politischen
zu sozialen Themen. Seine Wahl wird eine neue Öffentlichkeit in seinen
Dienst stellen. Er wird aber dennoch auf der Hut sein müssen, damit die
Arbeiterpartei nicht zu einer Randpartei wird und es keine Abwanderung zu
Parteien der Mitte geben wird. Wenn Sharon vor dem Hintergrund der Spaltung
von den Likudrebellen die Partei verlässt, um eine neue zu formen, muss
Peretz dafür sorgen, dass keine Mitglieder der Arbeiterpartei in Sharons
Partei flüchten.
Peres griff nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses nicht sofort zum
Telefonhörer, um dem Gewinner zu gratulieren – ein Brauch, der selbst in
Polen, wo Peres herkommt, üblich ist. Und er prüft immer noch, ob es
irgendeinen Wahlbetrug gab. Sharon jedoch beglückwünschte Peretz herzlich.
Und richtig so. Er verstand sofort, dass dies ein Aufruhr ist, der auch den
Likud beeinflusst. Es liegt in Sharons Interesse, die Allianz, die er mit
Peres begann, mit Peretz fortzuführen. Durch den Wechsel von politischen
Themen zu sozialen, sollte nicht vergessen werden, dass sowohl Sharon wie
Peretz dennoch ein gemeinsames Interesse haben, den politischen Prozess
fortzusetzen und die Hindernisse, die Rebellen und Extremisten aufstellen,
zu überwinden, wo immer sie auch stehen.
Peretz, der sich über seinen Sieg freut, muss nun kalkulieren, wie er die
Macht innerhalb der Partei einsetzt. Er muss sicherstellen, dass ihm der
Sieg nicht zu Kopf steigt. Er muss alle Kräfte der Arbeiterpartei einsetzen
und nicht alleine arbeiten. Er sollte nicht vergessen, dass die
Parteiinstitutionen, das Zentralkomitee und das Parteibüro nicht ihm
gehören. Er ist relativ neu und muss auf deren Standpunkt Acht geben. Er
wird beweisen müssen, dass er das Vertrauen, das man in ihn gesetzt hat,
verdient und die Erwartungen erfüllt. Er muss die Veränderungen, von denen
er gesprochen hat, umsetzen wie ein Lastwagenfahrer: mit weiten und
umsichtigen Kurven. Als Kopf der Arbeiterpartei ist es einfach, in Slogans
zu sprechen. Doch als Kopf des Staates wird er auch alles, was in der Welt
und auf wirtschaftlicher Ebene geschieht, in Betracht ziehen müssen. Und
sein Verhalten in diesem Bereich sollte so vorsichtig sein wie das von
Stachelschweinen, die sich paaren.
Die nächsten Wahlen werden zweifelsohne näher rücken. Bis dahin hat Peretz
zwei Missionen zu erfüllen: sich selbst als anerkannte, verantwortungsvolle
und kluge Führungsperson zu entfalten und die Arbeiterpartei in eine Partei
mit Ideen und Werten umzuformen und aus ihr die führende politische Partei
der Mitte zu machen. Und trotz seines Sieges soll er um Himmelswillen ein
Original bleiben. Insbesondere soll er nicht den Ratschlägen, seinen
Schnurrbart abzunehmen, nachgeben. Denn dieser ist ein Symbol für den
Wechsel geworden.
hagalil.com 11-11-2005 |