
Jüdische Gemeinde:
Berliner Muppetshow
AUS BERLIN PHILIPP GESSLER
Ein silberner Mercedes-Benz 300 SLR, ein etwas zu
großes und für Kinderhände zu wertvolles Modell, thront im Vorzimmer
des Berliner Notars Albert Meyer an prominenter Stelle. Daneben
liegt die Jüdische Allgemeine, die erklärt, "wie die russische
Zuwanderung Deutschlands Judentum stärken und bereichern kann". Und
in einem Plastikständer stecken die veralteten Visitenkarten Meyers,
die ihn noch als Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin
ausweisen. Wie in einem Brennglas vereinigt sich hier, warum die
Berliner derzeit bundesweit Schlagzeilen machen und das Image der
jüdischen Gemeinschaft im ganzen Land schädigen: Es geht um Autos,
die Macht zugewanderter russischsprachiger Juden und den
Gemeindevorsitz. Und um ermittelnde Staatsanwälte auf der Suche nach
mafiosen Verbindungen.
Vor wenigen Tagen hat Meyer, ein jovialer Typ mit einem Hauch zu
viel Macho-Charme, den Vorsitz der mit knapp 12.000 Mitgliedern
größten jüdischen Gemeinde Deutschlands niedergelegt - mürbe gemacht
durch elf (!) Misstrauensanträge, die er in den vergangenen Monaten
in der "Repräsentantenversammlung", dem Parlament der Gemeinde,
überstehen musste. Hinzu kam die Durchsuchung mehrerer Gemeindebüros
tags zuvor wegen des Anfangsverdachts auf "wettbewerbsbeschränkende
Absprachen bei Ausschreibungen". Es geht um mögliche Mauscheleien
bei Reinigung und Verwaltung der Immobilien der Gemeinde. Meyer
betont, sein Rücktritt sei nur zufällig mit der Durchsuchung
zusammengefallen. "Tief getroffen" habe ihn das, an den Vorwürfen
sei nichts dran. Doch viel lieber redet der 58-Jährige über Arkadi
Schneiderman. Seinen Intimfeind.
Meyer, ein Vertreter der mittlerweile seltenen Juden deutscher
Herkunft, und Schneiderman, sein Stellvertreter und Sprecher der
russischsprachigen Mehrheit der Gemeinde, lieferten sich in den
vergangenen knapp zwei Jahren einen Machtkampf von solcher Härte,
dass viele Gemeindemitglieder nicht mehr wussten, ob sie weinen oder
lachen sollten. Alles begann damit, dass Schneiderman bei den
Gemeindewahlen vom September 2003 waschkörbeweise ausgefüllte
Wahlbriefe im Wahlbüro ablieferte und Wahlunterlagen falsch gedruckt
waren. Eine Wiederholungswahl wurde nötig, die Meyer am 30. November
2003 als Spitzenkandidat der Liste "Kadima - Vorwärts" gewann. Die
Liste aber hatte Schneiderman zusammengestellt. "Kadima" errang,
dank der "Russen", wie Alteingesessene sie nennen, 20 von 21 Stimmen
in der Versammlung. Ein Ende des jahrelangen Dauerstreits in der
Gemeinde schien nahe.
Schien. Denn nun gingen fast übergangslos Meyer und Schneiderman in
den Versammlungen dazu über, jeweils am ersten Mittwochabend im
Monat im leicht muffigen Gemeindehaus zu streiten, nein: sich zu
bekriegen. Die Sitzungen (Gemeindespott: "Muppetshow") wurden zu
unerträglichen Veranstaltungen voller Chaos, Rüpeleien und absurden
Geschäftsordnungshakeleien. Sie endeten meist nach Mitternacht.
Zuverlässig im Streit. Ohne Beschlüsse.
Am Ende kommunizierten Meyer und Schneiderman fast nur noch über
ihre Anwälte. Schneiderman, der Meyer seitdem nur noch "er" nennt,
legte ihm gar eine schriftliche Vereinbarung vor, in der im
typischen Schneiderman-Duktus hieß: "Albert Meyer und Arkadi
Schneiderman verpflichten sich vorherige Vertrauen zu einander
wiederherzustellen und einander zu respektieren." Meyer unterschrieb
nicht.
Jetzt sitzt Meyer in seinem schicken Notariatsbüro, tief im alten
Westberlin - und Schneiderman hält Hof im Gemeindezentrum, einem
Betonbau aus den 60ern. "Geboren wurde ich 1935. 1942 fiel mein
Vater als Rotarmist im Kampf gegen die Nazis", schrieb Schneiderman
in einer "Wahlzeitung" vor zwei Jahren. "Das prägte meinen
Charakter, mein ganzes Leben - mich niemals einschüchtern lassen,
niemals aufgeben." Der glatzköpfige Journalist mit buschigen
Augenbrauen, der in der sowjetischen und israelischen Armee als
Fallschirmspringer diente, grüßt mit einem kräftigen Händedruck,
dann bittet er in das Besprechungszimmer. Fotografieren ist nicht
erlaubt. Stattdessen schaltet er ein Aufnahmegerät an.
"Natürlich bin ich froh, dass das traurigste Kapitel in der
Geschichte der Gemeinde zu Ende ist", sagt er zum Rücktritt Meyers.
Er habe sich an die Mahnungen von anderen Gemeindemitgliedern
gehalten: " ,Du hast diese Bande gebracht an die Macht' ", sagt er
in seinem Deutsch russischer Färbung, " ,musst sie auch zur Strecke
bringen.' Diese Aufgabe habe ich erfüllt - eine traurige Aufgabe,
aber was soll man machen?" Schneiderman überschüttet Journalisten
und Parlamentarier seit Jahren mit Konvoluten oft wirrer Schriften,
die angebliche Missstände in der Gemeinde aufdecken wollen. Einmal
versicherte er gar "an Eides statt", er wollte "zu keiner Zeit"
Gemeindechef werden. "Das gilt auch für die Zukunft."
Immerhin, Schneiderman überließ Gideon Joffe den Gemeindevorsitz.
Der promovierte Betriebswirt, 33 Jahre, geboren in Lettland, steht
etwas verunsichert in einem dunklen Dreiteiler im Büro des
Vorsitzenden und bemerkt: "Ich würde hier lieber meine Jeans
tragen." Kaum war Meyer zurückgetreten, wurde der kaum bekannte
Joffe mit drei Stimmen per knappster Mehrheit im Vorstand zum neuen
Gemeindechef gewählt - alles lief sehr eilig ab.
In der Gemeinde meinen nicht wenige, Joffe sei eine Kreatur
Schneidermans, an die Macht gespült durch "die Russen". Diese
stellen, durchaus üblich in Deutschland, mittlerweile mehr als drei
Viertel der Mitglieder. Joffe, der lieber seinen Pressesprecher bei
dem Gespräch dabei hat, betont: "Ich höre zum ersten Mal, dass ich
eine Marionette Schneidermans sein soll. Ich bin eine eigenständige
Persönlichkeit." Ziel sei es, "Ruhe und Ordnung" einziehen zu
lassen, die Gemeinde müsse wieder eine "ehrwürdige Institution
werden wie zu Zeiten Heinz Galinskis". Neuwahlen lehnt Joffe ab. Und
übrigens: "Ich erhalte derzeit kein Gehalt als
Gemeindevorsitzender", erklärt er - nach längerer Diskussion
darüber, ob die Frage danach sinnvoll sei.
Viele Gemeindemitglieder belasten die Streitereien. Sie sind
Gesprächsstoff, sobald zwei von ihnen aufeinander treffen, sei es im
Gemeindehaus oder nach dem Sabbat-Gottesdienst. Eine der Besorgten
ist Mirjam Marcus, die sich mit ihrem Mann und den erwachsenen
Kindern immer wieder um Gemeindeangelegenheiten mühte. Sie
initiierte seinerzeit erfolgreich das Einspruchsverfahren gegen
Schneidermans Waschkörbewahl. Sie empfängt Gäste in ihrer mit Plüsch
üppig ausgestatteten Altbauwohnung und analysiert die Lage so: Meyer
gleiche dem Zauberlehrling, der der Geister nicht Herr wurde, die er
rief. Andererseits leide Schneiderman an so etwas wie einer
"Verfolgungsparanoia", die ihn schon vor Jahren dazu trieb, eine
Lehrerin seiner Tochter in der Jüdischen Grundschule zu verklagen.
Wegen einer Nichtigkeit. Und, fragt Marcus: Wird Joffe der bessere
Zauberlehrling sein? Neuwahlen seien nötig. Schon sammelt eine
Initiative in der Gemeinde die dafür nötigen 2.000 Stimmen.
In jedem Fall muss Joffe erst einmal versuchen, die Sache Alexander
Licht geräuschlos und transparent über die Bühne zu bringen. Denn
hier munkeln einige Gemeindemitglieder hinter vorgehaltener Hand:
Mafia! Der 39-jährige Geschäftsführer eines Inkasso-Unternehmens,
geboren in der Ukraine, sitzt mit Schneiderman im Besprechungszimmer
der Gemeinde. Er ist jetzt Finanzdezernent. Spricht man Licht auf
Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen ihn an, weist er auf eine
eidesstaatliche Erklärung, die schon auf dem Tisch liegt: "Ich habe
weder Geld gewaschen noch mich in irgendeiner Form an der
Verschiebung von Autos und Büromöbeln in die Ukraine beteiligt."
Die Sache ist verworren, aber sie passt zu dieser Gemeinde, deren
Exvorsitzender Meyer selbst immer Pech mit Autos hatte: In einer
Glaubensgemeinschaft voller Hartz-IV-Empfänger rühmte er sich gleich
zum Amtsantritt in seiner flapsigen Art, er habe zwei Jaguars - und
sei schon als Referendar "einen gelben Ferrari" gefahren. Jüngst
geriet Meyer im Rahmen von Ermittlungen gegen Autoschieber in eine
Telefonüberwachung - aber weder er noch die Staatsanwaltschaft sehen
das als ein Beleg für irgendetwas.
Dennoch, die drei laufenden Ermittlungsverfahren im Umfeld der
Berliner Gemeinde hinterlassen einen verheerenden Eindruck. Hat in
der größten jüdischen Gemeinde Deutschlands mit "den Russen" die
Mafia de facto die Macht übernommen?
Stephan J. Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden,
wiegelt ab. Keine Frage, das Geschehen in der Hauptstadt habe einen
"riesigen Schaden" für das gesamte Judentum in Deutschland
angerichtet, sagt er einigermaßen fassungslos: "Das strahlt weit
über Berlin hinaus." Und er fügt sarkastisch hinzu: "Eine
Imagekampagne brauchen wir derzeit nicht starten." Allerdings müsse
man die Ermittlungen gegen Meyer und Licht erst einmal abwarten.
Sicher, Schneiderman habe auch im Zentralrat schon "eine Menge
Zores", also Ärger, veranstaltet. Aber ein bloßer Querulant sei er
nicht.
Kramer, wie alle anderen Befragten stellen jedoch klar, dass weder
"die Russen" noch die Mafia die Macht in der Gemeinde übernommen
hätten, so einfach sei das Ganze schließlich nicht. Alle Vorwürfe
müssten zunächst lückenlos aufgeklärt werden. "Nichts ist schlimmer
als Gerüchte, die sich verselbstständigen", so Kramer. Und Neuwahlen
in der Gemeinde, die mit ihren sieben Synagogen immer eine
"Mustergemeinde" war, sollte es dann doch geben. Es wären die
vierten in fünf Jahren.
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22-11-2005 |