Zündstoff für UN-Weltinformationsgipfel
Wer regiert das Netz?
Von Hanns-Jochen Kaffsack, Israel Nachrichten, 15. 11. 2005
PARIS/TUNIS Die Amerikaner haben das Internet erfunden, seine
Entwicklung erst mit öffentlichen und dann mit privaten Mitteln vorangetrieben
und sie beherrschen den "Informationsplaneten". Kann aber dieses Rückgrat einer
globalisierten und dezentralisierten Welt des ständigen Informationsflusses von
nur einer Zentrale, den USA, organisiert und "regiert" werden?
Das Katasteramt des Internet, die in Kalifornien angesiedelte und
von Washington kontrollierte Stiftung ICANN (Internet Corporation for Assigned
Names and Numbers) bietet Zündstoff für den zweiten UN-Weltinformationsgipfel
von Mittwoch bis Freitag in Tunis. Auch die Europäer setzen die USA dabei unter
Druck. "Im digitalen Universum kann sich kein Land das Recht anmaßen, für die
anderen zu entscheiden", meinte ein brasilianischer Delegierter auf einem der
als turbulent beschriebenen Vorbereitungstreffen für den tunesischen Gipfel der
etwa 180 Teilnehmerstaaten. Umstritten ist vor allem, dass das
US Handelsministerium die Hand auf dem "Hirn" des Internet hielt.
Französische Medien regen sich darüber auf, dass dieser "Gendarm"
etwa bei der Domänen-Zuteilung für einen pornografischen Intemet-Rotlichtbereich
(.xxx statt .com) das letzte Wort behalten will. Länder wie China, Brasilien und
Iran laufen seit langem Sturm gegen die "US-Hegemonie". Etliche, die solche
politischen Interessen verfechten, sind dabei wahrlich keine Weltmeister der
Pressefreiheit.
Seit dem ersten Weltinformationsgipfel im Dezember 2003 bringen
sich die Europäer stärker ins Spiel. Sie schlagen vor, ein UN-Forum zu gründen,
auf dem die Staaten sich den Problemen des Netzes widmen, von Spams
(unerwünschter Werbemail) zur Pädophilie im Internet bis zu anderen heißen Eisen
für eine Net-Polizei. Das Europa der 25, lange zerstritten, "will nicht mehr,
dass die Amerikaner die einzigen sind, die an Bord das Sägen haben", formuliert
es ein europäischer Diplomat, "wir setzen uns für ein neues Leitungsmodell ein."
Das ruft die Amerikaner auf den Plan, die unlängst doch bereits auf einer
anderen UN-Konferenz, der der UNESCO zur Kulturellen Vielfalt, eine herbe
Schlappe erlitten.
"Was die Europäer da vorschlagen, könnte unsere Vorstellung eines
völlig offenen Internet-Modells bremsen", so warnte der US-Vertreter David Gross
vom Washingtoner Außenministerium davor, die Kontrolle über das Internet "an
eine Art lahme zwischenstaatliche Gruppe mit Mitgliedern wie Iran und Kuba
abzutreten". Washington will so tiefe "Reformen" nicht und hat dabei durchaus
ein Argument zur Hand: Es bestehe die Gefahr, dass die geschäftliche Seite
leide, das Internet verbürokratisiere und Länder wie China noch stärker Zensur
ausübten. "Europa wird unterstützt von Ländern, die nicht für Meinungsfreiheit
bekannt sind, Beschränkungen der Internet-Inhalte könnten folgen."
Ob die weit auseinander liegenden Positionen in Tunis überhaupt
auf einen Nenner gebracht werden können? Zündstoff birgt außerdem noch die
Frage, wie denn die angestrebte Überwindung des "digitalen Grabens" zwischen den
Industriestaaten und den Entwicklungsländern finanziert wenden soll. Mal
abgesehen davon, dass der Gipfel in Tunesien, also einem Land einberufen wird,
das mit zu den schärfsten Cyber-Kontrolleuren gerechnet wird.
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