"Um den Tod sicherzustellen":
Freispruch nach "Hinrichtung" eines Schulmädchens
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Die 13 Jahre alte Iman el Hams ist am 5. Oktober 2004 im
Todesstreifen zwischen Rafah im Süden des Gazastreifens und der Ägyptischen
Grenze von israelischen Militärposten erschossen worden. Der Hauptmann eines
Postens verließ entgegen stehenden Befehlen seine gepanzerte Stellung, ging
auf das am Boden liegende Mädchen zu und feuerte ein Dutzend Kugeln in den
Leichnam, "um den Tod sicherzustellen".
So etwa wurde eines der "abscheulichsten Verbrechen" eines israelischen
Soldaten im Laufe der Intifada dargestellt. Bis heute ist unklar, wieso sich
das Mädchen in die Sperrzone verlief, anstatt in die entgegengesetzte
Richtung zur Schule zu laufen. Das Verhalten des Hauptmanns löste weltweite
Proteste aus. Israelisches Fernsehen und Zeitungen produzierten
"Dokumentationen", wobei die Soldaten ihrem Kommandeur einen mörderischen
Blutrausch unterstellten.
Die Militärpolizei untersuchte den Fall und ein Militärgericht ermittelte
ein Jahr lang die Wahrheit. Angeklagt wegen unerlaubter Benutzung seiner
Waffe, mangelhaftem Verhalten und Justizstörung wurde "Hauptmann R."
überraschend in allen Punkten freigesprochen. Die Richter stellten fest,
dass die Behauptungen der Soldaten, auf die sich auch die Presse stützte,
falsch und widersprüchlich waren. Die Militärpolizei habe den
mitgeschnittenen Sprechfunkverkehr nicht sorgfältig niedergeschrieben. Weder
der Hauptmann noch die Soldaten, die auf die "Figur mit der Tasche"
geschossen hatten, konnten wissen, dass es sich um ein Mädchen und nicht um
einen Terroristen mit Bombe handelte. Die Richter schlossen zudem aus, dass
"Hauptmann R." in Richtung des Leichnams geschossen habe. Vielmehr habe er
Warnschüsse in den Boden abgegeben, ehe er das Gelände verließ. Die Richter
äußerten schwere Vorwürfen gegen die Presse und die Ermittler der
Militärpolizei, ehe sie "Hauptmann R." frei sprachen.
Der Vater des getöteten Mädchens, Samir el-Hams, reagierte verbittert auf
den Freispruch: "Es gibt in Israel ein Recht für Juden und ein anderes Recht
für Araber." Der freigesprochene "Hauptmann R." ist freilich kein Jude,
sondern Druse, eine arabisch-sprechende Volksgruppe mit einer aus dem Islam
hervor gegangenen Geheimreligion. ©
Ulrich W. Sahm / haGalil.com
hagalil.com 21-10-2005 |