Von Mark Querfurth
"antifa" - Magazin für
antifaschistische Politik und Kultur
Jean Jülich, selbst Edelweißpirat, erzählt als Stimme aus dem Off die
Geschichte des Karl Ripke (Ivan Stebunov) in den letzten eineinhalb
Kriegsjahren. Die Mutter starb bei einem Bombenangriff, der Vater ist an der
Ostfront, der ältere Bruder Otto bereits in Russland gefallen. Karls
jüngerer Bruder Peter (Simon Taal) ist bei der HJ. Er lebt in dem Glauben,
dass der Vater für die Nazis ist. Karl ist Edelweißpirat. Die
Edelweißpiraten lehnen den Drill der HJ ab, sie treiben sich meistens auf
der Straße herum, tragen Edelweiß-Abzeichen an der Jacke, hören andere
Lieder und bei ihnen sind sogar Mädchen dabei. Edelweißpiraten haben einen
betont lässigen Gang, sie schreiben Parolen gegen Nazis und den Krieg an
Häuserwände, prügeln sich mit der HJ. Edelweißpiraten sind treu!
Der KZ-Häftling Hans Steinbrück (Bela B. Felsenheimer) ist in einem
Bombenräumkommando, eine durch ihn ausgelöste Explosion ermöglicht einem
Mitgefangenen die Flucht. Steinbrück ("Bombenhans") selbst wird dabei
verletzt. Er wird von den Ehrenfelder Edelweißpiraten gefunden und in Cillys
(Anna Thalbach) "Bruchbude" versteckt. Cilly Serve, die Verlobte von Karls
gefallenem Bruder Otto, lebt mit ihren beiden Kindern Flitzi und Anton. Sie
pflegt Steinbrück und zwischen beiden entsteht sehr zum Leidwesen von Karl
eine intensive Liebesbeziehung.

Bela B. Felsenheimer als "Bombenhans", © Palladio Film
Vom Tod des Vaters erfahren Karl und Peter durch den
NSDAP-Ortsgruppenleiter Soentgen (Sergei Bekhterev). "Der sagt den
Kriegswitwen, dass ihre Männer tot sind und dann poppt er die." Auch Cilly
wird von Soentgen erpresst. Peter findet einen Brief des Vaters an Karl, aus
dem dessen Gegnerschaft zu den Nazis und zum Krieg deutlich wird. Er
verlässt die HJ und kommt zu den Edelweißpiraten, in deren Mitte Steinbrück
zunehmend Einfluss gewinnt. Steinbrück unterhält weiter Kontakte zum
Widerstand: Waffen werden besorgt, Lebensmittellager der Nazis überfallen.
In Cillys Wohnung finden die Jüdinnen Ruth und Friedel Krämer Unterschlupf.
Hans hat den Plan, die Kölner Gestapo-Zentrale in die Luft zu jagen. Alle
aus der Gruppe schließen sich ihm an. Nur Karl ist skeptisch. Immer wieder
kommt es zu Rivalitäten zwischen Hans und Karl, nicht nur wegen Cilly, die
sie beide lieben. Auch Peter entzieht sich zunehmend der Obhut seines
Bruders.
Der geplante Angriff auf das Gestapo-Hauptquartier fliegt auf, in der Folge
werden fast alle aus der Ehrenfelder Gruppe verhaftet. Um Peter zu retten,
entschließt sich Karl aus Liebe zum Verrat...

Straßenszene in Köln-Ehrenfeld, © Palladio Film
Der Film von Kiki (Drehbuch) und Niko (Regie) von Glasow ist tief
bewegend. Bei der Welturaufführung im September 2004 beim "Festival des
Films du Monde de Montreal", Kanada, weinten die Zuschauer. Nicht nur mit
den bekannten Darstellern wie Bela B. Felsenheimer (Schlagzeuger von "Die
Ärzte") und Anna Thalbach gelingt es von Glasow, auch die
Widersprüchlichkeit der Charaktere glaubwürdig zu transportieren.
Die Aufnahmen mit der Handkamera eröffnen einen subjektiven Blick aus der
Mitte des Geschehens und verleihen dem Film einen nahezu dokumentarischen
Charakter. Die hervorragende musikalische Bearbeitung unterstreicht (im
wahrsten Wortsinn: mit Cello, Violine, Violoncello...) die beeindruckenden
Bilder. Am Drehort in St. Petersburg sind mit viel Liebe zum Detail die
Trümmerwüsten des zerbombten Köln von 1944 umgesetzt. Auch wenn einzelne
Charaktere vermischt und anderen für den Film neue Namen gegeben wurden,
hält sich das Drehbuch doch an das historische Vorbild ("Die Ereignisse, die
im Film erzählt werden, haben stattgefunden, aber die Wirklichkeit war noch
viel verrückter und komplexer." - N. v. G.).
"Edelweißpiraten" ist kein Heldenepos. Und doch gibt es Helden - nur werden
diese nicht zu Heiligen verklärt. Es sind Menschen mit Leidenschaft und
Schwächen zwischen Liebe und Verrat, zwischen Jugend und Krieg, zwischen
Trümmern und Butterbroten - einig darin, sich den Nazis zu widersetzen.
Unbedingt ansehen!
Edelweißpiraten
Spielfilm Deutschland / Schweiz / Niederlande / Luxemburg 2004, 94 Minuten,
Farbe
Regie: Niko von Glasow,
Drehbuch: Niko von Glasow, Kiki von Glasow
Darsteller: Ivan Stebunov, Bela B. Felsenheimer, Anna Thalbach, Simon Taal
u. a.
Am 10. November 1944 werden 13 Nazi-Gegner in Köln von der Gestapo
öffentlich hingerichtet:
Hans Steinbrück, * 12. April 1921
Günther Schwarz, * 26. August 1928
Gustav Bermel, * 11. August 1927
Johann Müller, * 29. Januar 1928
Franz Rheinberger, * 22. Februar 1927
Adolf Schütz, * 3. Januar 1926
Bartholomäus Schink, * 25. November 1927
Roland Lorent, * 12. März 1920
Peter Hüppeler, * 9. Januar 1913
Josef Moll, * 17. Juli 1903
Wilhelm Kratz, * 6. Januar 1902
Heinrich Kratina, * 15. Januar 1906
Johann Krausen, * 10. Januar 1887
Zum 61. Jahrestag ihrer Ermordung kommt der Film über die Geschichte der
Ehrenfelder Gruppe um Hans Steinbrück in die Kinos