Von Irene Runge
"antifa" - Magazin für
antifaschistische Politik und Kultur
Jemand sagte, es gäbe auf deutschen Straßen eine Kampagne gleichen
Titels. "Wir sind Deutschland" sollte es besser heißen. Denn warum
eigentlich nicht? Irgendwer muss das ja sein. Klingt es nicht wie "Meine
Heimat DDR"? Vorbei. Auffällig ist doch vielmehr, wie sich ein Teil der
Bevölkerung vor genierlicher Heimatliebe kaum bremsen kann, während ein
anderer sich wegen dieser Heimat so geniert, dass Palästinensertücher,
Davidsterne oder buntes Glasperlenzeug den Eindruck erwecken müssen, man
gehöre nicht dazu.
Ich bin sowieso höchstens zu einem Viertel dabei, der Rest verteilt sich
auf mein lokales Berlin- und jüdisches Weltgefühl und auf meine
US-amerikanische Geburtsortherkunft. Mir wurde gerade der USA-Pass
gestohlen, woraus sich ein patriotisches Erlebnis ableitete. Im Konsulat
forderte ein schöner schwarzer Mann mich auf, die rechte Hand zum Schwur zu
heben. Ich tat das mit großem Stolz, legte mir wie im Film noch die linke
Hand unters Herz, und schwor angesichts der Flagge der Vereinigten Staaten
von Amerika, dass alles, was ich über diesen Diebstahl gesagt hatte, nichts
als die reine Wahrheit sei. So wichtig kann sich in Deutschland niemand
fühlen, dem die Passidentität geraubt worden ist. Gern zahlte ich dafür 82
Euro Gebühren. Ein entwendeter deutscher Pass käme billiger, aber sie würden
mich in der Meldestelle des Bürgeramtes nur einen Zettel unterschreiben
lassen.
Als Deutschland Papst geworden war, ging mich die Sache ja eigentlich
nichts an. Ich bin nicht katholisch. Der neue Papst ist aber schließlich
adrett, nicht so, wie unser charmanter Bundespräsident, der kann besonders
nett lächeln. Mir ist schon lange klar, dass Deutschland neue
Männerleitbilder braucht. Die mit dem grimmigen deutschen Blick sind endlich
verschlissen.
Think global, buy local. Ein solcher Slogan nutzt allerorten. Er hat den
USA beim Handel mit sich selbst geholfen, hierzulande könnte er die
Wirtschaft zwar auch nicht retten, aber dafür haben wir ja jetzt, wenn es
denn stimmt, diese neue Kampagne.
Im Fernsehen sitzt gelegentlich ein Affe im Jackett am Arbeitstisch. Ein
kleiner Mann rennt durchs Bild und sagt, er würde in Deutschland
produzieren. Andere Unternehmer sind nicht so patriotisch wie der Chef von
Trigema, dem sportlichen Familienunternehmen ohne Betriebsrat. Trigema steht
auf Deutschland. Das ist gut, aber es wird ausgehen wie nach 1870 der
Versuch, die Entwicklung der Eisenbahn zu unterbinden. Warum sie einen Affen
für die Message brauchen, das verstehe ich übrigens nicht.
Die Aktion "Du bist Deutschland" hat nach Aussage ihrer Initiatoren das
Ziel, eine neue Aufbruchstimmung in Deutschland herzustellen. In den kurz
nach der Bundestagswahl im Fernsehen ausgestrahlten Werbespots sprechen mehr
als 40 prominente und nicht prominente Bürgerinnen und Bürger gemeinsam ein
"Manifest" für Deutschland. Für diese Aktion stellten zwei Dutzend
Medienhäuser ein Mediavolumen von mehr als 30 Millionen Euro zur Verfügung.
Wilhelm Treml, einer der Beteiligten, erklärte dazu: "Es soll damit Schluss
sein, dass sich Deutschland selbst schlecht redet. Wir wollen die Aktion
unterstützen und eine Lanze für mehr Zuversicht und Eigeninitiative in
Deutschland brechen."
In einem PR-Material der Kampagne bezeichnen die Macher selbstbewusst
ihre "politisch unabhängige und überparteiliche Aktion" als "größte
Social-Marketing-Kampagne in der deutschen Mediengeschichte."