Arabischer Antisemitismus:
Wir, Ihr und die Verborgene Hand
Der arabische Antisemitismus wird gerne in
den Kontext der derzeitigen Islamismus-Debatte gestellt. Eine Erklärung des
Antisemitismus im arabischen Raum erschöpft sich indes keineswegs mit dem
Verweis auf entsprechende islamistische Agitation. Vielmehr gibt es
Anzeichen dafür, dass das breite Aufkommen antisemitischer Stereotype mit
dem Fußfassen des arabischen Nationalismus in Verbindung zu bringen ist.
Von Jens
Heibach
Eine Frage vorab: Was hat die deutsche
Romantik mit dem Nahostkonflikt zu tun? Gewiss, die israelisch-arabische
Auseinandersetzung eignet sich nur bedingt für lustige Ratespiele. In diesem
Fall jedoch kann ein etwas weiteres Ausholen gewinnbringend sein, da so der
Bogen zu einem Kernproblem des Konflikts geschlagen wird: dem arabischen
Antisemitismus.
Über dessen Zustandekommen ist in den Post-9/11-Debatten vieles von
Vielen zu vernehmen. Es ist die Rede von judenfeindlichen Koranstellen und
der Kooperation der Araber mit dem Nationalsozialismus, von den
kleinen Gemeinschaften orientalischer Christen im 19. Jahrhundert, die wohl
zu Recht als Brutstätte des nahöstlichen Antisemitismus gelten dürfen, und
der Konfrontation mit dem Zionismus, die der weiten Verbreitung
antijüdischer Ressentiments den Boden bereitet hat. Dies alles sind
zweifelsohne richtige und wichtige Puzzlesteine, die allerdings – achtlos
aneinandergereiht – lediglich ein Zerrbild der Wirklichkeit abgeben.
Besonders bedenklich sind obendrein Erklärungsversuche, die im
Antisemitismus ein originäres Merkmal des Islams erkennen wollen. Der
Vergleich des relativ harmonischen jüdisch-arabischen Zusammenlebens mit der
zumeist verhängnisvollen Situation der Juden im christlichen Europa des
Mittelalters zeigt, dass sich der arabische Antisemitismus nur wenig zur
Islamschelte eignet.
Antisemitismus wurzelt, wie der Soziologe Klaus Holz in einer 2001
veröffentlichten Studie eindrucksvoll nachweist, im Phänomen des
Nationalismus. Auf eine knappe Formel heruntergebrochen lauten seine
Ergebnisse in etwa so: Eine anhand ethnischer Kategorien konstruierte
Wir-Gruppe, die Nation, grenzt sich von anderen Ihr-Gruppen, sprich anderen
"Völkern", ab und setzt diesem Weltbild von sich nebeneinander tummelnden
Volksgruppen die nationale Nicht-Identität der Juden gegenüber. Das
"völkische" Kollektiv kann sich seiner sozialen Existenz eben gerade deshalb
sicher sein, da die Negation der nationalen Ordnung das parasitäre,
individualistische und zersetzende Bild vom "Juden" ist. Es erübrigt
sich zu erwähnen, dass diese tumbe Argumentation der Daseinsberechtigung
verstärkt in identitären Krisen zutage tritt.
Den Code zum Verständnis des modernen Antisemitismus liefert also das Denken
in nationalen Kategorien. Dies erklärt auch, warum die von christlichen
Minderheiten kolportierten antisemitischen Klischees in der
arabisch-muslimischen Mehrheit zunächst keine weitere Beachtung finden. Die
Situation ändert sich erst grundlegend mit dem Erstarken des arabischen
Nationalismus und der Herausbildung einer breiten arabischen
nationalen Identität infolge der verheerenden arabischen Niederlage im
ersten israelisch-arabischen Krieg 1948.
Zweierlei
wirkt befördernd bei der nun folgenden Herausbildung eines antisemitischen
Konsenses in der arabischen Bevölkerung. Einerseits wird in den fünfziger
Jahren von arabischen nationalistischen Regierungen eine ganze Armada
antisemitischer Propaganda lanciert. Darüber hinaus birgt der
arabische Nationalismus Wesenszüge, die sich leicht zu völkischem Dünkel
verdichten und in denen sich allzu schnell rassisches und antisemitisches
Denken nebeneinander gesellen. Die Ähnlichkeiten mit dem deutschen
Nationalismus sind gleichsam frappierend und naheliegend, nehmen doch
führende Ideologen des arabischen Nationalismus Anleihen bei Fichte, Herder
oder Arndt. Der judenfeindliche Hintergrund dieser Herren dürfte hinlänglich
bekannt sein.
Aus
diesen, wenngleich gewichtigen Berührungspunkten mit dem deutschen
Nationalismus das gesamte Wesen seines arabischen Pendants oder gar die
Ausmaße antisemitischer Einstellungen in der arabischen Bevölkerung erklären
zu wollen, ist freilich eine Milchmädchenrechnung. Alleine schon deshalb,
weil es sich beim arabischen Nationalismus um keine homogene soziale
Bewegung handelt. Der Antisemitismus im arabischen Raum konnte sich vor
allem auch darum etablieren, da er für arabische Potentaten als Element der
Herrschaftssicherung unabdingbar war und ist. Denn die arabischen
Staatschefs treiben ein doppeltes Spiel. Obwohl sie offiziell weiterhin die
panarabische Einheit predigen, kann ihnen nichts an ihrer Verwirklichung
liegen. Diese wäre gleichbedeutend mit dem Verlust der eigenen Macht. Und
weil sich der panarabische Gedanke in der arabischen Bevölkerung weiterhin
ungemeiner Beliebtheit erfreut und eine enorme identitätsstiftende Wirkung
besitzt, kommen den arabischen Machthabern die Geschichten von der
verborgenen jüdischen Hand, die den arabischen Zusammenschluss zu verhindern
weiß, gut zupass.
Aber zurück zu unserer Ausgangsfrage. Zugegeben, der Zusammenhang zwischen
der deutschen Romantik und dem Nahostkonflikt ist etwas künstlich, zu
gleichen Teilen konstruiert und nachvollziehbar, in diesem Falle jedoch
zweckdienlich. Die populärsten geistigen Konstrukte in der arabischen
Bevölkerung hingegen sind falsch, widersinnig, brand gefährlich – und
manchmal tragikomisch. Kennen Sie vielleicht die Geschichte von den
Kaugummis aus Israel, die arabische Männer impotent machen?
hagalil.com 04-11-2005 |