Protest vor dem
iranischen Konsulat:
Ahmadinejads Gehilfen
Von
Matthias Küntzel
Man
lockt mich heute nur noch selten auf die Straße. Aber jetzt, wo zum ersten
Mal seit Adolf Hitler ein aus Wahlen hervorgegangener Führer in alle Welt
brüllt, dass er Israel auslöschen und einen neuen Genozid am jüdischen Volk
verüben will? Ich machte mich also auf den Weg zur Protestkundgebung vor dem
iranischen Konsulat in Hamburg.
Unterwegs beschlich mich ein ungutes Gefühl. Ich erinnerte mich an die
großen Kundgebungen gegen Atomenergie und Atomkriege vor 25 Jahren. Wir
hatten damals schon während der Anfahrt unsere Transparente ausgerollt und
mit Flugblättern noch die letzten Bürger zu mobilisieren versucht.
Und heute, wo ein nuklearer Holocaust vor aller Welt nicht nur angekündigt,
sondern vorbereitet wird? Wo auch ein Rafsanjani, wie Daniel Goldhagen in
Erinnerung rief, die Ratio des Atomschlags gegen Israel damit begründet,
dass schon eine einzige iranische Bombe Israel auslöschen würde, während der
Schaden des nuklearen Gegenschlags für die Islamische Welt begrenzbar sei? (1)
Wer heute ein Flugblatt zur Solidarität mit Israel verteilt, muss auf Unmut,
Hassausbrüche, gar Gewalttätigkeiten gefasst sein. Wer heute an öffentlichen
Plätzen für Israel eintreten will, muss mitunter "sein Gesicht hart wie
einen Kieselstein machen, um den Widerständen standhalten zu können", wie es
in einem Papier der "Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit"
treffend heißt.(2) Das ist schon bemerkenswert,
angesichts der Tatsache, dass es in Hamburg bekanntlich auch vor 70 Jahren
eines besonderen Mutes bedurfte, um mit Juden solidarisch zu sein.
Heute wird diese israelfeindliche Stimmung in erster Linie durch die Medien
geprägt. Dabei geht es nicht nur um das Phänomen, dass in Deutschland noch
der kleinste Zusammenstoß zwischen Palästinensern und Israelis als Meldung
Nr. 1 herausgestellt wird, so als herrsche überall sonst in der Welt die
größte Harmonie. Sondern auffällig ist auch die Art und Weise, mit der man
Israel immer wieder als den "eigentlichen" Aggressor präsentiert.
Ein Beispiel unter Tausenden ist der Artikel, den die Frankfurter
Allgemeine ausgerechnet am Tag der Rede Amahdinejads veröffentlichte.(3)
Mir fiel zuerst die Überschrift "Israelische Luftangriffe" ins Auge. Anfangs
heißt es: "Die israelische Luftwaffe hat am Dienstag den Gazastreifen mit
Raketen angegriffen." Erst an zweiter Stelle taucht der Anlass auf: "Zuvor
hatten militante Islamisten mehrere Kassam-Raketen auf israelisches
Staatsgebiet abgefeuert." Nehmen wir an, die Stadt irgendeines beliebigen
Landes würde aus dem Ausland mit Raketen attackiert. Wird dann nicht dieser
Angriff der Gegenstand der Schlagzeile sein? Raketenangriffe auf Israel
werden demgegenüber als eine Nebensache präsentiert, so als sei dessen
Existenz a priori schon infrage gestellt. Doch auch die Sprache ist
interessant: Normalerweise ist Verteidigung etwas anderes als Angriff. Hier
aber haben Islamisten "abgefeuert" und Israelis "angegriffen".
Schreiben Journalisten so verdreht über Israel, weil die Leute es wollen,
oder ist es umgekehrt? Ich weiß es nicht. Ich glaube aber, dass viele
Deutsche die permanente Berieselung mit
"Angriffen" und
"Verbrechen" des jüdische Staates wie Balsam für ihre Seele empfinden: Nur,
wenn auch Juden schlimme Verbrechen begehen, sind wir moralisch quitt.
Vielleicht liegt es an dieser Projektion, dass 65 Prozent der Deutschen auf
die Frage, welches Land sie als die größte Bedrohung für den Weltfrieden
betrachteten, nur eine Antwort kannten: Israel.(4)
Heute ist es diese Paranoia, die Ahmadinejad in die Hände spielt.
Neulich überließ mir ein Freund die ersten 74 Kommentare aus dem Chat-Forum
von AOL Deutschland über die iranische Vernichtungsdrohung. Obwohl in diesem
moderierten Forum die schlimmsten Äußerungen zensiert werden, lehnten nur
45% der Chat-Teilnehmer den Aufruf Ahmadinejads eindeutig ab. 28 % äußerten
sich ambivalent und 27 % ergriffen für ihn Partei. "Was soll das Geschrei?",
hieß es da, "Ich finde den iranischen Präsidenten sehr mutig", "Wenn man
wirklich in dieser Welt in Frieden leben möchte, muss man einfach dem
iranischen Präsidenten zustimmen", "Irans Präsident hat doch zu 100%
Recht."(5)
Natürlich äußert sich nicht jeder so. Die deutsche Wirtschaft setzt einen
anderen Akzent. Sie befürchtet wegen des Aufrufs zur Zerstörung Israels
negative Folgen – allerdings nicht für Israel, sondern für sich. "Bei einem
Wirtschaftsembargo [gegen den Iran] würde für deutsche Unternehmen der
wichtigste Markt im Mittleren und Nahen Osten wegbrechen", warnte der
Nahostexperte der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Jochen Clausnitzer
in Berlin. "Auch gezielte Sanktionen ... könnten sich negativ aus deutsche
Projekte auswirken."(6)
Dem Aufruf zum "Business as usual" schloss die deutsche Politik sich an.
Joschka Fischer, der noch amtierende Außenminister, schwieg. Friedbert
Pflüger, der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU, verurteilte zwar die
Äußerungen des iranischen Präsidenten "aufs Schärfste". Und doch stellte er
– von materiellen Konsequenzen ganz zu schweigen – nicht einmal den
"Kritischen Dialog" zwischen Teheran und Berlin in Frage. Dr. Pflüger:
"Gerade jetzt ist der Iran aufgefordert, mit Blick auf seine nuklearen
Ambitionen Vertrauen zu schaffen und Garantien zu geben."(7)
Dem pflichtete der außenpolitische Sprecher der SPD, Gernot Erler, bei:
Derzeit befänden sich die Europäer in einer "Phase, wo es darum geht, die
Verhandlungen um das Nuklearprogramm wieder aufzunehmen. Natürlich erschwert
die Rede des iranischen Präsidenten diese Bemühungen".(8)
Erschwert. Nicht: verhindert. Wir werden doch unsere Bemühen um eine
Vertrauensbasis für die Atompolitik des Iran nicht infrage stellen, nur weil
dessen Präsident mit dem Leben von ein paar Millionen Juden spielt!
Auch die anderen Länder der Europäischen Union haben dem Iran keine
Sanktionen angedroht, ja nicht einmal kurzfristig ihre Botschafter aus
Teheran abberufen. Für Deutschland wiegt dieses Versagen doppelt schwer:
Nicht nur, weil ihm aus dem deutschen Verbrechen eine spezielle
Verantwortung erwächst. Sondern auch deshalb, weil Berlin stets damit
anzugeben pflegt, der Weltmeister im korrekten Umgang mit einer bösen
Vergangenheit zu sein.
Mein ungute Vorahnung bestätigte sich vor dem Hamburger iranischen Konsulat.
Nur 60 kamen zum Protest, darunter Studenten und Schüler mit Gesichtern hart
wie Kieselstein.
Anmerkungen:
Daniel Jonah Goldhagen zitiert den als "moderat" geltenden Hashemi
Rafsanjani aus einer im Dezember 2001 gehaltenen Rede zum "Al Quds"-Tag wie
folgt: "If one day, the Islamic world is also equipped with weapons like
those that Israel opossesses now, then the imperialists’ strategy will reach
a standstill because the use of even one nuclear bomb inside Israel will
destroy everything. However, it will only harm the Islamic world. It is not
irrational to contemplate such an eventuality."
Mit anderen Worten: Man kann Israel nicht schadlos zerstören,
doch für diesen Preis könnte es sich lohnen.
In: The Sun, November 3, 2005.
"Gesicht zeigen". Einladung zur Studientagung der "Gesellschaften für
Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (Deutscher Koordinierungsrat e.V.)" am
11.-12. November 2005 in Berlin. Die Metapher ist dem Buch Jesaja, Kap. 50,
Vers 7 entnommen: "Darum hab ich mein Angesicht hart gemacht wie
Kieselstein."
Israelische Luftangriffe, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.
Oktober 2005.
Thomas Fuller, EU leader attacks poll calling Israel a threat, in:
International Herald Tribune, November 4, 2005.
Christian Mosch, AOL Mitgliederkommentare zum Iran, 28. Oktober 2005. Die
hier dokumentierten Stellungnahmen stammen vom 27. und 28. Oktober 2005.
Zitiert nach Focus, 28.10.2005. Siehe unter:
http://focus.msn.de/hps/fol/newsausgabe/newsausgabe.htm?id=20851
Presseerklärung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 26. Oktober 2005. Siehe
unter:
http://presseportal.de/story.htx?firmaid=7846
Erler will im Fall Iran Sicherheitsrat einschalten, in: Netzeitung.de vom
28. Oktober 2005. Siehe unter:
http://www.netzeitung.de/spezial/nahost/364925.html |