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Nach den Wahlen:
100 Prozent Polen

Nach dem Sieg der rechtspopulistischen PiS droht in Polen eine "moralische Revolution" mit politischen Säuberungen und Prozessen.

Von Gabriele Lesser, Warschau
Jungle World 40 v. 05.10.2005

In Polen geht eine Epoche zu Ende. Die aus den Wahlen siegreich hervorgegangene Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) hat Gefährliches vor. Sie will das Rad der Geschichte zurückdrehen und noch einmal beim Jahr 1989 beginnen. Der damals am Runden Tisch gefundene Kompromiss zwischen den polnischen Kommunisten und der Freiheits- und Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc soll aufgehoben werden. Die rechtspopulistische Partei will die "IV. Republik Polen" ausrufen und eine "moralische Revolution" durchexerzieren – mit ideologischen Massensäuberungen und einer "Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission", die die letzten 15 Jahre "durchleuchten" soll. Ex-Kommunisten sollen in der "IV. Republik" keine Chance haben.

Nach dem Verfassungsentwurf der PiS müssten sich alle über 33jährigen, die im öffentlichen Dienst arbeiten wollen oder ein politisches Amt anstreben, auf eine eventuelle Zusammenarbeit mit der kommunistischen Partei oder der polnischen Stasi "durchleuchten" lassen. Frei von jedem Kommunismus-Verdacht wären demnach nur Personen, die bei der Wende 1989 noch nicht 18 Jahre alt waren. Zudem soll die "Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission" die Regierungspolitik der vergangenen 15 Jahre und hier insbesondere die Privatisierungen überprüfen, Korruptionsfälle aufdecken und Schuldige vor Gericht bringen.

Gefährlich wäre diese "moralische Revolution" von oben nicht nur für den inneren Frieden Polens, sie würde auch die Stabilität Europas gefährden. Denn es geht ja nicht um Verbrechensbekämpfung, sondern um einen angeblichen "inneren Feind" Polens, der ausgeschaltet werden soll. Der antikommunistische Gesinnungsterror wird nicht nur Angst und Schrecken in Polen verbreiten, sondern auch außenpolitische "Feinde" produzieren. Das nationalistische Magazin Wprost hetzt schon seit Jahren, und durchaus im Sinne der PiS, gegen die angeblichen Erzfeinde Polens – Deutschland und Russland. Dabei vermengen sich historisch berechtigte Vorbehalte mit einem isolationistischen Nationalismus.

Seit dem Irak-Krieg zählt auch Frankreich für rechtspopulistische Kreise zu den "Feinden" Polens. Russland, Deutschland und Frankreich seien antiamerikanisch und antipolnisch, sind viele überzeugt. Zudem würden Frankreich und Deutschland versuchen, die EU zu dominieren. Die EU müsse daher als ein Bund angesehen werden, an den möglichst wenig Rechte abgetreten werden.

Gewählt wurde die PiS aber nicht, weil die Partei die "moralische Revolution" versprach, sondern weil die Menschen Angst vor einer weiteren Verarmung haben. Es war der "Kühlschrank-Effekt", der die Wähler dazu veranlasste, ihre Stimme der rechtspopulistischen Partei zu geben. In einer oft ausgestrahlten Wahlwerbung der PiS verschwanden aus dem Kühlschank die Lebensmittel und aus dem Kinderzimmer die Spielsachen. Schuld daran sei die geplante Flat-Tax von 15 Prozent, die die liberale Bürgerplattform PO einführen wolle, suggerierte die Wahlwerbung. Würde die PO regieren, würden die Kinder hungrig in die Schule gehen und nichts mehr zum Spielen haben. Das wirkte. Statt der PO, die monatelang in den Umfragen führte, wählten die wenigen Polen, die überhaupt zur Wahl gingen, die PiS zur stärksten Partei. Sie wird nun in der künftigen Koalition mit der PO den Ton angeben.

Doch die "moralische Revolution" und die "IV. Republik" können nur ausgerufen werden, wenn der Präsident Polens mitmacht. Die PiS setzt also alles daran, bei den Präsidentschaftswahlen am Sonntag den eigenen Kandidaten Lech Kaczynski durchzusetzen. Zwar führt in den Umfragen zu den Präsidentschaftswahlen Donald Tusk von der liberalen Bürgerplattform, doch vor gut einer Woche war es auch die PO, die in den Umfragen zur Parlamentswahl führte. Am Wahlabend stürzte die siegesgewisse Partei dann auf den enttäuschenden zweiten Platz ab.

Das kann ihr jetzt wieder passieren. Denn statt für ihren Kandidaten zu kämpfen, starrt die ganze Partei wie gebannt auf den populistischen Slogan Lech Kaczynskis: "Wir sind solidarisch, sie elitär." Statt witzig zu kontern oder den Polen vorzurechnen, wie viel Schulden das Wahlgeschenks-Programm der PiS mit den zahlreichen Vergünstigungen und Sozialbeihilfen verursacht, setzt sie der PiS nur den müden Spruch entgegen: "Ein stolzes Polen contra eine IV. Republik."

Die Passivität der PO hat mit Erfahrungen aus den vorherigen Wahlkämpfen zu tun. Parteien, die scharfe Kampagnen führten, wurden von den Wählern immer abgestraft. Die Polen mögen keine scharfen Konflikte, und schon gar nicht Schmutzkampagnen oder billige Wahlkampfmanöver. Doch sie erwarten von ihrem künftigen Präsidenten Standhaftigkeit und Durchsetzungsfähigkeit, nicht nur höfliches Teetrinken und das Streicheln vieler Kinderköpfe. Doch zurzeit sieht alles danach aus, als könne Lech Kaczynski den Vorsprung seines Gegners noch aufholen und tatsächlich Präsident Polens werden.

Für die EU würde dann eine schwierige Zeit anbrechen. Denn die PiS lehnt nicht nur die Europäische Verfassung ab, die nach zwei negativen Abstimmungen in EU-Gründungsländern ohnehin kaum noch zu retten ist, sondern will einen Teil der an die EU abgetretenen Souveränitätsrechte zurückholen. Da Polen das sechstgrößte Land in der EU ist und mit dem Anspruch einer Regionalmacht in Mittelosteuropa auftritt, könnte dies für einige Turbulenzen sorgen.

Im PiS-Programm zur künftigen EU-Politik heißt es: "Wir streben die Rückkehr zum Denken in nationalen Interessen an. Die Entwicklung Polens und die Stärkung seiner Rolle in der internationalen Politik werden nicht möglich sein ohne den definitiven Bruch mit den Fehlern der Euro-Enthusiasten und der postkommunistischen Politik, die frei war vom Geist der Souveränität." Die Mitgliedschaft Polens in der EU diene allein den nationalen Interessen Polens, die in Brüssel hart verteidigt werden müssten. Bei den EU-Haushaltsverhandlungen gehe es darum, die größtmögliche Summe für Polen als Nettoempfänger herauszuholen. Dabei müssten die Abgeordneten im Europäischen Parlament darauf eingeschworen werden, nicht die Fraktionsdisziplin einzuhalten, sondern nach nationaler Zugehörigkeit abzustimmen. Die großen Staaten, die egoistisch nur an ihr eigenes Wohl dächten und die Landwirtschaft Polens nicht zu 100 Prozent fördern wollten, sollten kritisiert und an ihre Solidaritätspflicht gegenüber den ärmeren Staaten erinnert werden.

Die Partei und ihre beiden machtbewussten Gründer, die Zwillingsbrüder Kaczynski, bedenken nur eines nicht bei ihren nationalistischen Plänen: Sie brauchen einen Koalitionspartner, der diese von Minderwertigkeitskomplexen gekennzeichnete Politik mitträgt. Das wird die PO sicherlich nur zum Teil tun, da ihre Politiker sich in der EU sicher bewegen und akzeptiert fühlen. Zudem braucht Polen auch innerhalb der EU Bündnispartner, wenn es etwas erreichen will. Als egoistischer Popanz, der immer nur allen anderen vorwirft, dass sie gefälligst solidarisch mit Polen sein sollten, wird die Regierung keinen Erfolg haben.

Doch die Aussichten sind gar nicht schlecht, dass auch PiS-Politiker lernen, was Diplomatie bedeutet, und dass es mitunter sinnvoll sein kann, zugunsten des großen Ganzen auf seine nationalen Interessen zu verzichten. Bisher jedenfalls haben es noch alle in der EU irgendwann begriffen.

Gabriele Lesser arbeitet als Korrespondentin der taz in Warschau.

hagalil.com 11-10-2005

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