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Dialog im Schatten der Vergangenheit:
Sondra Perl über ihre Erfahrungen in Innsbruck

Von Alexandra Bader, CeiberWeiber

Auf Einladung von jüdischer Gemeinde in Wien und amerikanischer Botschaft sprach die Amerikanerin Sondra Perl am 29. September 2005 im Amerika-Haus über ihre in einem Buch verarbeiteten Erlebnisse mit LehrerInnen in Tirol. Eigentlich sollte sie, nach etwas Zögern angesichts der ersten Einladung nach Innsbruck, ihre KursteilnehmerInnen im kreativem Schreiben auf Englisch unterrichten. Daraus wurde dann ein Dialog verbunden mit mehreren Besuchen, über die Perl das Buch "On Austrian Soil - Teaching Those I Was Taught to Hate" schrieb.

Namens der Botschaft wurde sie von Botschaftsrat Bill Wahlund begrüsst, der bei dieser Gelegenheit auch den Tod von Simon Wiesenthal bedauerte. Dann stellte er Perls Arbeit vor und zitierte ihre Aussage "Austria was a country I never wanted to visit". Dieses Land fand sie dann wunderschön und war gezwungen, ihre Vorurteile zu überprüfen. Perl selbst erklärte dann, warum sie solch eine Einstellung hatte, wo doch ihre Familie nicht zu den EmigrantInnen und Holocaustopfern gehörte. Auch ihr Vater war zwar in der Armee, jedoch nie in Europa stationiert.


Sondra Perl und Bill Wahlund

Perl hatte lange das Gefühl, sie habe gar kein Recht, auch unter den Folgen des Holocaust zu leiden. Ihre Empfindungen schätzte sie als blass und aus zweiter Hand ein. Allerdings seien alle die Erben des Holocaust, wobei nur die Überlebenden selbst entscheiden können, ob sie sich überhaupt auf einen Dialog mit den Nachkommen der Verfolger einlassen. Andere Jüdinnen und Juden müssten aber den Kreislauf des Hasses durchbrechen. 1996 wurde Perl eingeladen, österreichische LehrerInnen zu unterrichten, und kam ins Grübeln. Sie wollte dieses Land zwar nicht besuchen, andererseits reiste sie elf Jahre lang überhaupt nicht wegen ihrer Tochter - höchstens zum Kinderarzt und zurück.

Sie sagte zu, tat aber erstmal so, als würde sie nach Paris reisen. In Innsbruck erlebte sie schliesslich, dass mehr auf ihrer Seite die Vergangenheit zwischen der Kommunikation und den Kursaufgaben stand. Sie selbst war es dann, die nicht schreiben konnte, wonach ihr zu schreiben war, da es zu furchtbar war. Als Sondra aber gegenüber den TeilnehmerInnen artikulierte, wie ihr zumute war, kam eine Auseinandersetzung in Gang. Es stellte sich heraus, dass die meisten ohnehin unter der Sprachlosigkeit litten, die den persönlichen und familiären Bezug zur Vergangenheit betraf.

Es blieb nicht bei dem einen Besuch, sondern weitere Einladungen folgten. Mit manchen TeilnehmerInnen wechselte Sondra auch E-Mails, die im Buch zum Teil veröffentlicht sind. Auch "gewagte" Begegnungen fanden statt, wie zwischen Sondra, ihrem Ex-Mann und den Nazi-Eltern von Teilnehmern. Ausserdem liess sich Sondra auf den Spuren der Vergangenheit durch Innsbruck führen. Mit manchen LehrerInnen ist Sondra heute befreundet, wenngleich sie einige Erlebnisse immer noch erstaunen. Etwa, dass Lehrende in Österreich neutral sein sollen, nicht ihre persönlichen Werte einbringen dürfen.

Erklärbar ist auch dies aus der Geschichte, da Neutralität gerade deswegen gefordert werden musste, weil viele LehrerInnen erst "entnazifiziert" und dann wieder zum Unterricht zugelassen wurden. Was den Besuch in Innsbruck betrifft, ist die jetzige Reise Perls ein privater Trip zu Freunden - erstmals aber begleitet von ihrer (sehr beeindruckenden) Mutter Ruth. Auch sie, die lange Vorbehalte hatte gegen die Kontakte der Tochter zu einem Ex-Nazi-Land, ist nun gerne hier. Neben ein bisschen Touristischem wie einem Besuch in der Oper und von "The Sound of Music" sind es vor allem die Gespräche mit ÖsterreicherInnen, die so anders sind als erwartet, die Ruth begeistern.


Martha Halpert und Sondra Perl

Zu Sondras Erfahrungen nahm auch Martha Halpert Stellung, heute "Focus"-Korrespondentin und früher Mitarbeiterin jüdischer Medien. Für sie war Perls Buch auch deswegen faszinierend, weil sie dadurch etwas über Westösterreich lernte, eine Gegend, in der es auch vor 1938 wenig Juden und Jüdinnen gab. Den Zusammenprall unterschiedlicher Kulturen, wenn eine Amerikanerin nach Innsbruck kommt, kann sie sich gut vorstellen. Beispielsweise, dass in Österreich mehr Zurückhaltung bei persönlichen Kontakten besteht, während in Amerika sofort die ganze Lebensgeschichte erzählt wird, auch um einander über den sozialen Status zu informieren.

Halpert meint, als "stolzer Jude" sei es einfacher, einen Dialog zu beginnen. Sie hat aber den Eindruck, dass die österreichischen GesprächspartnerInnen von Perl mit ihren Empfindungen allein gelassen wurden, es also zwischen allen Beteiligten individuell geregelt werden musste, was solche Themen auslösen. Auch Georg Haber, Direktor des Jüdisches Museums Wien, sieht Unterschiede zwischen Wien und Tirol. Rein zahlenmässig war es einst so, dass mehr als 10% der Wiener Bevölkerung Juden waren, wobei Menschen mit einem jüdischen Elternteil und länger Assimilierte gar nicht eingerechnet sind. In Tirol gab es hingegen nur wenige hundert Juden.


Georg Haber, Martha Halpert

Die Überlebenden und ihre Nachkommen wissen um die Vergangenheit, reden aber nicht darüber angesichts ihrer Umgebung. Auf beiden Seiten sind in gewisser Weise ähnliche Arten des Umgangs mit der Geschichte zu beobachten. Die erste Generation spricht nicht über die eigenen Erfahrungen, die zweite Generation fragt und bekommt allgemeine Antworten, und erst die dritte Generation stellt der ersten persönliche Fragen. Erfreulich ist für Haber, dass sehr viele Menschen jedes Jahr ins Jüdische Museum gehen, darunter 40.000 SchülerInnen. Freilich ist auch zu beobachten, dass immer mehr junge Menschen das Interesse an unmittelbarer Vergangenheit verlieren.

Allen ist gemeinsam, dass sie den Zeitpunkt fürchten, wo nicht nur der letzte Verfolger tot, sondern auch das letzte Opfer gestorben ist (was später eintreffen wird, da unter den Opfern viele Kinder waren). Dann wird der Holocaust Geschichte sein, ohne dass Zeugnisse aus erster Hand gegeben werden können. Umso wichtiger ist es, weiter solche Lebensberichte zu sammeln und den Holocaust vor dem Vergessen und dem Gleichmachen mit anderen "historischen Ereignissen" zu bewahren. Dazu wird wohl auch gehören, den Kindern, Enkeln und Urenkeln von Nazis die Geschichtsauseinandersetzung nicht als individuelle Entscheidung zu überlasen, sondern ihnen dabei Hilfestellungen zu geben.

Infos: "On Austrian Soil" ist erschienen in der State of New York University Press, http://www.sunypress.edu, und sollte auch ins Deutsche übersetzt und veröffentlicht werden. Trotz des akademischen Verlages ist es kein streng wissenschaftliches, sondern gut verständliches Buch, das unter anderem LehrerInnen Hilfe bei persönlicher Auseinandersetzung mit Zeitgeschichte geben kann. Vielleicht findet sich ja ein Verlag dafür in Österreich?

Fotos: © Alexandra Bader, CeiberWeiber

hagalil.com 10-10-2005

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