Die
Jeckes:
Hinter den Kulissen agieren
Eine Rezension von Ralf Balke
Der neue "Jüdische Almanach" widmet sich den Lebenswelten der
"Jeckes".
Die Jeckes kommen! In Film und Literatur stehen die in den dreißiger
Jahren vor den Nazis nach Palästina geflohenen deutschen Juden derzeit hoch
im Kurs.
Auf wissenschaftlichen Symposien, in Dokumentationen und zahlreichen
Büchern wurde in jüngster Zeit verstärkt auf ihr Schicksal und ihre
Leistungen beim Aufbau des Staates Israel aufmerksam gemacht.
Leider ist es nur wenigen Vertretern dieser Generation vergönnt, diese späte
Ehrung noch miterleben zu können. Im neuen "Jüdischen Almanach" kommen nun
einige von ihnen zu Wort, erzählen von ihren Erlebnissen und Erfahrungen bei
der schmerzhaften Abnabelung von Deutschland und der mühevollen Integration
in die gelegentlich etwas wilde Pioniergesellschaft am östlichen Mittelmeer.
Ergänzend dazu – und das hebt den diesjährigen "Jüdischen Almanach" von den
vielen anderen Publikationen zum Thema ab – berichten auch Vertreter der
"Zweiten Generation", also die Kinder der Jeckes, aus ihrer Erinnerung. Sie
schildern, wie ihre Eltern versuchten, mit der neuen Lebenssituation
zurechtzukommen, sich durch bestimmte Rituale zumindest einen Rest ihrer aus
Deutschland gewohnten bürgerlichen Existenz auch in Palästina
aufrechtzuerhalten oder nicht selten einfach nur einsam waren.
Stellvertretend für viele resümiert der renommierte Journalist und "Neue
Historiker" Tom Segev: "Es ist eine traurige Geschichte, ganz unpassend für
den zionistischen Mythos, nach dem die Einwanderung der Juden nach Palästina
eine persönliche und nationale Erlösung darstellt."
Die Jeckes sind immer ein wenig Außenseiter geblieben, schreibt Gisela
Dachs, die Herausgeberin des "Jüdischen Almanachs" in der Einleitung. Und
das nicht nur aufgrund ihres Beharrens auf die als typisch deutsch
wahrgenommenen Tugenden wie Disziplin, Pünktlichkeit und gute Manieren. Ein
Blick auf die Ahnengalerie bekannter wie hochrangiger israelischer Politiker
und Militärs reicht, um das zu erkennen, schließlich sind sie dort kaum
vertreten. Dafür finden sie sich sehr häufig in einem Berufszweig, der wie
geschaffen für sie schien: "Nahezu fünfzig Prozent der ersten
Richtergeneration des Gerichtshofs waren an deutschen Einrichtungen
ausgebildet worden und wussten obendrein die deutschen Umlaute perfekt
auszusprechen", so Fania Oz-Salzberger und Eli Salzberger in ihrem Essay
über den Obersten Gerichtshof in Israel und seine verborgenen deutschen
Quellen.
Dass mit Siegfried Moses ein Jude aus Deutschland der erste
Staatskontrolleur Israels wurde, der als "der Jecke vom Dienst", wie es die
Autorin Rachel Heuberger nennt, mit seinem sprichwörtlichen
Organisationstalent die Fundamente für eine effiziente und moderne
Verwaltung des jungen Staates zu legen vermochte, scheint symptomatisch zu
sein. Deutsche Juden waren überdurchschnittlich präsent im Rechts- und
Verwaltungswesen, im universitären Bereich oder als Gründer von
erfolgreichen Unternehmen, sie standen weniger im Vordergrund, sondern
agierten mehr hinter den Kulissen.
Doch werden im "Jüdischen Almanach" gewiss keine neuen Stereotype aufgebaut.
Wie facettenreich die Einwanderung aus Deutschland war, zeigen der Beitrag
von Ines Sonder über die Vita von Lotte Cohn. Sie war nicht nur eine der
ersten Architekturabsolventinnen der TH Charlottenburg überhaupt, sondern
zugleich die erste Architektin im Palästina der Mandatszeit. Oder der aus
Süddeutschland eingewanderte Onkel Schlomo des Journalisten Schraga Har-Gil,
der in der Jerusalemer Altstadt sein Leben als Orthodoxer an einer Jeschiva
verbrachte.
Ohne
Zweifel, auch der diesjährige "Jüdische Almanach" ist einfach gut gelungen
und setzt die Tradition dieser Reihe fort. Dafür stehen die wirklich
kompetent zu nennenden Autoren, die Wahl der Themen und die sprachliche
Qualität der Beiträge. Alles zusammen macht Lust, sich intensiver mit den
Jeckes und ihrem Schicksal zu beschäftigen.
Jüdischer Almanach des Leo Baeck Instituts:
Die Jeckes
herausgegeben von Gisela Dachs,
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2005,
TB, S.188, € 14,80.
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hagalil.com 21-10-2005 |