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Cheschbon haNefesch:
Mischen wir uns nicht in die Rechnungen des Ewigen
ein
Oberrabbiner
Paul Chaim Eisenberg
zu den Hohen Feiertagen
G'TTES RECHNUNG
Vor einigen Tagen sagte mir ein Jude, dass die Tragödie der
Menschen in New Orleans, die wegen der Überschwemmungen und der
Seuchengefahr evakuiert werden mussten, als Strafe des Ewigen
an den Amerikanischen Präsidenten Bush zu verstehen ist, weil dieser
Israel unter Druck gesetzt hatte, den Gazastreifen zu
evakuieren.
Diese Aussage könnte man in das Reich der Phantasie verbannen,
wenn es nicht im Judentum sehr wohl das Prinzip von Lohn und Strafe
gäbe und dies auch als gerechtes Vorgehen des Ewigen verstanden
wird, d. h., er belohnt oder bestraft "Mida keneged Mida" -
die Vergeltung oder Vergütung entspricht im Ausmaß der Verfehlung
oder der guten Tat.
Wenn wir auch dieses Prinzip nicht in Frage stellen wollen, so
ist sicher nachzufragen, ob wir Menschen die Wirkungsweise des
Ewigen so genau begreifen können, um den Konnex Gaza - New Orleans
aufzustellen!
Die Frage der gerechten Handlungsweise des Ewigen verschärft
sich, wenn es einem in unseren Augen Guten, der eigentlich vom
Ewigen belohnt werden sollte, schlecht geht oder wenn es einem bösen
Menschen gut geht. Diese alte, Theodozie genannte Problematik, die
die Gerechtigkeit des Ewigen in Frage stellt, wird schon im Talmud
(Berachot 7) angerissen.
Zitat: Mosche bat den Ewigen, ihn seine Wege erkennen zu lassen und
Er gewährte es ihm, wie es in der Tora heißt:
„Lass mich erkennen deine Wege (Exodus 33, 13)."
Er sprach vor ihm: „Herr der Welt!
Warum gibt es einen Guten, dem es gut geht und einen Guten, dem es
schlecht geht, einen Bösen, dem es gut geht und einen Bösen, dem es
schlecht geht?" Hier gibt der Talmud drei Antworten:
1) Er antwortete ihm: „ Mosche!
Der Gerechte, dem es gut geht, ist ein Gerechter, Sohn eines
Gerechten, der Gerechte aber dem es schlecht geht, ist ein
Gerechter, Sohn eines Frevlers, der Frevler, dem es gut geht, ist
ein Frevler, Sohn eines Gerechten, der Frevler, aber, dem es
schlecht geht, ist ein Frevler, Sohn eines Frevlers."
Dem ist ja aber nicht so!? (Wir sehen in der Realität
dass dies nicht immer stimmt!)
2) Vielmehr, sprach Er zu ihm wie folgt: Der Gerechte, dem es
gut geht, ist ein vollkommener Gerechter, der Gerechte aber, dem es
schlecht geht, ist ein unvollkommener Gerechter, der Frevler, dem es
gut geht ist kein vollkommener Frevler, der Frevler aber, dem es
schlecht geht, ist ein vollkommener Frevler.
3) Rabbi Meir hingegen akzeptiert beide Erklärungsversuche nicht.
Er zitiert den Torahvers einige Verse später:
„Ich bin gnädig, dem ich gnädig sein will und ich
erbarme mich, dessen ich mich erbarme will", (Exodus 33,19), „Ich
bin gnädig, dem ich gnädig sein will!"
auch wenn er dessen nicht würdig ist ich erbarme mich, dessen ich
mich erbarmen will, obgleich er nicht würdig ist.
Das heißt: der Ewige ist nicht an eine genaue Rechnung gebunden,
sondern er kann (klarerweise) auch willkürlich Gnade vor Recht
ergehen lassen!
Es fällt auf, dass es nicht heißt, dass der Ewige willkürlich
strenger straft als es gerecht wäre, sondern nur, dass er milder
ist.
Hierzu gehört auch, dass wir durch verschiedene Mittel versuchen
können unser Urteil zu verbessern, wie es im Machsor (Gebetbuch) zu
Rosch HaSchana und Jom Kippur heißt: „Teschuwa (Einkehr), Tefila
(Gebet) und Zedaka (mildtätige Spenden)... können ein böses
Verhängnis abwenden!"
Dies soll auch mein Ratschlag für uns in diesen ernsten und
entscheidenden Tagen des beginnenden Jahres sein. Mischen wir uns
nicht in die Rechnungen des Ewigen ein, sondern machen wir in
unserem Herzen Cheschbon haNefesch (wörtlich übersetzt: die
Rechnung unserer Seele)!
Versuchen wir, zu Ihm zurückzukehren, beten wir, helfen wir
Bedürftigen und versöhnen wir uns mit den Menschen und mit G'tt!
Ich verlasse mich darauf. Er weiß schon was er tut.
Ketiwa we Chatima Towa
Oberrabbiner Chaim Eisenberg
Wollen Sie mehr darüber erfahren, so
kommen Sie zum
Talk im Tempel, in der Seitenstettengasse 4. Weitere Informationen:
IKG
Wien.
hagalil.com
02-10-2005 |
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