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Spagat oder Eiertanz:
Wallfahrt nach Heiligenblut

Nach vielen Jahren nimmt das Bistum Eichstätt eine antijudaistische Wallfahrt wieder auf und distanziert sich zugleich von ihr.

Von Elisa Makowski und Peter Zinke, Fotos: © Peter Roggenthin

Hinweis: Von Erich Schredl, Pfarrer von Spalt, liegt eine Gegendarstellung zu diesem Artikel vor: "Bin ich Antijudaist?"

Nur klein ist das Häuflein der Gläubigen am ersten Julisonntag zu unchristlicher Zeit vor der katholischen Kirche in der Hopfenstadt Spalt. Vielleicht dreißig Pilgerinnen und Pilger marschieren um 9 Uhr früh zunächst einen steilen Hügel hoch nach Großweingarten, uns ortsfremdes Paar finster ignorierend. Manche von ihnen wirken etwas kurzatmig, weshalb auch beim Hochsteigen auf das Beten verzichtet wird. Oben an der Bushaltestelle wartet jedoch eine ansehnliche fußfaulere Menge, die sich die Höhenmeter gespart hat.

Und so laufen wir etwa als Hundertschaft durch den lauschigen Mischwald Richtung Brombachsee. Nun wird auch gebetet und gesungen, so wie sich das für eine richtige Prozession gehört. Kurz vor dem Ziel wird die Situation unübersichtlich. Dutzende Autos engen den Weg ein, noch mehr Menschen schließen sich unserem Zug an, sodass sich schließlich etwa 300 Personen an der idyllisch gelegenen Kapelle in "Heiligenblut" versammeln, wo ein greiser Pfarrer und zwei kleine Ministranten mit gefalteten Händen schon warten. Der pensionierte Geistliche führt als Grund für diese Wallfahrt die Erinnerung an frühere Pilgerzüge an.

Die "Deggendorfer Gnad" sei die weltweit wohl letzte existierende Wallfahrt ihrer Art gewesen, meinte der Historiker Manfred Eder zum 1992 abgeschafften niederbayerischen Wallfahrtsziel. Der Legende nach sollen dort im Spätmittelalter Juden geweihte Hostien mit Stich- und Schlagwerkzeugen gemartert haben, worauf sich diverse Wunder ereignet haben sollen. Die Leitung des Bistums Regensburg schrieb damals zur Begründung: "Wenn eine scheinbar fromme Legende als böswillige Unterstellung entlarvt wird, dann müssen wir jetzt bereit sein, ein aufrichtiges Schuldbekenntnis zu sprechen – dies umso mehr, als es hier um eine Diffamierung geht, die den Ruf der Juden, 'unserer älteren Brüder' (Johannes Paul II.), bis in die Gegenwart nachhaltig geschädigt hat. Liebe Brüder und Schwestern", so fährt Bischof Manfred Müller in seinem damaligen Hirtenwort fort, "ich würde mir wünschen, dass dieses Eingeständnis schwerer Schuld nicht als lästige Pflichtübung aufgefasst wird, vielmehr jedem ehrlich empfindenden Christen ein Bedürfnis ist – nicht zuletzt in Anbetracht des millionenfachen Judenmordes in der NS-Zeit und der Judenfeindschaft vieler Christen in den vergangenen Jahrhunderten".

Bis nach Mittelfranken scheint sich diese Botschaft nicht herumgesprochen zu haben. Denn im Herzen des Fränkischen Seenlandes wird nicht etwa schlafmützig an einem alten antijudaistischen Brauch festgehalten, sondern einer lange totgeglaubten Prozession wird in den letzten Jahren verstärkt neues Leben eingehaucht. Die Rede ist von "Heiligenblut" unweit des Großen Brombachsees, wo sich 1444 Folgendes abgespielt haben soll: Ein reicher Jude bezahlt einen armen Holzhacker, der nur die Mäuler seiner Kinder stopfen will, um Hostien aus der Kirche des Örtchens Stirn zu stehlen. Der Jude sticht auf die Hostien ein, um zu sehen, ob sie geweiht sind bzw. um Christus noch mal zu foltern und siehe da, sie fangen das Bluten an. Die Sache fliegt auf, der arme christliche Holzhacker wird enthauptet, der hinterlistige Jude aber konvertiert schnell zum Christentum, um diesem Schicksal zu entgehen (offenbar wurden in der Volksmeinung frisch Konvertierte nicht hingerichtet). Sekunden, bevor er getauft werden soll, fährt der Blitz in die Spalter Kirche und erschlägt den Juden.

Diese Legende wurde Ende des 17. Jahrhunderts erstmals schriftlich fixiert und diente wahrscheinlich der nachträglichen Legitimierung dafür, dass 1445 die Juden aus Eichstätt vertrieben wurden. Jedenfalls wurde in Heiligenblut eine Kirche und ein Kloster gebaut und die Menschen aus der Region pilgerten zu tausenden an diesen wundertätigen Ort. Bis im Zuge der Säkularisierung 1808 beide Gebäude abgerissen wurden.

Die Historikerin Christine Mittlmeier stellt in ihrer Dissertation anschaulich dar, dass antijüdische Hostienfrevellegenden im hiesigen Raum nach dem 4. Laterankonzil 1215 (dort wurde die Transsubstantiation als Wandlung von Brot und Wein in Fleisch und Blut Jesu dekretiert) geradezu Modeerscheinungen waren – mit oftmals grauenhaften Folgen für die jüdische Bevölkerung. So führte 1298 der Hostienschändungsvorwurf im fränkischen Röttingen zu Pogromen, denen 100.000 Juden zum Opfer fielen. 146 jüdische Gemeinden, darunter Nürnberg und Rothenburg, wurden hierbei ausgelöscht. Intention dieser bösartigen Legenden war nach Mittlmeier, den Vorwurf des "Gottesmordes" zu aktualisieren. Einst hätten die Juden Christus ans Kreuz geschlagen, nun folterten sie erneut das Fleisch des Gottessohnes. Einen mobilisierenderen Grund für Pogrome könne man sich schwerlich ausdenken.

Trotz dieser Tatsachen stellt das 1990 erschienene Buch vom damaligen Spalter Kaplan Reinhard Pasel "Heiligenblut – Geschichte einer Wallfahrt" die Legende so dar, als habe sie einen wahren Kern. Ob es tatsächlich ein jüdischer oder sonstiger Hostienfrevel war, wird allerdings offengelassen. In der Publikation freuen sich die hiesigen Kommunalpolitiker über die "eucharistische Volksfrömmigkeit", denn 1953 hatte der Pfarrer Ludwig Waldmüller nahe der ehemaligen Kirche Heiligenblut wieder eine Kapelle errichten lassen. Und in den achtziger Jahren nahm die Kolpingfamilie in Spalt die Tradition der Wallfahrten wieder auf. Die letzte fand – wie beschrieben - am 3. Juli statt. Bis dato hielt sich also die offizielle Amtskirche aus der Sache heraus. Seit 1999 weist eine Stele mit Messingloch in Ramsberg, am gegenüberliegenden Ufer des vor 20 Jahren gefluteten Brombachsees, auf Heiligenblut hin. Sie heißt "Ramsberger Wallfahrt", stammt vom Georgensgmünder Künstler Reinhart Fuchs und soll an die Pilger erinnern, die früher trocknen Fußes durch das jetzige Seeareal marschierten.

Auf der website des Bistums Eichstätt wird von Domvikar Reinhard Kürzinger und dem "Arbeitskreis Tourismuspastoral" zu einer "Wallfahrt der besonderen Art" eingeladen. Eine "Schiffswallfahrt" soll am 7. 10. von Ramsberg über den Brombachsee nach Heiligenblut führen, um an die Zeiten anzuknüpfen, wo die Gläubigen trockenen Fußes herüberpilgerten. Die Entstehungsgeschichte Heiligenbluts ist dort jedoch schamgesichtig ihres antijudaistischen Hintergrunds beraubt worden. So hat dort während einer Hungersnot nur ein armer Tagelöhner Hostien entwendet; es bleibt also lediglich christlicher Mundraub übrig. Tatsächlich ist die judenfeindliche Geschichte Heiligenbluts jedoch allgemein bekannt, zumindest in der Spalter Region. Denn eine Tafel des Tourismusverbandes informiert sachlich vor Ort über dessen Historie. Und auch in den gängigen Heimatbüchern über Ramsberg oder dem 2002 erschienen Band "Das Land am Brombach" wird auf den jüdischen Hostienfrevel in Heiligenblut hingewiesen.

Der Geschäftsführer beim Diözesanrat Richard Ulrich, zuständig für die Organisation der Wallfahrt, sieht – im Vorfeld telefonisch befragt - keine Gefahr für ein Wiederaufleben antijüdischer Ressentiments durch die ökumenische "Christuswallfahrt". Theologisch nehme sie nämlich nicht auf den jüdischen Hostienfrevel Bezug, sondern auf das Johannesevangelium. Er schließe auch aus, dass die Kirche ungewollt antisemitische Stereotype begünstige, indem sie die Ansicht stärke, irgendwas müsse schon dran sein am jüdischen Hostienfrevel, wenn offiziell zur Prozession dorthin aufgerufen werde. Außerdem stehe die Kapelle nicht genau am Ort des ehemaligen Klosters, sondern 50 Meter weiter oben. Auch Eva Ehard, Vorsitzende der Spalter Kolpingfamilie, sieht keine Gefahren bei ihrer Prozession. Schließlich werde hierbei die antijüdische Frevellegende nicht herausstellt. Stattdessen stünden das Blut Christi bzw. die eucharistische Verehrung im Mittelpunkt. Der Eichstätter Domkapitular Rainer Brummer ist offenbar nicht über die Geschichte informiert und stöhnt vernehmlich auf, als er über die Gründungslegende von Heiligenblut informiert wird. Aber schließlich komme es auch auf die inhaltliche Ausrichtung an, also wie mit dem judenfeindlichen Hintergrund bei der Wallfahrt umgegangen werde, meint er optimistisch. Als er vernehmen muss, dass dieser Hintergrund weggemogelt wurde, stöhnt er ein zweites Mal auf. Leider sei er mit Ministranten am Samstag anderweitig unterwegs, doch er werde tun, was er könne. "Dass jemand die Sache in den falschen Hals bekommt", also dass antijüdische Vorurteile durch die Prozession bestätigt werden, werde man wohl nicht verhindern können, so der Geistliche mit nicht zu überhörenden Bedauern.

Die Vorzimmerdame im Bonner Haus der Deutschen Bischofskonferenz ist richtiggehend zornig, als sie von Heiligenblut hört. "Da müssen wir unbedingt was gegen machen", ruft sie resolut und verspricht, nicht eher zu ruhen, bis sie uns mit der entscheidenden Stelle zusammengebracht hat. Diese hat den Namen Hans Gasper, Geschäftsführer der deutschen Ökumenekonferenz. Dieses Gremium besteht aus den Ökumene-Referenten, von denen jedes Bistum einen stellt. Und da bei der katholischen Kirche das Thema "christlich-jüdischer Dialog" wundersamerweise der Ökumene zugeordnet ist, stellt Gasper so was wie den ranghöchsten deutschen katholischen Dialogisierer mit den Juden dar und ist deshalb auch irgendwie für Heiligenblut zuständig. "Auf dem Verfügungsweg ist wenig drin", meint er ganz pragmatisch, denn Befehle kann nur der Vatikan einem Bistum erteilen. "Auf die Schnelle wird sich das Ganze nicht verhindern lassen", so seine besorgte Einschätzung. Gasper ist nett und aufgeschlossen, versteht die kritischen Einwände voll und ganz; gleichwohl wirkt er ein wenig hilflos. Bis ihm die entscheidende Idee kommt: "Man muss offensiv damit umgehen". Drei Tage später meldet Gasper Vollzug: In Heiligenblut werde offensiv mit dem Thema Antijudaismus umgegangen werden. "Mehr war nicht drin".

Europas erster Trimaran, ein monströses Dreifachdeckerpersonenschiff, sieht beim Näherkommen aus wie ein Bulldozer. Doch dem Ungetüm entsteigen gestandene Soutanenträger, zwei kleine Ministranten, die eine Ikone vor sich hertragen und vielleicht zweihundert Gläubige. An der Stele des Georgensgmünder Künstler wird eine erste Andacht abgehalten, bei der Pfarrer Georg Glötzner aus Ingolstadt in Richtung Kapelle ruft: "Es begann 1703 mit dem Bau der Kirche und des Klosters". Doch dann, die Menge ist die 500 Meter zur Kapelle Heiligenblut hochgezogen, beginnt Richard Ulrich die "Offensive": Die Entstehungslegende von Heiligenblut sei antijudaistisch, dies dürfe nicht verschwiegen oder geleugnet werden. Hostienfrevelbeschuldigungen sollten Juden zu Sündenböcken stempeln und ihre Ausgrenzung legitimieren. Man solle daraus für die Zukunft lernen und für alle eintreten, die religiös verfolgt werden.

Weswegen jedoch nicht gelernt wurde, diese antijudaistische Traditionswallfahrt einzustellen und stattdessen – das Pilgern boomt – irgendwo andershin zu wandern, erschließt sich dem Zuhörer nicht. Aber vielleicht ist ja nächstes Jahr mehr drin.

Hinweis:
Von Erich Schredl, Pfarrer von Spalt, liegt eine Gegen-darstellung zu diesem Artikel vor: "Bin ich Antijudaist?"

Außerdem:

Judenfeindschaft und Verfolgung:
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Vorwürfe wegen angeblicher Ritualmorde bzw. Hostienschändungen und die Tragödie von Pulkau...

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Heinrich Heine:
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hagalil.com 11-10-2005

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