
Benny Barbash im Gespräch:
"Sharon repräsentiert jetzt unsere Sicht"
Der linke Schriftsteller Benny Barbash
wurde außerhalb Israels vor elf Jahren mit seinem Roman "Mein erster Sony"
bekannt, in dem er brillant die Widersprüche der israelischen Gesellschaft
anhand des Mikrokosmos einer Familie nachzeichnete. Er schrieb das Drehbuch
zu dem preisgekrönten Film "Jenseits der Mauern" seines Bruders, des
Regisseurs Uri Barbash, über den israelisch-arabischen Konflikt. Gerade ist
sein neuer Roman "Probelauf" im Berlin Verlag auf Deutsch erschienen.
Barbash lebt in Tel Aviv. Mit ihm sprach Ivo Bozic.
Jungle World
40 v. 05.10.2005 Als wir vor über einem Jahr
miteinander sprachen, war die Räumung der Siedlungen in Gaza nur ein Plan,
und Sie berichteten von der Zerrissenheit der israelischen Gesellschaft. Ist
nach dem Abzug diese Disharmonie gewachsen oder ist Israel auf dem Weg zu
einem inneren Frieden?
Das ist schwer zu sagen. Aber ich möchte wirklich glauben,
dass wir uns auf einem guten Weg befinden. Obwohl der Abzug eine Art
traumatischer Akt war. Sogar Leute, die den Gaza-Abzug unterstützt haben,
hatten plötzlich Sympathien für die Siedler. Entscheidend wird aber sein,
was passiert, wenn Israel seine Siedlungen in der Westbank räumt. Das wird
dann der große Test für die Gesellschaft und auch für die Regierung.
Hat der Konflikt um die Räumung eher die säkulare
Gesellschaft in Ihrem Land gestärkt oder die Sympathien für die größtenteils
orthodox-religösen Siedler?
Allgemein gesprochen kann man sagen, dass eine große
Mehrheit der Israelis die Politik Ariel Sharons in dieser Hinsicht
unterstützt. Aber wie es weitergeht, hängt nun davon ab, was die Folgen des
Abzugs sein werden. Wenn die Angriffe der Hamas auf israelische Ortschaften
innerhalb der Grenze von 1967 weitergehen, wird Sharon an Unterstützung
verlieren. Aber im Moment scheint es so, als habe er für die Fortsetzung
seiner Politik genügend Rückhalt.
Hat sich die Wahrnehmung von Ariel Sharon verändert? Er
war schließlich früher quasi eine Symbolfigur der Siedlerbewegung.
Vor allem hat sich Sharon verändert. Er redet jetzt ganz
anders als vor 15 oder 20 Jahren. Nehmen Sie beispielsweise seine letzten
Reden: Jetzt spricht er über die Perspektive eines unabhängigen und freien
Palästina neben Israel. Er hat eine große Wandlung in seinen Überzeugungen
vollzogen. Jetzt repräsentiert er unsere Sicht, und er wird von den Rechten
beschuldigt, die Politik der Friedensbewegung "Peace Now" zu betreiben. Und
sie haben damit teilweise sogar Recht.
Wie hat die israelische Öffentlichkeit auf die
Maßnahmen der Polizei und der Armee bei der Räumung des Gaza-Streifens
reagiert? War man erschrocken oder verunsichert über die Frage, ob das
Vorgehen angemessen ist?
Die Polizei und die Armee hatten so viele Kräfte
konzentriert, dass sie weitgehend auf gewaltsame Maßnahmen verzichten
konnten. Sie sind sehr, sehr, sehr behutsam mit den Siedlern umgegangen. Ich
glaube, alle sind mit diesem Ablauf zufrieden.
Wie ist derzeit die Stimmung gegenüber den verbliebenen
Siedlern in der Westbank?
Die Siedler beklagen, dass die Unterstützung für sie in
der Gesellschaft geringer werde. Mehr und mehr Menschen sehen die Siedler
als Hindernis auf dem Weg zum Frieden und zu Normalität.
Was wird aus den ehemaligen Siedlern aus dem
Gaza-Streifen? Integrieren sie sich in die israelische Gesellschaft?
Ich sehe da keine Probleme. Es wird sicher einige Zeit
dauern, bis sie ihre traumatische Erfahrung verarbeitet haben. Aber das wird
schneller gehen, als die meisten von uns denken. Die Mehrheit der Siedler
hat bereits neue Wohnräume und Arbeit gefunden. Sie werden dieses Erlebnis
sicher nie vergessen, aber der ganze Vorgang war letztlich wesentlich
weniger traumatisch, als alle erwartet haben.
Folgte man den Medien hierzulande, so sah man eine
breite Unterstützung für die Siedler. Viele Gegner des Abzugs gingen mit
orangefarbenen T-Shirts auf die Straße. Was ist von dieser Bewegung übrig
geblieben?
Die schweigende Mehrheit hat sich passiv verhalten. Man
bekommt keinen Eindruck von den Mehrheitsverhältnissen, wenn man die
orangefarbenen T-Shirts zählt. Meine Einschätzung ist, dass die Siedler
insgesamt wesentlich weniger Unterstützung bekommen haben, als sie erwartet
hatten.
Wie sehen Sie die Zukunft eines möglichen
palästinensischen Staats? Hamas und Islamischer Jihad scheinen ihren großen
Einfluss in Gaza behaupten zu können. Wie groß ist die daraus resultierende
Gefahr für Israel und auch für einen künftigen Palästinenserstaat?
Die Israelis sind selbstverständlich sehr besorgt über den
großen Einfluss gerade der Hamas im Gaza-Streifen. Es hängt jetzt viel von
der palästinensischen Führung ab, ob sie einen Umgang mit der Hamas findet.
Wenn sie ihre Polizei nicht in die Lage versetzt, gegen all diese radikalen
Splittergruppen vorzugehen, kann sich die ganze Situation auch wieder
schlagartig verändern, indem Israel zum Beispiel wieder einrückt und die
Kontrolle übernimmt. Denn niemand wird tolerieren, dass Bomben auf zivile
Siedlungen in Israel geworfen werden.
Die palästinensische Führung muss jetzt in den Gebieten
Recht und Gesetz durchsetzen, und Israel sollte sie dabei unterstützen. Und
nicht nur Israel, sondern auch die Europäische Union und die USA. Nichts ist
erreicht, solange die Palästinenser nur ihre Unabhängigkeit haben und nicht
auch eine Art normaler Ökonomie. Das wird ohne starke Hilfe von außen nicht
zu schaffen sein.
Einen Tag nachdem Israel Gaza verlassen hatte, brannten
dort die Synagogen. Zeigt dies, dass es in der palästinensischen
Gesellschaft wenig Interesse an einem friedlichen Zusammenleben mit den
Juden gibt?
Es gab ja vorher eine große Debatte in Israel darüber, ob
man die Synagogen selbst abreißen oder sie stehen lassen sollte. Und die
Entscheidung war, sie stehen zu lassen, weil viele religiöse Leute dagegen
waren, sie selbst niederzureißen. Niemand war von dem Verhalten der
Palästinenser überrascht. Das war kein Schockerlebnis. Nicht, dass wir das
tolerieren würden, aber diese Möglichkeit hatte keinen großen Einfluss auf
die getroffene Entscheidung. Damit haben alle gerechnet.
Aber bedeutet dies nicht in letzter Konsequenz: Araber
können ohne Angst in Israel leben, aber Juden niemals in Palästina?
Nein, das glaube ich nicht. Diese zurückgelassenen
Synagogen standen symbolhaft für die Periode, in der Israel den
Gaza-Streifen besetzt hielt. Was wir gesehen haben, war, wie der Frust der
Palästinenser sich eine Art Ventil verschafft hat, als sie in die Siedlungen
kamen und dort die verlassenen Synagogen vorfanden.
In Gaza-Stadt gibt es eine sehr alte Synagoge, sie ist nie
zerstört oder beschädigt worden. Die Synagogen in den jüdischen Siedlungen
waren für die Palästinenser so etwas wie ein rotes Tuch für den Stier. Über
die Perspektiven des Friedensprozesses sagen diese Geschehnisse nicht viel
aus.
hagalil.com
07-10-2005 |