Vor der Auseinandersetzung mit Netanjahu:
Scharons letztes Gefecht
Von Thorsten Schmitz
Die Ankündigung von Benjamin Netanjahu, den
Likud-Parteivorsitz anzustreben und damit den Anspruch auf das Amt des
Regierungschefs zu erneuern, beinhaltet alle Ingredienzen einer griechischen
Tragödie: maßlose Selbstüberschätzung, Verrat, Lüge. Netanjahu, der als
Regierungschef Ende der neunziger Jahre den rechtsnationalen Likud kaputt
gewirtschaftet hat, will seinen Intimfeind Ariel Scharon vom Sockel stürzen.
Dieser habe mit den Siedlungsauflösungen den Likud verraten und einen
Präzedenzfall geschaffen, indem er den Palästinensern etwas gegeben habe,
ohne dafür eine Gegenleistung zu erhalten.
Netanjahu sagt, er wolle Likud und Land retten, in Wahrheit
aber will er den Vorwurf revidieren, er habe nach dem Wahldesaster von 1999
die Partei im Stich gelassen. Zudem will er mit 55 Jahren noch einmal auf
das internationale Parkett. Obwohl Netanjahu die Partei 1999 tatsächlich
allein gelassen hatte, weiß er heute die Mehrheit im Likud hinter sich.
Likud ist eine Volkspartei der einfachen und unflexiblen Leute, die mit
Scharons Sinneswandel in der Siedlerfrage überfordert sind.
Scharon wiederum ist es gelungen, gegen den Mehrheitswillen
der Partei viereinhalb Jahre an der Regierungsspitze zu bleiben. Er blickt
damit auf eine der längsten Amtszeiten eines israelischen Premierministers
zurück. Seinen Erfolg, mit dem Gaza-Abzug Israel aus der internationalen
Isolation befreit zu haben, will er in zwei Wochen bei der 60-Jahr-Feier der
UN krönen. Vor der Generalversammlung wird er eine Rede halten, Dutzende
Staatschefs werden ihm gratulieren. Einen besseren Wahlkampfbeginn kann
Scharon sich nicht wünschen.
Es gilt als sicher, dass es in Israel zu vorgezogenen Wahlen
kommen wird. Ob Scharon, immerhin schon 77, als Likud-Parteichef antritt
oder gemeinsam mit seinem Duz-Freund Schimon Peres, 81, eine im Zentrum
angesiedelte "Partei der Alten" gründet, ist noch ungewiss. Sicher ist nur:
Scharon wird sich von Netanjahu nicht die Show stehlen lassen. Er will als
Siedlungsauflöser in die Geschichtsbücher eingehen, nicht als
Mitverantwortlicher für das Massaker in den Lagern Sabra und Schatila.
Mit den Siedlungsauflösungen hat Scharon einen Prozess
eingeleitet, den er wohl gar nicht mehr aufhalten kann. Die Lehre aus der
Evakuierung nämlich ist: Siedlungen lassen sich auflösen, ohne dass es zum
Bürgerkrieg kommt. Falls die Palästinenser den Terror stoppen, wird der
Druck auf Israel zunehmen, ihrem Staatenwunsch zu entsprechen und weitere
Konzessionen zu machen.
In den Diadochenkämpfen zwischen Scharon und Netanjahu
manifestiert sich nicht nur die Spaltung des Likud, sondern auch die der
israelischen Gesellschaft. Immer schon waren Scharon die messianisch
gesinnten orthodoxen Siedler fremd. In den Siedlungen sieht er strategische
Trutzburgen, mit denen Grenzen und der Zugang zu den Grundwasserquellen im
Westjordanland gesichert werden. Für ihn haben Siedlungen pragmatischen
Nutzen. Netanjahu dagegen spielt mit den Emotionen der Religiösen und
suggeriert ihnen, sie könnten an Judäa und Samaria festhalten, auf dass der
Messias eher erscheine. Er repräsentiert mit seiner die Wirklichkeit
ignorierenden Siedlungs-PR das alte Israel, das den Zionismus Theodor Herzls
gleichsetzt mit einem Freibrief für die Kolonialisierung der Palästinenser.
Scharon dagegen steht für die Mitte der israelischen
Gesellschaft - die Mehrheit. Sie ist nach fünf Jahren Intifada von den
Palästinensern derart enttäuscht, dass sie eine Wiederaufnahme von
Friedensverhandlungen (noch) nicht wünscht. Sie will ihre Ruhe haben von
Palästinensern und fanatischen Siedlern. Scharon gibt ihnen die Ruhe, indem
er einen Zaun bauen lässt. Der neue Regierungschef wird also der alte sein.
Das Nachsehen hätte Netanjahu, dessen Karriere endgültig beendet wäre.
hagalil.com 02-09-2005 |