
Bildungsprojekte:
"Mein Kind ist ein Neonazi"
Von Andreas Speit
Ein geringer Wahlerfolg der neonazistischen
Parteien könnte antifaschistische Projekte gefährden. Das mag
paradox klingen, ist es aber nicht. Denn Geld hat der Staat für
Opferberatungen oder Initiativen gegen Rechts immer dann übrig, wenn
Parteien wie die NPD Wahlerfolge erringen konnten. Oder wenn die
Zahl rassistisch motivierter Gewalttaten mal wieder angestiegen ist.
Wenn Neonazis aber gerade mal nicht unangenehm auffallen und als
Dauerthema in den Medien präsent sind, sinkt die Bereitschaft, sich
gegen neonazistische Strömungen finanziell zu engagieren.
Eine langfristige Planung ist für die Beratungsteams
oder Bildungsprojekte daher kaum möglich. Ein Beispiel: Die
Elternberatung bei der "Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt"
in Braunschweig, die mit der renommierten Bremer
Jugendbildungsstätte Lidice-Haus zusammenarbeitet. Seit Anfang 2004
beraten die Braunschweiger Mütter und Väter, deren Kinder in der
Neonazi-Szene unterwegs sind. "Die fortschreitende Verjüngung der
rechten Szene erzwang das Angebot", sagt Koch. In den letzten Jahren
bemühten sich geraden die "Freien Kameradschaften" und die NPD
gezielt um 13- und 14-Jährige. Noch ein halbes Jahr fließen Bundes-
und EU-Gelder, dann müssen Koch und seine MitarbeiterInnen immer
wieder bei Behörden um Geld betteln, um ihre Arbeit aufrecht
erhalten zu können. Zu tun haben sie mehr als genug.
"Zur Zeit betreuen wir 70 Eltern", sagt der Leiter
Reinhard Koch. Nach seiner Erfahrung wenden sich meistens zuerst die
Mütter an die Arbeitsstelle. "Ich rief erst mal an", erzählt Tanja
Borchert*. Gleich hingehen wollte sie nicht. "Mir war das sehr
peinlich", sagt sie. Zudem hatte sie schlechte Erfahrungen gemacht.
Als sie nämlich den Mut gefunden hatte, sich wegen ihres Sohnes an
das örtliche Jugendamt zu wenden, wurde sie dort abgewiesen.
Eine ähnliche Erfahrung machte auch Klaus Mayer* bei
einer Familienberatung. Sein Sohn gehört schon länger zur "braunen
Szene". Die ersten Anzeichen der Rechtsentwicklung wollten beide
Familien zunächst nicht sehen, wie sie berichten. "Die Haare wollte
er immer kürzer, dann kaufte er sich eine Bomberjacke" sagt
Borchert. Den damals 14-jährigen Sohn trauten sich die Eltern nicht
anzusprechen. "Wir waren einfach hilflos." Mayers Sohn hingegen war
die neue Gesinnung äußerlich anfangs gar nicht anzusehen. Aber hören
konnte es, wer wollte. Der damals 16-Jährige redete plötzlich viel
von den "deutschen Werten" die bewahrt werden müssten. Oder der
"heldenhaften Wehrmacht", der Ehre gebühre. Später fanden die Eltern
in seinem Zimmer Schriften von der NPD und "Rudolf Hess -
Mord"-Plakate. "Bei uns dröhnte Kraftschlag durch das Haus",
erinnert sich Borchert. Heute weiß sie, dass das eine der ältesten
Rechtsrockbands ist.
"Die Eltern erleben diese Entwicklung als
Entfremdung", sagt der Berater Koch. Oft weil sie kaum eine
Vorstellung von der rechten Szene hätten. "Stimmt", räumt Mayer ein.
Bei der Arbeitsstelle erklären Mitarbeiter deshalb, welches Material
aus dem Jugendzimmer zu welcher Neonazigruppe gehört. "Uns half
das", sagt Borchert. "Wir wussten jetzt wo unser Junge ist". Die
Beratung bietet ebenso an zu überlegen, wie im Alltag miteinander
umgegangen werden kann. Ob vielleicht noch eine Gesprächsebene
gefunden werden kann.
Betroffen sind im übrigen Angehörige aller Schichten,
hat die Braunschweiger Arbeitsstelle festgestellt. Nazinachwuchs
lebt sowohl bei gut situierten Arztehepaaren als auch bei
arbeitslosen Alleinerziehenden. In einer wissenschaftlichen
Auswertung der Beratung kommen die Experten zu der Feststellung,
dass eine Hinwendung zur rechten Gruppe aus einem starken
Männlichkeitsverständnis und aus dem Widerspruch zwischen
angestrebter Arbeitsvorstellung und tatsächlicher Tätigkeit heraus
geschieht. *alle Namen geändert
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20-09-2005 |