Kultur und Geldbeutel:
Kunst in Tel Aviv
Von Thorsten Schmitz
Die Kunst in Israel entdeckt in diesen Tagen in der Armut
Reichtum. Nach gefeierten Ausstellungen internationaler Künstler wie
Wolfgang Tillmans, Besucher-Magneten wie Picasso, Konzerten mit Faithless
besinnt sich die Kunstszene auf den Blick ins Innere und begibt sich auf
weniger etablierte Pfade. Nicht 200, sondern mehr als 5000 Menschen strömten
kürzlich in das von der Tel Aviver Stadtverwaltung stiefmütterlich
behandelte Stadtviertel Noga, das zu Jaffa gehört.
Wo sonst nur Sozialhilfeempfänger, Drogenabhängige und
arbeitslose Jugendliche die Tage (und Nächte) mit Zeittotschlagen
verbringen, entstand die Verbindung zwischen Arm und Reich. 75 Künstler
funktionierten mit leichter Hand die Nachbarschaft in ein Open-Air-Kunstwerk
um, scannten Videos an Häuserwände, verwandelten Straßenlaternen mit
transparenten Vorhängen in Duschen, pinnten Albumfotos auf feuchte Wände.
Der Eintritt war frei wie auch die 1000 Kataloge. Der Shootingstar der
israelischen Künstlerszene, die 29-jährige Ma'ayan Schelef, verzichtete auf
ein Honorar trotz wochenlanger Arbeit für das 12-Stunden-Projekt. Dafür
erhielt sie Lob von allen Seiten, vom Stadtmagazin Time Out bis zur seriösen
Haaretz, und wurde mit der Feststellung geadelt, dass "die wahre Kunst im
Einfachen" versteckt liege.
Um Gratis-Kunst in einem ganz anderen Sinn geht es den
Galeristen des "Salon Mazal" in Tel Aviv. In wöchentlichen Sitzungen im
Schaufenster, an denen jeder teilnehmen darf, werden dort bei
Hippie-Ambiente und einem Glas Eis-Tee für 20 Cent Tipps ausgetauscht, wie
man am besten klaut - nach dem Motto der jungen Alternativgaleristen,
"Kultur geht auch durch den Geldbeutel".
Damit dieser im sündteuren Tel Aviv wenig strapaziert wird,
bauen derzeit so genannte Punk-Clubber ein alternatives Nachtleben auf. Um
die horrenden Eintrittspreise der Tel Aviver Clubtempel zu umgehen, finden
seit ein paar Wochen jede Freitagnacht kostenlose Parties in einem besetzten
Haus im linken Stadtviertel Florentin statt. Drinks kosten nicht mehr als 2
Euro, getanzt wird bis zum frühen Morgen, die Nachbarn rufen nicht die
Polizei, sondern tanzen auf den Straßen mit. Nicht nur rebellische Kids, die
sich vor ihrer Einberufung in die Armee noch mal austoben wollen, auch
gestandene DJs und Models wurden auf den Parties schon gesichtet. Deren
Motto: "Auf der Tanzfläche ist jeder gleich."
Armut in ganz anderer Hinsicht demonstrieren derzeit 25
Künstler im Helena-Rubinstein-Museum - Erziehungsarmut! In einer der
erfolgreichsten Ausstellungen dieses Jahres verarbeiten die Künstler ihre
Kindheit in Kibbutzim, den genossenschaftlichen Gemeinschaftsdörfern, in
denen bis vor zehn Jahren noch Kinder ab dem ersten Lebensjahr von den
Eltern getrennt in Gemeinschaftsräumen schliefen. In der Ausstellung
dominieren mechanische Barbiepuppen, Küchenhandtücher und leere
Kinderbetten. Wegen großen Andrangs soll die Ausstellung nun verlängert
werden.
hagalil.com 13-09-2005 |